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Indiens größte, Indiens ärmste Stadt

Auf den Bürgersteigen Kalkuttas streckt dir ständig ein Bettler die fordernde Hand entgegen. Abgemagerte Frauen mit Babys, behinderte und alte Menschen, sie alle fordern Almosen oder ein bisschen Geld. Das Leben in Kalkutta ist hart, aber billig, mit zehn Rupien am Tag kann man hier überleben.

Von Michael Magercord | 30.11.2008
    Calcutta, Kalikata, Kolkotta, Kalkutta - ist das ein wirklicher Ort? Eine Stadt sogar? Oder bloß eine Bühne, auf der ein Stück gleichen Namens aufgeführt wird?

    Die Kulisse: Große Boulevards, gesäumt von europäischer Architektur. Man kennt aus, viktorianisch bis Bauhaus. Da findet man sich sofort zurecht, Banken sind's, Hotels, Kinos. Kalkutta ist also eine Stadt, Indiens größte - und Indiens ärmste...

    Auf beiden den Ufern des breiten Flusses - Hooghly heißt er und ist ein Seitenarm des heiligen Ganges - leben 16 Millionen Menschen. Beinamen hat Kalkutta: "Black Whole" oder "City of joy". Die Boulevards wabern vor Abgasen in der "Stadt der Freude", und das "Schwarze Loch" hat Seitenstraßen - und was geht darin vor sich? Was hat diese Schlange abgerissener Gestalten vor Suppentöpfen zu bedeuten?

    "Arme sind es, Bettler, sie bekommen eine Suppe hier, und was zu essen. Es sind Menschen darunter, denen ihr Gehalt nicht zu reichen scheint. Sie alle sind glücklich hier, denn Kalkutta ist eine gute Stadt, wo Arme einfach und glücklich leben können"."

    Arme und Bettler sind es, das ist klar, so viele sind es in Kalkutta. Aber ihr? Wer seid ihr, die Wohltäter auf der anderen Seite vom Suppentopf?

    "Seit 35 Jahren mache ich das. Jeden Sonntag. Sie nennen mich Onkel, Bruder, obwohl ich ja nur auf sie einbrülle, damit sie die Reihe vor der Essensausgabe einhalten. Wir nehmen den Armen eine Last von der Seele. Es gibt mir große Freude. Und manchmal kommen Ausländer, sie wollen helfen, wir lassen es zu, sie kommen von weither, auch sie sollen ihren Spaß haben."

    Auf den Bürgersteigen Kalkuttas, denen der Boulevards und jenen der Seitenstraßen: die Bettler. Menschen mit körperlicher Behinderung, Frauen mit abgemagerten Babys, oder verlauste Kinder. Was passiert, wenn sie sich dir in den Weg stellen, sie mit der einen Hand in geübter Gestik vom Mund immer wieder auf den hungrigen Magen deuten, und dir die andere fordernd entgegen strecken: Da wird die Stadt zur Bühne und die Rollen sind verteilt: "Jetzt bist du am Zug", steht im ungeschriebenen Drehbuch, "Fühl was! Denk was! Tu was!"

    Auf den Straßen Kalkuttas, auf den Boulevards und in den Gassen, zwischen den Autos die Rikschas: eine Sitzbank auf hohen Rädern, und in der Deichsel ein dürrer Mensch, barfuss zieht er seine Kunden für ein paar runtergehandelte Rupien durch die Stadt - noch eine heimliche Regieanweisung?: "Fühl was! Denk was! Lass es bleiben..."Arme Menschen müssen diese Arbeit aufnehmen, andere nutzen sie aus. Die Reichen erhöhen ihren eigenen Status, je mehr Arme es gibt und ihnen zu Diensten stehen. Deshalb wird auch nicht wirklich etwas gegen die Armut unternommen. Aber wir, die mit den Menschen fühlen, können diese Rikschas nicht benutzen und zuschauen, wie sich die Ärmsten für uns abmühen. "Die Arbeit ist hart, das Herz pocht wie bei einem Tier", sagt da einer der Rikscha-Männer, "aber nur im ersten Monat. Dann gewöhnt man sich daran. Für mich ist das kein Problem mehr. Was ich dabei fühle? Es ist ein Geschäft. Wenn ich etwas fühlen würde, verdiene ich kein Geld. Was du fühlst? Ich habe das gleiche Gefühl, wenn ich einen Bettler sehe, aber wenn ich genauso für mich selbst fühlen würde, verdiene ich kein Geld, es ist ein Geschäft", wiederholt er und fordert zum Mitfahren auf, denn billig sei es, sagt er.

