Dienstag, 16. April 2024

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Indien
"Mutter Teresa ist eine Marke"

Die Ordensfrau wird am Sonntag heilig gesprochen. Auch Hindus verehren sie, sagt Jan Roß, Korrespondent der "Zeit" in Neu-Delhi. Allerdings mit Abstrichen. Der Verdacht bleibt, dass Mutter Teresa die Armen in Kalkutta missionieren wollte. Manche Inder reagierten bis heute "extrem misstrauisch auf alle caritativen und bildungsmäßigen Aktivitäten von Christen", so Roß.

Jan Roß im Gespräch mit Gerald Beyrodt | 02.09.2016
    Mutter Teresa im Jahr 1980 in einem von ihr gegründeten katholischen Missionarskrankenhaus in Kalkutta, in dem Arme, Kranke und Sterbende behandelt werden.
    Mutter Teresa im Jahr 1980 in einem von ihr gegründeten katholischen Missionarskrankenhaus in Kalkutta, in dem Arme, Kranke und Sterbende behandelt werden (imago / ZUMA / Keystone)
    Gerald Beyrodt: Herr Roß, wie viel weiß der Durchschnitts-Inder eigentlich über Mutter Teresa?
    Jan Roß: Sie ist schon eine der berühmteren Figuren des 20. Jahrhunderts in Indien. Es sind Straßen nach Ihr benannt, die "Missionaries of Charity" sind sozusagen eine eingeführte Marke. Sie ist auch Gegenstand von Kontroversen im Land, also das wird nicht jeden erreichen, aber sie ist schon eine große Figur in der neueren Geschichte Indiens.
    Beyrodt: Ist sie denn in Indien auch eine Heilige?
    Roß: Für die Christen in Indien, das ist ja eine kleine, aber nicht völlig verschwindende Minderheit, ist sie natürlich eine Heilige. Da gibt's auch große Freude über die Heiligsprechung - nicht nur bei Katholiken, auch bei Anglikanern. Für Hindus oder Muslime, die die größten religiösen Gruppen im Lande darstellen, ist sie nicht unbedingt eine Heilige. Man muss aber sehen: Indien ist traditionell ein Land, in dem sich die religiösen Traditionen auch durchdringen. Das heißt, die Vorstellung, dass auch jemand, der einer anderen Religion angehört, für einen selbst eine religiöse Bedeutung haben kann, ist gar nicht so abwegig. Hindus haben es auch geschafft, Christus auf ihre Art in ihr Pantheon zu integrieren. Also da gibt es auch Umarmungsmöglichkeiten für die Andersgläubigen.
    Beyrodt: Dafür steht Mutter Teresa ja unter anderem auch. Sie hat ja auch immer betont, dass in allen Religionen was Gutes sei.
    Roß: Ja, also diesen Aspekt gibt es. Es gibt aber umgekehrt auch den kontroversen Aspekt. Es gibt hier Leute, die finden sie nicht so toll und die finden auch nicht so toll, dass beispielsweise die indische Außenministerin zur Heiligsprechung nach Rom gefahren ist. Also sie hat auch ihre Gegner.
    Religion der früheren Kolonialherren
    Beyrodt: Was ist die Kritik?
    Roß: Ich glaube, um es im westlichen Kontext verständlich zu machen, muss man die Kritik etwas unterscheiden von der im Westen. Im Westen ist die Kritik an Mutter Teresa vor allem diejenige: Warum ist sie so dogmatisch konservativ in ihren theologischen Auffassungen, so streng in ihren moralischen Vorstellungen, was Abtreibung oder Schwangerschaftsverhütung angeht? Das ist hier nicht der Hauptpunkt. Sofern es in Indien Kritik an ihr gibt, sind das eigentlich eher Ängste die mit dem Christentum zusammenhängen, das immerhin die Religion der früheren Kolonialherren des Landes war, also von vielen auch als ein Fremdkörper empfunden wird. Es gibt die Unterstellung, dass christliche Caritas in Wirklichkeit gar nicht dazu da ist den Armen zu helfen, sondern Konversionen zum Christentum zu befördern. Also es gibt ein Segment, das vor allem auf dem nationalistischen Flügel des Hinduismus angesiedelt ist, es gibt ein Segment der indischen Öffentlichkeit, das extrem misstrauisch auf alle caritativen und bildungsmäßigen Aktivitäten von Christen reagiert. Unter diesen Verdacht fällt dann auch Mutter Teresa.
    Beyrodt: Nun war ja Mutter Teresa dezidiert eine Missionarin, so hat sie sich selber verstanden, also bei ihr muss man sagen: Haben die Kritiker nicht auch ein bisschen Recht?
    Roß: Die Tatsache, dass Missionare offen auftreten, macht sie noch nicht unbedingt aus Sicht dieser sagen wir mal Hindu-Traditionalisten noch nicht unverdächtig. Und natürlich ist Mutter Teresa als humanitäre Figur eine Weltikone geworden und nicht als christliche Missionarin. Das heißt, da haben die Leute die ihr skeptisch gegenüber stehen dann schon das Gefühl, dass es sich um eine Art Etikettenschwindel handelt.
