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INF-Abrüstungsvertrag
"USA versuchen, Russland durch sehr aggressive Strategie zurückzudrängen"

Die amerikanisch-russischen Beziehungen sind seit Jahren angespannt. Eine Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrags durch die USA wäre die logische Konsequenz, sagte Politologe Christian Hacke im Dlf. US-Präsident Trump wolle beweisen, dass er der Anti-Putin-Stimmung im Land Rechnung trage.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk Müller | 22.10.2018
    Helsinki-Gipfel: US-Präsident Trump trifft Russlands Präsident Putin (16.7.2018).
    Geplanter Ausstieg aus dem INF-Abrüstungsabkommen "Der Hintergrund ist der Wiederaufstieg russischer Macht", meint der Politikwissenschaftler Christian Hacke. (dpa / Heikki Saukkomaa/Lehtikuva)
    Dirk Müller: Der INF-Vertrag also auf der Kippe? Vertrauen ist gut, Verträge sind gut, doch Kontrolle ist besser und Konsequenzen sind noch besser. Vielleicht ist das die Devise von Donald Trump? Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke, guten Tag!
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller!
    "Viele haben das nicht in dieser Konsequenz kommen sehen"
    Müller: Herr Hacke, ist das ein Aufwachen aus dem Dornröschenschlaf?
    Hacke: Nein, aus dem Dornröschenschlaf ganz bestimmt nicht. Denn ich würde sagen, umgekehrt, man könnte fast sagen, dass die amerikanisch-russischen Beziehungen ja schon nun seit Jahren sich verschlechtert haben und dass jetzt auf eine traurige Weise fast schon logisch es erscheint, dass nun auch die Konfrontation sich weiter ausdehnt und eben auf die Nuklearfrage, auf die Mittelstreckenraketen, auf den INF-Vertrag sich ausdehnt. Nein, das ist kein Dornröschenschlaf. Viele haben das nicht in dieser Konsequenz kommen sehen, aber dass die Verschärfung der amerikanisch-russischen Beziehungen das Hauptthema ist, das ist klar.
    Müller: Das liegt vielleicht auch daran, dass viele von uns, also auch in den Medien, wie auch immer, das Thema INF so vergessen haben, abgehakt haben, weil es eben schon seit Jahrzehnten besteht, dieser Vertrag. Und jetzt liest man dann auf einmal ganz plötzlich, INF-Vertrag soll gekündigt werden, sagte Donald Trump. Diejenigen wie Sie, die sich kontinuierlich damit beschäftigen, wussten schon länger, dass da was im Argen liegt. Wie arg ist es denn?
    Hacke: Ja, das ist schwierig einzuschätzen. Wie damals wissen wir heute auch nicht genau, was diese SSC 8, also diese neue Mittelstreckenrakete der Russen zwischen 500 und 5.500 Kilometer, was das nun im Eigentlichen ist. Aber davon mal abgesehen, man kann es auch sehen, jetzt wenn es so sein sollte, die russische Aufrüstung muss gesehen werden im Gesamtkontext der amerikanisch-russischen Beziehungen und vor allem mit Blick auf Europa. Und die Russen haben sich schon seit Jahren darüber beschwert, dass die Amerikaner sie in die Enge drängen, Stichwort NATO-Osterweiterung, Stichwort Raketenabwehrsysteme in Rumänien, die angeblich gegen den Iran gerichtet sind, da können ja nur die Hühner drüber lachen! Oder auch eben der Ausbau nun Polen als ein antirussischer Pfeiler in der amerikanischen Sicherheitspolitik. Also …
    "NATO rückte immer näher ran und das haben die Amerikaner forciert"
    Müller: Also die NATO rückt immer näher ran an die Grenzen?
    Hacke: Die NATO rückte immer näher ran und das haben die Amerikaner forciert. Und die Tragik eigentlich sehe ich darin im Moment, dass Donald Trump ja ursprünglich eigentlich der Präsident war, von dem man hoffte, dass sich die Beziehungen zu Russland verbessern. Das hatte er auch angekündigt, als er Präsident wurde. Nun aber, glaube ich, müssen wir sehen den Gesamtkontext im inneramerikanischen Zusammenhang. Das heißt erstens die Midterm-Wahlen. Da muss er jetzt beweisen, dass er der generellen Anti-Putin-Stimmung Rechnung trägt, damit er diese konservativen, erzkonservativen und antirussischen auch Schichten nicht vergrätzt und dass für ihn das amerikanische Sicherheitsinteresse über allem steht. Also das ist wichtig. Also hier steht er unter Druck vor allen Dingen bei den Republikanern, bei seinen eigenen Leuten, wo diese extrem antirussisch eingestellten Kräfte und die Hardliner das Sagen haben. Bolton repräsentiert diese. Trump dagegen – und das ist die Tragik – gehört eigentlich eher zu den Realpolitikern, also die eine traditionelle Großmachtpolitik befürworten und die auch in gewisser Weise eine besondere russische Einflusssphäre in Europa, sagen wir mal, stillschweigend anerkennen. Also …
    Müller: Man sollte ja auch meinen, wenn er mit Nordkorea zurechtkommt, könnte er auch mit Russland irgendwie zurechtkommen.
    Hacke: Ja, genau.
    Müller: Wenn ich es richtig verstanden habe aber, Herr Hacke, ist der INF-Vertrag nur ein Vehikel der Auseinandersetzung.