    "Ich heiße Lawrence, bin 22 Jahre alt. Ich will einmal Sozialarbeit machen, nichts anderes, das ist sicher, und ich werde dir jetzt erzählen, wie sich ein Jugendlicher verändern kann: Ich bin in einem Dorf 100 km von Kalkutta entfernt geboren worden. Als Kind bin ich mit meinen Eltern nach Kalkutta gezogen. Ich ging in eine christliche Missionsschule. Damals wusste ich nichts von der Welt. Ich spielte bloß Fußball. Dann fragten mich Freunde, ob ich bei einer christlichen Jugendgruppe mitmachen wolle, man helfe dort den Armen. Ich dachte, warum nicht, austreten kann man ja immer noch. Doch ich sah gute Menschen, sie zeigten mir die Armut, machten mir klar, wie die Gesellschaft wirklich ist. Mein Bewusstsein wuchs. Nicht die Religion hat mich verändert, sondern die Wirklichkeit. Jetzt bin ich Vorsitzender der Gruppe, wir unterstützen Menschen, die an den Rand gedrängt sind. Alle können mitmachen, Muslime, Hindus, egal, es gibt keine Schranken. Mich hat es gepackt, und viele andere, die zunächst aus Spaß kamen, verändern sich auch. Wenn du die Wirklichkeit ohne Scheu anschaust, zu den Menschen gehst, dann wirst du dich verändern. Und nur wenn du dich veränderst, kannst du die Welt verändern."

    Was tun? "Beim Orden von Mutter Teresa kann man arbeiten, solange man es durchhält, Krankenpflege, Strebebegleitung", sagt einer. Und ein Taxifahrer rät: "Verteilen Sie Bananen an die Bettler, ich kenne einen Großhändler, da ich Sie mit meinem Taxi hinfahren, also los? Ach, sage ich, ich überlege noch mal...

    "Manche sagen, sie fühlten sich gut, wenn sie Menschen helfen. Aber das ist nicht wichtig. Das wichtigste ist, dass du dir im Klaren bist über deine eigenen Gefühle. Opfere etwas, und siehe, du verlierst nichts, im Gegenteil, denn auch du bist glücklich. Das heißt, wenn du etwas tust, tust du es auch für dich. Wenn Geschäftsleute sonntags Suppen ausgeben, tun sie es, um ihre eigenen emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen, das ist in Ordnung. Aber zu behaupten, die Armen sind deshalb glücklich? Sie haben Hunger, deshalb kommen sie, ist der Magen voll, sind sie froh, kaum ist alles verdaut, ist es vorbei. Wie soll man da glücklich sein?"

    Auf den Bürgersteigen Kalkuttas: Passiert es nicht jede Minute, jede Sekunde? Streckt dir nicht ständig ein Bettler die fordernde Hand entgegen, verteilt die Rollen aufs Neue? Und was passiert, wenn du nichts mehr gibt's? Nichts passiert. Keine Drohung, ein kurzes Lamentieren bloß, wie es wohl im ungeschriebenen Drehbuch steht. Und das dann immer wieder erfolgende Lächeln dieser wandelnden Skelette, verkürzt es nicht die heimliche Regieanweisung?: "Fühle was, und denk wenigstens noch was ..."

    Bürgersteige in Kalkutta sind nicht nur Bühnen, sie sind der Ort privater Verrichtungen: Menschen waschen sich an Hydranten, Frauen kochen auf Benzinstövchen, und sie sind der Ort von Dienstleistungen: Schuhputzer, Zigarrendreher, Zeitungsjungen....

