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Entdeckung in Indonesien
Das älteste Jagdbild der Welt

In Südostasien haben Archäologen kunstvoll gemalte Jagdszenen in einer Höhle entdeckt. Es sind die ältesten bislang bekannten Kunstwerke. Sie könnten darauf hinweisen, dass Menschen sich schon vor 44.000 Jahren Geschichten erzählt oder Religionen entwickelt haben, also zu abstraktem Denken fähig waren.

Michael Stang im Gespräch mit Ralf Krauter | 12.12.2019
Das vermutlich älteste gegenständliche Kunstwerk der Menschheit: Höhlenmalerei aus Indonesien. Sie zeigt Jäger und Tiere.
Das vermutlich älteste gegenständliche Kunstwerk der Menschheit: Höhlenmalerei aus Indonesien (AFP/GRIFFITH UNIVERSITY)
Ralf Krauter: Wann unsere Vorfahren damit begonnen haben sich selbst zu reflektieren, sich Geschichten zu erzählen, zu glauben, also eine Religion zu entwickeln, darüber können Archäologen nur spekulieren. Ein Anhaltspunkt sind Schnitzereien oder bildliche Darstellungen, die ansatzweise verraten, an was die Menschen früher geglaubt oder wovon sie geträumt hatten, wovor sie sich fürchteten oder was sie vielleicht der Nachwelt hinterlassen wollten. Den bislang ältesten Nachweis für ein solches abstraktes Denken haben nun Archäologen in Indonesien entdeckt. Im Fachblatt NATURE stellen sie ihre Entdeckung vor. Um was für eine Entdeckung handelt es sich da, Herr Stang?
Michael Stang: Ein indonesisch-australisches Archäologenteam ist in einer Kalksteinhöhle auf der indonesischen Insel Sulawesi auf eine fabelhafte Geschichte gestoßen. Im wahrsten Sinne des Wortes, und zwar auf die älteste bislang in der Wissenschaft bekannten Jagdszene, festgehalten mit dunkelrotem Pigment an einer Höhlenwand. Erstaunlich ist vor allem das Alter der Darstellung, rund 44.000 Jahre. Die Malereien zeigen alle denselben Stil und sind gleich alt, vermutlich wurde die Jagdszene, die sich über viereinhalb Meter erstreckt, von ein und derselben Person angefertigt
Mischwesen aus Menschen und Tieren
Krauter: Und was genau ist bei der Jagdszene zu sehen?
Stang: Man sieht eine Gruppe menschenähnlicher Jäger, die sechs Tiere jagt. Das sind zwei Warzenschweine und vier bis heute in Indonesien lebende Anoas, das sind sehr kleine Büffel. Die Jäger sind bewaffnet, mit Seilen oder Speeren, das ist auf den Malereien nicht sehr gut zu erkennen, weil sie schon stark verwittert sind. Spannend und deutlich sichtbar hingegen ist aber, dass die Jäger auch tierische Merkmale aufweisen.
Die Forscher sprechen von Therianthropie, also von Wesen, die Merkmale von Mensch und Tier zeigen. In der Literatur kennt man das zum Beispiel vom Thema Werwolf, oder in der Archäologie vom sogenannten Löwenmenschen. Das ist die berühmte Elfenbeinschnitzerei vom Hohlenstein-Stadel im Lonetal, gut 31 Zentimeter groß und bis zu 41.000 Jahre alt. Diese Figur stellt einen Menschen mit dem Kopf und den Gliedmaßen eines Höhlenlöwen dar und gehört zu den ältesten Kleinkunstwerken der Menschheit. Aber diese neu entdeckten Malereien in Indonesien sind um einiges älter.
Krauter: Wie sicher sind die Datierungen?
Stang: Da gibt es wenig Zweifel, datiert haben die Forscher das so genannte Höhlenpopcorn, also Auskristallisierungen, die auf den Zeichnungen gewachsen sind. Und mithilfe der Uran-Thorium-Datierung kann man diese Kalzitkrusten messen, die sind jünger als die Malereien und die Forscher haben das an verschiedenen Stellen gemacht und alles deutet auf ein Alter von über 40.000 Jahre hin, aller Wahrscheinlichkeit nach knapp 44.000 Jahre.
Möglicherweise ein erstes Anzeichen für Religion
Krauter: Was bedeuten das hohe Alter und die Darstellung solcher fantastischen Mischwesen in den Augen der Forscher?
Stang: Diese Künstler waren schon in der Lage zu abstrahieren. Es geht nicht um die naive Darstellung einer Szene aus dem Alltag, sondern sie haben die Tiere realistisch dargestellt, die Jäger aber nicht, sondern diese Menschen wurden bewusst verfälscht und das alles wurde in einer fabelhaften Action-Szene, wenn man so will, dargestellt. Diese Malereien waren aufwändig, vermutlich lange geplant, das Material musste besorgte werden und das Ganze wurden professionell durchgeführt.
Einige Experten sehen darin nicht nur Kunst, sondern auch die frühesten nachweisbaren Anzeichen für Religion. Und diese gab es in Südost-Asien schon zu einer Zeit, in der in Europa noch die Neandertaler lebten und sich zunehmend mit Vertretern von Homo sapiens auseinandersetzen mussten. Unklar ist daher auch, wer der Künstler oder die Künstlerin war. Denn Knochenfunde, die Aufschluss darüber geben könnten, gibt es dort nicht
Krauter: Bedeutet das, dass die Wiege der Kunst eventuell nicht in Europa lag?
Stang: Mit solchen Gedanken tut sich ja die Wissenschaft in Deutschland oder Europa seit jeher schwer. Es muss aber kein singulärer Ursprung sein, es muss nicht den einen Ursprung gegeben haben, sondern Kunst und Religion haben sich überall auf der Welt mehrfach entwickelt, zu unterschiedlichen Zeiten. Indonesien steht jetzt bezüglich der Zeit ganz weit vorne.
Aber die Höhlenmalereien in Frankeich in der Chauvet-Höhle sind natürlich künstlerisch deutlich anspruchsvoller, aber eben auch mit 30.000 Jähren um einiges jünger.