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Indiens Premierminister Modi
Hoffnungsträger in der Kritik

Der indische Premierminister Narendra Modi galt bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr als großer Hoffnungsträger. Aber langsam wächst die Ungeduld, denn große Reformen blieben bislang aus. Und: Ihm sitzen rechte Hardliner im Nacken.

Von Jürgen Webermann | 23.05.2015
    Enttäuschung. Das ist ein immer wieder benutztes Wort in diesen Tagen in Indien, wenn es um die Regierung von Premierminister Narendra Modi geht. Auch diese jungen Inder in einem schicken Einkaufszentrum im Süden von Neu-Delhi haben von Modi mehr erwartet. Sie alle sind jung, gehören der Mittelklasse an und haben Modi gewählt, weil sie sich entscheidende Wirtschaftsreformen versprachen.
    "Die Inflation ist hoch, die Wirtschaft läuft auch nicht besser. Es hat sich nichts geändert, seit er in der Regierung ist", sagt einer. Einer der Umstehenden nickt heftig.
    "Die Geschäfte laufen doch weiterhin schlecht hier. Das Einzige, das Modi kann, ist große Reden halten. Deshalb ist er ja auch gewählt worden."
    Und ein Dritter ergänzt: "Ich hatte so große Erwartungen. Aber er hat nichts verändert. Ich hatte so auf Bildungsreformen gehofft. Und jetzt habe ich Angst, dass meine Kinder nur schlecht ausgebildet werden."
    Hartosh Singh Bal stimmt den jungen Männern zu, Singh Bal ist politischer Analyst in Neu-Delhi und ein gern gesehener Gast in indischen Talkshows.
    "Wenn man sich das vergangene Jahr genau anschaut, wird man feststellen, dass die indische Wirtschaft genau so aufgestellt ist wie unter der vorherigen Regierung. Da waren viele PR-Slogans, viel Gerede, aber keine echten Reformen."
    "Kommt und produziert in Indien"
    Dabei hatte Modi noch Glück, glaubt Singh Bal. Seine Vorgänger von der Kongresspartei standen für Misswirtschaft und Krise. Modi hingegen profitiert davon, dass der Ölpreis gefallen ist, und auch davon, dass in Europa die Märkte mit Geld geflutet werden, so dass viele Finanzinvestoren auch in Indien anlegen. Modi hat eine große Kampagne gestartet, um Unternehmer aus aller Welt nach Indien zu locken. Er will Indien zur Industrienation aufbauen. Den passenden Slogan verkündete der Premierminister im vergangenen Sommer: "Kommt und produziert in Indien", rief er ins Mikrofon. Zuletzt machte Modi auf seiner Werbetour Stopp auf der Industriemesse in Hannover. "Ausländische Investitionen zu fördern, das ist eine Aufgabe für uns alle, für 1,25 Milliarden Inder. Für die Konzerne ist das eine riesige Gelegenheit. Mein Appell an die ausländischen Investoren lautet: Lasst uns Indien entwickeln."
    Tatsächlich hat die PR-Kampagne den Ruf Indiens verbessert – zumindest unter ausländischen Konzernlenkern. Weniger Bürokratie soll es geben, weniger Korruption, bessere Infrastruktur, hundert so genannte intelligente und vom Reißbrett geplante Städte, einheitlichere Steuern, Indien soll sauberer werden – all das sind Versprechen, die Modi immer wieder betont. Aber auch hier fehle es an Substanz, sagt Hartosh Singh Bal.
    "Was soll 'Make in India' eigentlich heißen? Und wie sieht die Realität tatsächlich aus? Was für Reformen sind das, die Indien zu einem Industriestandort machen könnten? Und wie stellen wir sicher, dass wir genügend Jobs schaffen? Es fehlt an einer klaren Zielgröße."
    Dabei ist klar: Indien hat eine junge Bevölkerung, 50 Prozent der Inder sind unter 25 Jahre alt. Zwölf Millionen Menschen strömen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt. Modi verkauft das als großen Vorteil. Aber dafür braucht er schnell Unternehmen, die neue Fabriken bauen. Sonst könnte die so genannte demographische Dividende ein demographischer Alptraum werden. Das sagte sogar Modi selbst, als er die "Make in India"-Kampagne startete und sich an die mächtigsten Wirtschaftsführer Indiens wandte:
    "Nun, wenn Sie als Industrielle meinen, Indien sei ein großer Markt – haben Sie auch daran gedacht, dass es auf diesem Markt auch Menschen geben muss, die Ihre Produkte kaufen können? Was, wenn wir es nicht schaffen, unseren Bürgern zu mehr Kaufkraft zu verhelfen? Dann wären all die tollen Chancen, die Indien bietet, dahin."
