Dienstag, 19. März 2024

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Indonesien
"Der Versuchung widerstanden, einen Populisten zu wählen"

Die vorläufige Wiederwahl von Präsident Joko Widodo zeige, dass die Indonesier mehrheitlich Toleranz wollten, sagte Südostasien-Experte Moritz Kleine-Brockhoff im Dlf. Dennoch stünden viele früher selbstverständliche Werte durch Islamisten unter Beschuss. Widodo müsse darauf reagieren.

Moritz Kleine-Brockhoff im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.04.2019
17.04.2019, Indonesien: ©Kyodo/MAXPPP - 17/04/2019 ; Indonesian President Joko "Jokowi" Widodo casts a ballot in the presidential election at a polling station in Jakarta on April 17, 2019. (Kyodo) ==Kyodo Foto: MAXPPP |
Wohl Indonesiens alter und neuer Präsident: Joko Widodo. Die offiziellen Wahlergebnisse in der drittgrößte Demokratie der Welt sollen Anfang Mai veröffentlicht werden. (picture alliance / dpa / Kyodo/ MAXPPP )
Sandra Schulz: Das offizielle Wahlergebnis, das soll erst im Mai vorliegen. Aber schon recht bald nach der Schließung der Wahllokale gestern, da zeichnete sich ab, dass nach der Wahl in Indonesien Amtsinhaber Joko Widodo wohl wird weitermachen können.
Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. Mit mehr als 190 Millionen Wahlberechtigten wird das Land auch oft als drittgrößte Demokratie der Welt bezeichnet. Darum wollen wir diese Wahl, dieses sich abzeichnende Wahlergebnis jetzt noch mal genauer besprechen. Am Telefon ist Moritz Kleine-Brockhoff. Er leitet das Regionalbüro Südost-Ostasien der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Bangkok und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen! Welche Rolle hat bei dieser Wahl die Religion gespielt?
Moritz Kleine-Brockhoff: Es gab ein Lager von Islamisten, die Stimmung gemacht haben. Es gab einen Präsidentschaftskandidaten, General Prabowo, der sich vor den Karren hat sperren lassen – nicht, weil er selbst ein Fundamentalist wäre, sondern weil er kaum eine Option hatte. Es hat sich aber gezeigt, dass die Wähler klar entschieden haben. Sie haben das angedeutet.
Es gibt Hochrechnungen und diese Hochrechnungen waren bei den vergangenen Wahlen sehr, sehr zuverlässig. Danach sind zehn Prozentpunkte zwischen dem amtierenden Präsidenten und dem Herausforderer. Joko Widodo wird weiterregieren und das ist auch eine Absage der Wähler an die Islamisierung, die ja fortschreitet in Indonesien. Im Übrigen haben auch die konservativ-islamischen Parteien bei der Parlamentswahl gestern, die ja gleichzeitig stattfand, insgesamt nur 20 Prozent der Stimmen gewonnen. 80 Prozent haben sich anders entschieden, haben sich für Pluralismus und Toleranz entschieden.
"Toleranz und Vielfalt unter Beschuss"
Schulz: Aber ist es diese klare Absage, die Sie da skizzieren? Wir sehen ja auch, dass sich Widodo als Vizepräsidenten einen führenden Imam ausgesucht hat, der immerhin auch Homosexualität unter Strafe stellen will.
Kleine-Brockhoff: Ja. Es gibt ein Klima in Indonesien, das es notwendig macht, Religiosität zu demonstrieren, und diese Nominierung dieses in der Tat konservativen Vizepräsidentschafts-Kandidaten war ein Zeichen von Joko Widodo. Er wollte da keine Flanke bieten und es ist traurig, dass das mittlerweile nötig ist in Indonesien. Früher war Toleranz, Pluralismus, Minderheitenschutz, Einheit in Vielfalt – das ist ja eingraviert im Staatswappen – selbstverständlich in Indonesien, und das steht unter Beschuss und es gibt konservative Strömungen und auch Präsident Joko Widodo musste darauf reagieren.
Aber dieser Ausspruch, die Islamisten haben schon gewonnen, hat sich nicht bestätigt. Die Wähler wollen das nicht und sie haben sogenannte national-säkulare Parteien und auch einen toleranten Präsidenten wiedergewählt.
Schulz: Sie sagen, der moderate Islam, überhaupt Indonesien als tolerantes islamisches Land ist unter Druck. Aber wir sehen diese Wahl nicht als Abkehr von dieser Tradition?
Kleine-Brockhoff: Nein, im Gegenteil! Ich sehe das als Bestätigung. – Gleichzeitig darf man die Tendenzen in der Gesellschaft nicht kleinreden. Die Tatsache, dass konservative islamische Parteien traditionell immer weniger, insgesamt als ein Drittel der Stimmen bekommen haben, darf nicht davon ablenken, dass Indonesien als Ganzes schon konservativ-religiöser wird. Es ist alles nicht mehr selbstverständlich. Die Islamisten sind laut. Es geht hier erst mal natürlich um Beschuss von Minderheiten. LGBT-Community haben Sie gesagt, aber auch Schiiten, Ahmadiyya.