    Hacke: Ich glaube, dass die ganze Kontroverse jetzt um den INF-Vertrag eher ein Vehikel ist, und der Hintergrund ist der Wiederaufstieg russischer Macht. Das ist unumstößlich, das mussten sie auch, nachdem sie darniederlagen in den vergangenen 20 Jahren. Und die Frage ist, wie wir mit dem Wiederaufstieg Russlands umgehen.
    "Wir sitzen da mittendrin als Europäer, relativ ohnmächtig"
    Müller: Ist das nicht gut für das Gleichgewicht?
    Hacke: Moment! Sollen wir ihn verhindern? Können wir ihn bremsen oder müssen wir uns damit arrangieren? Die Europäer, besonders die Deutschen sagen sich, wir können ihn allenfalls bremsen, aber am besten wäre es, wir müssen uns damit arrangieren. Die Amerikaner hingegen als ein Land im Abstieg, und das sage ich jetzt absichtlich, das ist ein Problem von Aufstieg und Fall von großen Mächten, die in der Konkurrenz stehen … Also Aufstieg Russlands, dagegen der Niedergang der USA und natürlich nun das Bemühen, geostrategisch alles zu tun, um wenigstens den eigenen Abstieg zu verändern, wieder in Europa stärker zu werden und Russland zurückzudrängen. Und wir sitzen da mittendrin als Europäer, relativ ohnmächtig. Und das ist eben die Schlüsselfrage und unser Hauptproblem.
    Müller: Aufstieg und Fall der Mächte, Sie ziehen jetzt die ganz großen Linien.
    Hacke: Ja.
    Müller: Versuchen wir vielleicht, noch mal etwas konkreter auf die operative Politik zurückzukommen, oder ich stelle jetzt auch noch mal eine generelle Frage, fällt mir jetzt gerade ein: Sie sagen, das ist eben wichtig in diesem Messen von Gleichgewicht und Kräften, Balance of Power war ja immer das große Stichwort … Kann Russland nur wieder ein akzeptierter, kollegialer Partner werden, wenn Russland stark ist?
    Hacke: Wir müssen uns damit abfinden, dass wir Russland als eine revisionistische Macht … Sie sucht die Revision. Die geopolitische Revision, sie will den Wiederaufstieg. Die Frage ist, inwieweit und in welchem Umfang? Das geopolitische Moment wird ja von den Russen unscharf gehalten, absichtlich. Sie haben natürlich mit ihrer Militärstrategie Ziele, das sind drei Ziele, Gefahrenabwehr, das ist klar, die regionale Einflusssphäre zu kontrollieren und vermutlich auch auszudehnen, und den Handlungsspielraum anderer, vor allem der Amerikaner einzuschränken. Und da müssen wir sehen, wie wir damit zurechtkommen. Und das sind eben Interessenfragen. Aber nun, wie die Amerikaner es versuchen, eben Russland doch durch eine sehr aggressive Strategie zurückzudrängen, das bringt enorme Probleme mit sich, denke ich.
    Müller: Noch mal also die daran anschließende Frage: Können wir ein Interesse daran haben, dass Russland bis zu einem gewissen Punkt, ohne jetzt zu expandieren, wie das auch immer jetzt in der Politik aussehen sollte – wir blenden mal die Krim, die Ukraine in irgendeiner Form aus, falls das überhaupt möglich oder realistisch ist …
    Hacke: Nein, das kann man nicht.
    Müller: Kann man ja nicht, aber damit wir beide jetzt am Ende noch ein bisschen weiterkommen: Also können wir denn Interesse daran haben, europäische Seite, vor allem die deutsche Seite, dass Russland im Grunde zu Selbstbewusstsein, zu Stärke zurückfindet, um dann wieder eben kooperativer zu sein?
    "Der Westen ist geschwächt, Russland ist gestärkt"
    Hacke: Mein Punkt wäre ein anderer. Wir hätten viel früher von westlicher Seite klarmachen müssen, dass wir auch Fehler gemacht haben in den vergangenen Jahrzehnten, indem wir das russische Sicherheitsinteresse nicht genügend ernst genommen haben.
    Müller: Also NATO-Ausdehnung ist das …
    Hacke: Ja, die NATO-Ausdehnung, auch jetzt die amerikanischen Raketenabwehrsysteme, damit haben Sie auch den ABM-Vertrag, haben sie auch aufgekündigt. Also das ist, glaube ich, das Wichtige. Und den Russen muss man eben auch zugestehen, dass sie selbstverständlich sich als Großmacht in Europa wieder etablieren, und auf der anderen Seite natürlich auch sagen, Leute, das hat aber alles auch seine Grenzen, wir müssen kooperativ zusammenarbeiten und ihr könnt uns jetzt nicht Nuklearwaffen vor die Nase setzen, mit denen ihr uns unter Umständen mal erpressen könnt! Das ist alles viel, viel schwieriger.
    Nur, sich selbstgerecht hinzustellen und zu sagen, die Russen wegen ihrer SSC 8 stellen alles auf den Kopf und die Amerikaner müssen jetzt Mittelstreckenraketen hier im Lande stationieren bei uns in Deutschland und Europa, das halte ich für fatal. Denn die Sache hat sich verändert: Erstens die Gesamtlage im Vergleich zum Kalten Krieg, ich habe das gesagt, der Westen ist geschwächt, Russland ist gestärkt; und zweitens ist dies eine einseitige Aufkündigung des amerikanischen Präsidenten, und nicht von der NATO. Das ist eine einseitige Angelegenheit, die in dieser Form natürlich unsere Sicherheitsinteressen tangiert.
    Müller: Deutschlandfunk, 12:29 Uhr, das war der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Danke für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag!
    Hacke: Ich danke Ihnen auch, Herr Müller!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.