    Toiletten statt Tempel
    Modi kommt aus armen Verhältnissen. Deshalb wirkt er glaubwürdig, wenn er aus armen Menschen Konsumenten machen will oder wenn er betont, dass der Bau von Millionen Toiletten wichtiger sei als der Bau von Tempeln. In Indien haben 600 Millionen Menschen keine Toiletten. In seinen Reden spricht er viele wunde Punkte an, auch die zahllosen Fälle von Gewalt gegen Frauen – in seiner Rede an die Nation zum Unabhängigkeitstag erklärte er:
    "Eltern fragen ihre Töchter, die ausgehen wollen, besorgt, wohin gehst Du? Aber fragen sie denn auch ihre Söhne? Ein Vergewaltiger ist aber immer auch ein Sohn irgendeiner Familie. Wir Eltern aber fragen nur unsere Töchter, warum nicht auch unsere Söhne?"
    Aber trotzdem hat Modis Regierung den Worten keine Taten folgen lassen. Obwohl die Vereinten Nationen Indien aufforderten, Vergewaltigung in der Ehe endlich unter Strafe zu stellen, will die Regierung dem nicht nachkommen. Die Ehe sei "heilig", hieß es zur Begründung. Auch in Indien gehen die meisten Fälle von Gewalt gegen Frauen von Ehemännern oder Verwandten aus.
    Und was Modis Umweltpolitik angeht, so konzentriert er sich vor allem auf seine "Säubert den Ganges" und "Säubert Indien"-Kampagne, für die er selbst für die Fotografen zum Besen griff. Sein Umweltminister dagegen benannte die gefährliche Luftverschmutzung in Delhi als "alten Hut". Die vielen alarmierenden Berichte auch in indischen Medien seien Teil einer gesteuerten Kampagne, die zum Ziel habe, Indiens Entwicklung zu bremsen.
    Doch Modi hat ein grundsätzliches Problem: Er kann nicht durchregieren. Im Oberhaus, ähnlich dem deutschen Bundesrat, hat er keine Mehrheit. Dafür müsste Modi noch einige Landtagswahlen gewinnen, und das wird mit wachsender Ungeduld seiner Wähler schwierig, meint Hartosh Singh Bal.
    "Statt mit der Opposition zusammenzuarbeiten, regiert er autokratisch. Er hätte einige wichtige Reformen umsetzen können, wenn er einen Konsens gesucht hätte."
    Sorgen der Landwirte
    In Neu-Delhi, der Hauptstadt, verfehlte Modis Partei BJP bei den Landtagswahlen im Februar nicht nur die Mehrheit – es setzte sogar eine krachende Niederlage. Eine längst abgeschriebene Anti-Korruptionspartei, die "Partei des kleinen Mannes", erreichte sensationelle 67 von 70 Sitzen in Delhis Parlament. Einige Wochen später protestierten tausende Bauern auf den Straßen der Hauptstadt gegen eine Landreform, die Modi eigentlich dringend für seine Infrastrukturprojekte durchsetzen will. Damit will Modi es Investoren erleichtern, Flächen für Fabriken oder für Autobahnen zu erwerben. Die Angst der Landwirte ist groß, dass sie enteignet oder zumindest nicht ausreichend entschädigt werden könnten. Im indischen Parlament, in dem Modi eine klare Mehrheit hat, ging das neue Landgesetz durch. Aber im Oberhaus wird die Reform derzeit blockiert.
    Aber Modi sitzt auch die eigene Partei, die BJP, im Nacken, die vor allem Belange der Hindus vertritt, die in Indien die Mehrheit stellen. In der BJP versammeln sich auch Hardliner, die Jugendorganisation RSS, in der auch Modis Karriere begann, gilt als stramm rechts und "hindu-nationalistisch". Es gab Anschläge auf Kirchen und Moscheen, anti-muslimische Kampagnen, und Befürchtungen, dass es für Minderheiten im eigentlich bunten Indien, indem das Nebeneinander von Religionen Tradition hat, schwer werden könnte. Viele Inder lasten das den rechten Kräften in der BJP an. Modi selbst stellte inzwischen klar, dass er Intoleranz ablehne. Denn der Premierminister weiß sehr wohl, wie wichtig es für seine Wirtschaftspolitik ist, dass Indien einen guten Ruf genießt. Die Schlagzeilen über brennende Gotteshäuser stören die "Make in India"-Kampagne.
    Viele Inder haben die Hoffnung, die sie in Modi gesetzt haben, aber noch nicht aufgegeben. So wie diese jungen Studenten:
    "Ich finde schon, dass sich hier was tut. Und ich mag Modi dafür. Er macht gute Arbeit", sagt eine junge Textildesign-Studentin. Und ihr Kommilitone ergänzt: "Es ist doch lächerlich, ihn nach einem Jahr so hart zu bewerten. Ich glaube, ausländische Firmen werden nach Indien kommen. Ein Jahr ist zu kurz, um eine Bilanz zu ziehen. Immerhin haben wir ihn für fünf Jahre gewählt."