    "Die Armen leben zusammen, wir wissen nicht wie. Wir Intellektuellen glauben alles zu kennen, nur unsere unmittelbare Umgebung kennen wir nicht. Sie leben und überleben in großer Armut, sprechen ihre Sprache, teilen Sorgen, Nöte aber auch Freuden, und sie hegen andere Bräuche und Religionen. Und wir kennen ihre Siege nicht. Sie kämpfen in ihren ärmlichen Hütten gegen den Monsunregen, das sind große Erfolge, die wir nicht zu würdigen wissen. Oder die Frauen ringen mit ihren Männern um die Sauferei, sie gewinnen, aber wir wissen davon nichts. Wir fühlen mit ihnen, aber wir können sie nicht berühren."

    In den Häusern hinter den Bürgersteigen: kleine Geschäfte, kleine Restaurants, kleine Werkstätten - und was bedeutet diese Wandmalerei da im Hinterhof: Tigerkopf auf Rotem Grund mit Hammer und Sichel?

    ""Es ist ein Parteibüro, zu allererst aber ein Wohlfahrtsamt der Partei im Viertel um den Bow-Bazar", erklärt ein junger Mann. Und die Ideologie? "Ach, wissen Sie", sagt er, "Ich liebe diese Gegend, sie ist meine Heimat, jeder hilft jedem, niemals werde ich weggehen. Hier bin ich vor 22 Jahren geboren, hier will ich auch sterben. Bis dahin soll sich allerdings vieles ändern. Eine Krankenstation, verkehrsberuhigte Straßen, fließendes sauberes Wasser, das erträumen wir uns für die Zukunft."

    "Ich heiße Krischna Bandjupatai. Als ich 16 Jahre alt war, bin ich nach dem Vorbild der Roten Garden in China in die Dörfer gezogen. Ich las aus den Werken Maos, Marx' und Engels. Ich habe zu den Frauen gesagt: "Euer Grundbesitzer unterdrückt euch, bekämpft ihn!" Doch in diesem Dorf waren die Menschen untereinander eng verbunden, die Frauen sagten: "Der Grundbesitzer ist nicht unser Feind, er ist unser "Großvater". Sie nannten ihn "Großvater". Ich sagte trotzdem immerfort: "Nein, er ist euer Feind!". Aber das war falsch. Die Menschen müssen selbst bestimmen wer ihre Feinde sind. Damals war ich sehr jung, aber ich hatte schon gespürt, dass es Unsinn war. Drei Jahre saß ich dafür hinter Gittern. Wir galten als Terroristen. Einige von uns haben gemordet, Splittergruppen tun es heute noch. Die Polizei hat uns gefoltert, 1977 wurde ich entlassen. Wir waren meist Kinder der Mittelschicht und wollten die Gesellschaft grundlegend verändern, und wir wollen es immer noch. Wir wollen die Armen erreichen, aber sie glauben uns nicht, sie sagen: ihr seid nicht wie wir."

    Im Restaurant, im Blick den Bürgersteig, ein geübtes Rollenspiel: Bettler strecken die Hände durch das offene Fenster, der dicke Wirt winkt sie heran, steckt ihnen kleine Münzen zu und sagt: "Verschwindet".

    "Hier auf unserer Straße leben Bauern, sie beliefern uns mit Milch. Es ist eine Familie mit vier Kindern, seit fünf oder sechs Jahren lebt sie auf dem Bürgersteig. Sie hat kein Geld, wir geben etwas, aber ein Haus oder nur eine Hütte ist zu teuer für sie. Die Polizei kommt manchmal, sagt: "Geht zurück ins Dorf", aber dort könnte sie nicht leben. Wir gehen zu den Polizisten und sagen: "Lasst sie in Ruhe, uns stören sie doch nicht". Mehr können wir nicht tun. Für die Familie gibt es keine Alternative, das Leben in Kalkutta ist hart, aber billig, mit zehn Rupien am Tag kann man hier überleben, das geht nirgendwo sonst auf der Welt. Das ist Kalkutta."