    Die asketische Tradition verbindet
    Beyrodt: Sie sagen, Mutter Teresa ist eine Weltikone geworden und die Themen, mit denen sie das geworden ist, das sind die Themen: Helfen, Caritasmission, vielleicht auch Leiden und Passion, auch Jungfräulichkeit. Das sind alles sehr christliche Themen. Wie viel kann man denn in Indien mit diesen Themen anfangen?
    Roß: Manchmal ergeben sich ganz erstaunliche Berührungspunkte. Ich glaube, der Hauptunterschied zwischen den religiösen Traditionen bezieht sich zunächst mal tatsächlich auf die tätige Caritas. Es ist keine hinduistische Tradition Spitäler zu bauen. Das heißt, diese Form der praktizierten Nächstenliebe, die im Christentum eine große Rolle spielt, ist in den stärker spirituell orientierten Traditionen des Ostens nicht so dominant. Das heißt, da gibt es einen Unterschied. Trotzdem gibt es natürlich auch im Hinduismus oder Buddhismus, aber hier ist vor allem der Hinduismus, asketische Traditionen. Das Ordensleben ist nichts Fremdes, der Gedanke, dass man sein Leben zu etwas verpflichtet, dass man dafür anders lebt als die Mehrheit. Das sind alles Gedanken, die auch einem indischen Hindu vertraut sind. Armut ist natürlich auch vertraut, dass man von einer spirituellen Gestalt, von einem Heiligen erwartet, dass er auf materielles Wohlleben verzichtet. Das sind Dinge, in denen sich die religiösen Traditionen berühren und wo man sich auch in eine Figur wie Mutter Teresa einfühlen kann.
    Beyrodt: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist Mutter Teresa auch in Indien eine Ikone?
    Roß: Sie ist jedenfalls eine Marke. Ich drücke es jetzt mal in dieser etwas flapsigeren Art und Weise aus. Sie ist eine Marke, sie ist bekannt, man darf nicht vergessen: Für Inder spielt es natürlich auch eine große Rolle, wenn jemand, der nicht als geborener Inder, aber als jemand der hier Jahrzehnte seines Lebens verbracht hat, zu ihnen gehört, wenn jemand zu diesem Weltruhm gelangt. Da kommen neue Ironien ins Spiel. Man hat vielleicht nicht den christlichen Begriff von Heiligkeit oder steht der katholischen Kirche sogar mit Misstrauen gegenüber, aber natürlich ist das, was da in Rom stattfindet und was diese Aufmerksamkeit auf sich zieht, gleichzeitig etwas, das jemandem gilt, der sein Leben aufs Engste mit Indien verknüpft hat. Und darum ist man dann wiederum stolz.
    Lumpenproletarier der Weltgesellschaft
    Beyrodt: Aber sie hat auch den Blick der Welt auf das Elend in Kalkutta gelenkt und kein Mensch sieht sich gerne als Land des Elends. Wird ihr das heute verübelt?
    Roß: Das spielt glaube ich bei den Vorbehalten, die ich angesprochen habe eine große Rolle. Mich erinnert das ein bisschen an die Reaktionen auf diesen sehr erfolgreichen Film "Slumdog Millionär", der Leute auf das Elend in den Armenvierteln von Bombay aufmerksam gemacht hat. Das war ein Film, der nach meinem eigenen Eindruck - ich habe damals noch nicht in Indien gelebt - im Westen eher Sympathie für Indien geweckt hat. Den man als eine Art Vermenschlichung der Zustände wahrgenommen hat. In Indien hat man das als Denunziation gesehen. Man gesagt: Warum werden wir als diese Lumpenproletarier der Weltgesellschaft dargestellt? Und ein bisschen, da haben Sie Recht, spielt das eine Rolle bei den gemischten Gefühlen, mit denen man auf Mutter Teresa blickt, dass sie eben Indien natürlich mit dem Elend in Kalkutta auch in den Augen der Welt verbunden hat.
    Beyrodt: Sie sind nicht nur Indien-Korrespondent, sondern haben auch zahlreiche Bücher zu religiösen Themen geschrieben, unter anderem auch eine Papst-Biographie. Jetzt frage ich Sie mal: Wenn Sie Papst wären, würden Sie denn Mutter Teresa heilig sprechen?
    Roß: Ich bin evangelisch und kann und will mich da zu diesen Fragen nicht äußern. Was ich allerdings sagen kann, sie ist schon eine herausragende Figur nicht nur in dem, was sie getan hat, sondern auch in der Tiefe ihrer Verunsicherung und dessen, was sie durchgemacht hat. Das ist ja durch ihre später publizierten Tagebücher offen gelegt worden. Das heißt, das ist schon eine große, auch in ihrer Verdüsterung, ganz große religiöse Figur unserer Zeit. So viel glaube ich kann man auf jeden Fall sagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.