Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Indien nach dem Brexit
Attraktiver Partner für Großbritannien

Vor mehr als 70 Jahren hat Großbritannien seine Kolonie Indien freigegeben. Auch wenn ihr Verhältnis zu der ehemaligen Kolonialmacht ambivalent ist, hat die indische Regierung an geschäftlichen Beziehungen mit Großbritannien Interesse, besonders nach dem Brexit.

Von Silke Diettrich | 01.02.2020
Boris Johnson als britischer Außenminister mit dem indischen Premierminister Narendra Modi 2017 in Neu Dehli, Indien
Boris Johnson als britischer Außenminister mit dem indischen Premierminister Narendra Modi 2017 in Neu Dehli, Indien (AFP / PIB)
"Der Brexit ist endlich da und Indien ist bestens vorbereitet, um vom Brexit zu profitieren". Das titelt die Online-Ausgabe des englischsprachigen Magazins India Today. Indien steht nun auf der Liste von mehreren Ländern, mit denen Großbritannien neue Handelsverträge schließen will. Der Brexit, sagt auch Saurabh Shukla, Chefredakteur von NewsMobile.in, sei eine gute Chance für Indien:
"Gute Chance, die Handelsbeziehungen mit den Briten zu verbessern."
"Großbritannien wird nun mehr Verbündete brauchen, und Indien ist doch ein natürlicher Partner in dem Fall. Viele unserer Studentinnen und Studenten gehen dort hin. Großbritannien spricht auch davon, dass sie die Visavergabe für gut ausgebildete Inderinnen und Inder erleichtern wollen. Zuvor mussten diese Stellen bevorzugt mit Europäern besetzt werden. Für indische Start-Ups sehe ich eine gute Chance, die Handelsbeziehungen mit den Briten zu verbessern."
Darauf hofft Saurabh Shukla auch selbst, der Wirtschaftsjournalist hat vor mehr als fünf Jahren eine mobile Nachrichten-Plattform gegründet, mit der er laut eigener Aussage, rund 30 Millionen Userinnen und User erreicht. Sein Arbeitsplatz liegt in Gurugram: eine junge Stadt, die direkt an Neu-Delhi grenzt. Ein Umschlagplatz für Finanzen und Technologie, mit glitzernden Hochhäusern, Malls und hippen Restaurants. Auf der Büroetage von Saurabh Shukla sitzen junge Inderinnen und Inder in gläsernen Würfeln und treffen sich zum Brainstormen auf schicken roten Sofas. Das ist das digitale Indien, das das Land gerne als Marke in die Welt verbreiten will: modern, flexibel und am Puls der Zeit. Und von dem auch Saurabh Shukla komplett überzeugt ist. Und dieses digital India sei aus seiner Sicht das genaue Gegenteil von der Europäischen Union:
"Es ist viel einfacher, bilateral mit Ländern zu verhandeln als mit diesem Block der Europäischen Union. Die ist ein Konstrukt, mit zu vielen unterschiedlichen Ländern, den ganzen Egos, die befriedigt werden müssen und dieser überbordenden Bürokratie. Ihr habt die besten Leute aus euren Ländern dort versammelt, aber diese Kompromissfindung wird manchmal zu einem riesigen Hindernis. Deshalb sind die Beziehungen von Indien zu einzelnen europäischen Ländern viel besser als zur EU selbst."
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen abgebrochen
Seit 2007 verhandeln Indien und die Europäische Union über ein Freihandelsabkommen. 2013 sind die Verhandlungen komplett abgebrochen worden und erst vor zwei Jahren wurden sie wieder aufgenommen - bislang ohne Aussichten auf einen schnellen Erfolg. Es gibt Probleme beim Patentschutz, den Indien nicht ausbauen möchte.
Die EU will eine Öffnung des Einzelhandels für europäische Handelskonzerne erreichen. Doch der Einzelhandel ist der zweitgrößte Wirtschaftssektor in Indien, und die vielen Kleinbetriebe sind für die indische Regierung daher nicht antastbar. Brüssel möchte auch Umwelt- und Sozialstandards in dem geplanten Freihandelsabkommen festschreiben. Auch hier schließen die Inder aus, darüber auch nur zu verhandeln. Denn politische Einmischung von außen verbittet sich Indien, als derzeit fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Erst vor wenigen Tagen hat eine Debatte im EU-Parlament die Stimmung der indischen Regierung verhagelt.
Helena Dalli, EU-Abgeordnete aus Malta, referiert über die Neuregelung des indischen Staatsbürgerschaftsgesetzes, das viele als diskriminierend gegenüber Muslimen bezeichnen. Das europäische Parlament bereitet eine Resolution vor, die antidemokratische Entwicklungen in Indien verurteilt. Die indische Regierung hat daraufhin Protestbriefe an die Parlamentarier geschickt. Die Abstimmung über die Resolution wurde nun erst einmal verschoben.
Für Indien ist die EU wichtiger als Großbritannien
Im indischen Fernsehen diskutieren Experten die möglichen Folgen des Brexits. Auch hier geht es darum, wer in Zukunft wichtiger sein wird für Indien: die Europäische Union oder Großbritannien. Klarer Favorit für Jayant Dasgupta, der ein indischer Gesandter bei der Welthandelsorganisation war, ist die EU:
"Großbritannien ist kein großer Markt für uns. Wir müssen nun endlich das Freihandelsabkommen mit der EU verhandeln; das hat Priorität."
Wegen seiner hohen Wachstumsraten wurde Indien in den vergangenen Jahren oft als "Lichtblick der Weltwirtschaft" bezeichnet. Aber die Wachstumsprognose des Internationalen Währungsfonds für Indien hat sich erheblich verschlechtert. Dennoch ist Indien die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt. Chefredakteur Saurabh Shukla sieht daher rosige Zeiten auf Indien zukommen nach dem Brexit, denn dadurch würden sich gleich zwei Märkte für sein Land öffnen, wenn diese seinen Rat beherzigen:
"Seid offener, seid mehr entgegenkommend für unser Land. Wer immer was zuerst vorschlägt, der erste Pitch ist der Wichtigste."
Aus Saurabh Shuklas Sicht ist Indien so attraktiv, dass sich sowohl die EU als auch Großbritannien schleunigst um Knowhow aus seinem Land bemühen müssten.
Der Brexit und seine Auswirkungen
Am 31. Januar verlässt Großbritannien die Europäische Union. Was passiert dann? Was ändert sich für Verbraucher? Welche wirtschaftlichen Folgen gibt es? Die wichtigsten Fragen und Antworten.