    Draußen auf der Straße Musik. Männer trommeln, einer spielt auf einer Heimorgel, Jungen schieben einen Handwagen vor sich her, darauf eine kleine Figur: "Durga ist es, die hinduistische Göttin der Bengalen, eine große Statue wollen wir ihr bauen, wunderschön soll sie werden, ein großartiges Schauspiel wird es sein, wenn wir sie schließlich in den Ganges werfen, spenden Sie was!""

    Auf dem Bürgersteig, Passanten:"Kalkutta ist eine tolle Stadt, es gibt so viele Arme". Und das finden Sie gut? "Ja, da kann man helfen. Ich habe eine Hilfsorganisation wollen Sie nicht gleich was spenden?" Hier auf der Straße? Nein. "Hallo mein Freund, ich habe eine kranke Tochter, muss ihr Ovomaltine kaufen, geben Sie mir 100 Rupien?" "100, gleich soviel? Nein. "Hey, darf ich Ihnen mal was sagen?" Bitte, sagen Sie's nur ... "Ich mache Geld, aber Geld macht nicht mich". Bitte, was sagen Sie da? "

    Ein Moslem ist er, aber das sei egal, sagt er, allen ergeht es gleich, und er erzählt seine Geschichte: "Ich kam als Kind allein nach Kalkutta. Ich hatte gehört, dass es hier Arbeit, mehr als irgendwo sonst, so lief ich durch die Straßen, fand Arbeit, Teller waschen, bekam kein Geld, nur Essen, später 200 Rupien im Monat. Jetzt bin ich Verkäufer, ich verdiene 50 Rupien am Tag, 2 Euro. Ich bin glücklich. Vielleicht wird mir Gott einmal viel Geld geben, dann will ich den Armen helfen. Ich werde nie vergessen wie es war. Geld ist unwichtig, deshalb sage ich: Ich mache Geld, aber Geld macht nicht mich."Die Not ist für uns nicht nur negativ, sie hat auch eine positive Rolle. Eine Zeit durch Not zu gehen ist für uns ein Teil des Lebens. Wenn du die Not nie kennengelernt hast, kennst du nicht das ganze Leben. Wenn du ein vollständiger Mensch sein willst, musst du sie überwunden haben, aber nicht meiden, sondern die Not durch Not überwinden. Ohne diese Erfahrung ist man nicht komplett. Wir akzeptieren die Not als festen Bestandteil unseres Lebens. Und sie gehört weiterhin zu meiner täglichen Erfahrung. Fragen kommen auf: Was ist das Leben, was ist der Tod, was ist Gesellschaft, warum all dieses Elend? Diese Fragen zirkulieren in mir wie Blut, und wenn ich es in einen logischen Rahmen bringen will, dann kommen die Worte in Form von Poesie. Auch Schönheit kann inspirierend sein für einen Dichter, doch ihr Fehlen inspiriert in anderer Weise. Denn man muss über die Realität hinausgehen, um den Ort des Schönen zu erreichen. "

    Der Dichter Shanka Gosh.

    Ein neues Bühnenbild: In der College-Street, nahe der Universität von Kalkutta, Bücherstände, Buchgeschäfte: der größte Buchmarkt der Welt. In einer Seitenstraße, das "Calcutta-Coffeehouse", in zwei Stockwerken lebendige Kaffeehauskultur in abgewetztem Ambiente. Großer, vertäfelter modrig-muffiger Saal, weiß-livrierte Kellner, und die Gäste: tatsächlich, unter ihnen sind Verleger, Schriftsteller und Poeten.

    "In Kalkutta herrscht großes Elend, aber daneben blüht die Musik, die Malerei und die Poesie. Ein Dichter genießt hier eine großes Ansehen. Er mag ein mittelmäßiger Poet sein, aber man sagt trotzdem: Er ist anders, er sieht das Leben in einem nicht alltäglichen Blickwinkel, und man schätzt das sehr. Die Schönheit ist ein wichtiger Aspekt unseres Lebens, doch man muss nach ihr streben, und es ist unsere Aufgabe, um sie zu ringen. "

    Innenstadt: Die britische Herrlichkeit, doch die Banken - einstige, die Hotels - gewesene, nur die Kinos - noch immer. Schön war's, und wie ist es? Der Putz hält nicht an den Fassaden, Moos klettert hinauf, Bäume schlagen auf Balkonen aus. Und drinnen leben Menschen, nein: sie lagern, sie campen. In der einst geplanten Stadt ist die Nutzung nun völlig ungeplant, Bürgersteige, Gebäude, alles ist bewohnt, das Leben in Kalkutta braucht keine intakten Kulissen - findet man sich noch zurecht ?

