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Indiens neue Popszene
Fernab von Bollywood-Soundtracks

Indiens Popwelt ist eng an die Filmbranche gekoppelt. Aber in den vergangenen Jahren hat sich eine neue, unabhängige Musikszene entwickelt. Die wichtigsten Vertreter sind weiblich, politisch und kennen keine stilistischen Berührungsängste.

Von Sigrid Pfeffer | 15.08.2017
    Zwei Männer schauen sich im Zuge des World Music Das in einem Musikladen in Mumbai Schallplatten an.
    Indische Musik ist mehr als Bollywood: Zwei Männer schauen sich im Zuge des World Music Das in einem Musikladen in Mumbai Schallplatten an. (picture alliance / dpa / Divyakant Solanki)
    "Ich würde jede Art von Musik als unabhängig bezeichnen, die nicht im Zusammenhang mit Bollywood entsteht, also der indischen Filmmusik. Das kann alles sein, Folk, sogar elektronische Musik, alles von Rock, Pop…das ist eine Parallelindustrie, aber viel kleiner, ohne Geld, nicht organisiert, jedenfalls außerhalb der Filmindustrie."
    Sagt Nirmika Singh, Chefredaktuerin in der indischen Ausgabe des "Rolling Stone". Eine der erfolgreichsten Musikprojekte der Independent-Szene: Pulpy Shilpy.
    Hinter dem Pseudonym Pulpy Shilpy steckt die 31-jährige Gowri Jayakumar aus Pune. Sie ist eine der wichtigsten Protagonistinnen der elektronischen Musik. Aber auch als Jazzmusikerin mit ihrer Band Run Pussy Run hat sie sich einen Namen gemacht – hier mit einer klitzekleinen Reminiszenz an die indische Filmmusik.
    Sanfter Pop und politischer Punk
    Weit weg von Bollywood klingt es in Indien aber auch so. Raffiniert arrangierter Pop kommt aus Kolkata von Parekh & Singh. Das Duo hat gerade für ein englisches Plattenlabel sein Debütalbum "Ocean" aufgenommen. Mit dem sind die beiden gerade in Indien ganz groß rausgekommen. Weniger sanfte Töne kommen dagegen aus der indischen Hauptstadt.
    Hier zeigen die Vinyl Records aus Delhi in bester Rumpelpunkmanier dem indischen Machismo lautstark den ausgestreckten Mittelfinger. Die vier Frauen sind mit indischer Filmmusik aufgewachsen, die sie auch nach wie vor sehr mögen. Aber ihre musikalischen Vorbilder sind amerikanische Frauenpunkbands aus den 90ern. Und wie viele andere Musikerinnen auch, thematisieren sie die traditionelle Frauenrolle in Indien und die damit verbundenen Restriktionen.
    Explizit politische Töne sind bei den Ska Vengers zu hören, ebenfalls aus Dehli. In dem Song "011" geht es um staatliche Überwachung und Manipulation durch die Medien. Die Musik dieser Band speist sich aus vielen Einflüsse: Ska, Jazz, Reggae und Punk. Nicht nur in Delhi, auch in anderen Großstädten, entstehen immer mehr Inseln urbaner Musikkultur, wie Musikclubs und Kulturzentren.
    Von traditioneller Musik beeinflusst
    Die Musikerinnen und Musiker sind gut untereinander vernetzt, auch über die großen Distanzen hinweg – das Internet sei Dank. Und das Netz inspiriert: Einen vorherrschenden Musikstil gibt es nicht, genauso wie in der westlichen Welt. Viele Musikstile stehen nebeneinander – oft von der alten indischen Musik beeinflusst: Hardrock in Hindi, Folk verwoben mit indischen Musiktraditionen, Jazz und elektronische Musik.
    Vinesh Iyer organisiert Goa Kultur- und Musikveranstaltungen mit indischen und internationalen Musikern. Mit viel Engagement wirbt er für das enorme musikalische Potenzial und dafür, hinzuhören ohne die Klischeevorstellungen, wie Musik aus Indien zu klingen hat.
    "Es wird höchste Zeit, dass Indien international anerkannt wird als ein Land mit unglaublichen musikalischen Talenten – unabhängig von indischen Musiktraditionen und unabhängig von der Frage, was ist typisch indisch? Es ist höchste Zeit, sie im internationalen Kontext zu beurteilen und nicht automatisch zu erwarten, diese Band ist aus Indien und sollte dann einen Tablaspieler dabei haben oder klassische indische Instrumente, das ist wirklich längst überholt."