Es gibt viele Minderheiten, die unter Druck sind, und es gibt lokale Dekrete, die dann Kleidungsvorschriften machen, Alkoholverbote, solche Sachen. Das kannten wir alles früher in Indonesien nicht und die Tendenz ist in den vergangenen 20 Jahren nur in eine Richtung: es wird alles immer konservativer. Das hat etwas damit zu tun, mit der Demokratisierung nach Ende der Militärherrschaft vor 20 Jahren, und die hat auch Meinungsfreiheit für Fundamentalisten und sogar für Verfassungsfeinde geschaffen.
"Menschen wollen mehrheitlich Pluralismus und Toleranz"
Schulz: Wie erklären Sie, dass das so viele Menschen anzieht, dass so viele Menschen das so attraktiv finden?
Kleine-Brockhoff: Wissen Sie, es ist als Moslem, egal ob man sehr gläubig ist oder sehr liberal, schwierig, für Alkohol aufzustehen. Es ist schwierig. Man will selbst nicht als unreligiös dastehen. Das geht einem Präsidenten so, das geht aber auch jedem einzelnen im Alltag so. Aber noch mal: Das Wahlergebnis zeigt, dass die Menschen mehrheitlich Pluralismus und Toleranz wollen. Sie haben jeder Versuchung, einen Populisten zu wählen, der Islamisten auf seiner Seite hatte, widerstanden, und das ist sehr wichtig.
Es ist auch sehr wichtig, dass diese Wahlen wieder frei und fair waren. Wo gibt es das schon auf der Welt, dass Islam und Demokratie miteinander vereinbar sind. Sie waren friedlich. Indonesien ist stabil, und das ist keine Selbstverständlichkeit in Südostasien und das ist weltweit auch keine Selbstverständlichkeit.
Schulz: Was das Land ja auch so interessant macht. – Widodo ist 2014 gewählt worden, damals auch vom Westen gefeiert als eine Art Obama Indonesiens. Welche Hoffnungen hat er erfüllt?
Kleine-Brockhoff: Jetzt kommen wir zu den Themen, die auch übrigens für Wähler tendenziell wichtiger sind. Wir sprechen sehr viel über den Islam und die Tendenzen, aber es geht natürlich um Infrastruktur, es geht um Arbeitslosigkeit, es geht um Antikorruption, es geht um den Gesundheitssektor und so weiter. Joko Widodo hat in den Augen der meisten seinen Job gut gemacht. Es gibt aber auch natürlich Stimmen, die enttäuscht sind von ihm.
Viele in der Zivilgesellschaft bemängeln, dass er Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit nicht hat aufarbeiten lassen, was er eigentlich versprochen hatte. Wir haben ein stabiles Wirtschaftswachstum von fünf Prozent, aber eigentlich braucht das Land etwas mehr und es wäre auch mehr drin. In der Infrastruktur hat er geglänzt, es wird sehr viel gebaut in Indonesien, Autobahnen, Straßen, Häfen, Flughäfen, eine U-Bahn. Er hat einiges erreicht, aber es bleibt noch unglaublich viel zu tun in diesem riesen Land, das – das muss man sagen – auch nicht so leicht zu regieren ist.
Der indonesische Präsidentschaftschaftskandidat Prabowo Subianto während seiner Kampagne vor Anhängern
Der indonesische Präsidentschaftschaftskandidat Prabowo Subianto während seiner Kampagne vor Anhängern. Prabowo ist der Schwiegersohn des früheren Diktators Suharto. (dpa / picture alliance / Adi Weda)
Schulz: Jetzt hat er bei dieser Wahl mit Prabowo einen Herausforderer mit einer düsteren Vergangenheit. Es ist der Schwiegersohn des früheren Diktators Suharto, Ex-General. Ihm selbst werden auch schwere Verbrechen von Ende der 90er-Jahre vorgeworfen. Warum konnte er dem Amtsinhaber überhaupt so gefährlich werden?
Kleine-Brockhoff: Ja, das ist eine gute Frage. Das war ja auch schon vor fünf Jahren so. Da sind die beiden schon mal gegeneinander angetreten. Damals waren sechs Prozentpunkte dazwischen, jetzt sind es acht. Von Prabowo geht auch eine Attraktion aus, weil er hat was. Er ist staatsmännisch, er spielt diese Nationalismus-Karte. Er hat keine Substanz, aber er verspricht viel. Er sagt immer das, was die Menschen in dem Raum hören wollen, und gibt sich mit Statussymbolen, reitet auf Pferden und so. Das kommt bei manchen Leuten an, zum Glück aber nicht bei genügend. Ich glaube nicht, dass er zum dritten Mal versuchen wird, Präsident zu werden. Er hat es jetzt zweimal versucht und zweimal verloren.
"100 Millionen US-Dollar für den Wahlkampf"
Schulz: Warum gibt oder gab es da keinen anderen oder keine andere?
Kleine-Brockhoff: Das ist auch eine gute Frage. Allerdings ist so ein Wahlkampf ja auch sehr teuer. General Prabowo hätte nahe gelegen, dass er sich einen Islamisten als Vizepräsidentschafts-Kandidaten an die Seite stellt. Das hätte seine Chancen wahrscheinlich auch noch erhöht. Aber da war er offenbar gezwungen, einen reichen Geschäftsmann, einen Unternehmer zu nehmen, der ihm seinen Wahlkampf finanziert hat, ganz überwiegend, und der Herr hat aus seiner Privatschatulle mehr als 100 Millionen US-Dollar in den Wahlkampf gesteckt. Man muss es sich auch erst mal leisten können, als Präsidentschaftskandidat anzutreten, und in der Tat gab es niemanden außer diesen beiden Kandidatenpaaren. Übrigens auch 2014 war das so, es gab nur zwei Paare.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.