    Auf dem Bürgersteig, eine Teeküche. Ein Junge schmeichelt redegewandt um Geld, der Halbwüchsige, der den Benzinkocher bedient, sagt: "Geben Sie ihm nichts, er ist gesund, er kann arbeiten." Und was sage ich? "Ja, Junge, denk mal darüber nach, hat der Teeverkäufer nicht recht?", sage ich, aber was meine ich wirklich? Verlange ich nicht, nein, schreie ich da nicht nach einer Regieanweisung: Was soll ich wenigstens noch fühlen?

    "Ich heiße Amitabha Dasgupta. Ich bin ein bengalischer Dichter aus Kalkutta. Das Leben ist hart in Kalkutta, so zog ich einmal weg, aber ich habe es vermisst. Es ist alles für mich, es hat mich versaut, es hat mich bereichert, es vergiftet meine Lunge, es ist mein Sauerstoff. Kalkutta gibt mir Frustration, Kummer, Freude, so, wie eine Geliebte es tut. Ich kann mein Urteil betrügen, mich selbst betrügen, ich kann behaupten, es ist alles übel, aber meine wahren Gefühle kann ich nicht hinters Licht führen. Gedanklich kann jeder sich in Schwarz-Weiß-Malerei ergehen, aber nicht mit dem Gefühl. Manchmal bin ich melancholisch, manchmal froh, manchmal krank, manchmal extrem glücklich, manchmal der einsamste Mensch auf Erden, alles gibt mir Kalkutta. Ein Dichter aus Kalkutta ist unheilbar romantisch, und ich will auch gar nicht geheilt werden, wenn ich dafür mein Kalkutta aufgeben müsste. Ich werde nicht noch mal weggehen, es war mein Schicksal wieder zurückzukommen, so wie ein Mörder an Ort seines Verbrechens zurückkehrt."

    An den Pfeilern der großen Brücke über den Hooghly, der eigentlich der Ganges ist, steht in großen Lettern: "Verschönerung ist unsere Pflicht". Tun sie also letztlich alle bloß die ihre? Spielen sie nur die ihnen zugewiesenen Rollen? Die Blumenhändler am Ufer, dort wo das Wasser heilig ist, bieten Chrysanthemen, Lotosblumen, Girlanden aus orangenen Blüten an inmitten von Dreck, Müll und Wellblechhütten. Und die Menschen kaufen sie, und streuen sie in den Fluß.

    "Und der Ganges. Oft besuche ich die Ghats, die Orte am Ufer, wo die Toten eingeäschert werden, und spreche mit den Dohms, den Menschen, die die Leichen verbrennen. Für nur wenige Münzen verbrennen sie die Knochen, doch sie sind wahre Philosophen. Sie haben nicht nur vom Leben gelernt, sondern bereits vom Tod. Sie sehen die Leiche einer jungen Frau, die gestorben war bei der Geburt ihres Kindes, sie sehen ein schönes, friedliches Gesicht, wie eine Blume. Sie sehen den Tod und sie fühlen: Das ist das Leben. "

    "Ja, das ist widersprüchlich. Doch ich denke, nur aus dem Chaos setzt sich unser Kosmos zusammen, nur aus dem Durcheinander der Töne erwächst schließlich eine Symphonie. Ohne Widersprüche wäre ich ein Stein, ein Verkehrspolizist, oder ein Minister in der Regierung, aber kein lebender Mensch. Ich bin wie der Ganges, der fließende Ganges. Darin schwimmen Blumen und Tierkadaver, das macht für ihn keinen Unterschied, er fließt - und fließt. "