Freitag, 29. März 2024

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Infektiologin Addo
"Größter Masernausbruch der Welt ist momentan im Kongo"

COVID-19 und ein neuerlicher Ebola-Ausbruch belasten das Gesundheitssystem im Kongo schwer. Es drohe die Gefahr, dass andere Gefahren wie Masern, Tetanus und Polio darüber vernachlässigt würden, sagte die Infektiologin Marylyn Addo im Dlf.

Marylyn Addo im Gespräch mit Lennart Pyritz | 02.07.2020
Medizinisches Personal beim Aufziehen einer Spritze für eine Impfung gegen Ebola im Kongo
Gegen die Ebola-Pandemie im Osten des Kongo wurden rund 200.000 Dosen verimpft (picture alliance / AP Photo / Sam Mednick)
Vergangene Woche hat die WHO den Osten der Demokratischen Republik Kongo für ebolafrei erklärt. Knapp zwei Jahre lang hatte der Kampf gegen die Krankheit in der Region angedauert. Bewaffnete Konflikte hatten die medizinische Hilfe erschwert. Mehr als 2.200 Menschen starben. Doch inzwischen gibt es neue Gesundheitsgefahren in dem afrikanischen Land: Anfang Juni wurde ein erneuter Ebola-Ausbruch registriert, diesmal im Nordwesten. Außerdem haben sich mittlerweile tausende Menschen mit dem neuen Coronavirus infiziert.
Die Infektiologin Marylyn Addo ist an der klinischen Forschung in der Demokratischen Republik Kongo beteiligt. Sie arbeitet am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung und ist Professorin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Addo warnt, im Angesicht von Ebola und COVID-19 die großen Impfkampagnen etwa gegen Tetanus und Polio nicht aus den Augen zu verlieren. Der größte Masernausbruch der Welt finde gerade im Kongo statt, und dadurch gebe es viel mehr Tote als durch Ebola.
Die Leiterin der Infektiologie, Professor Dr. Marylyn Addo, spricht während einer Pressekonferenz am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg. 
Marylyn Addo ist Leiterin der Infektiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (picture-alliance/dpa-Pool/Ulrich Perrey)
Gegen den soeben besiegten Ausbruch im Osten des Kongo habe Kontaktverfolgung eine große Rolle gespielt, sagte Addo. Die Rekonstruktion der Infektionswege sei trotz erschwerter Bedingungen - mit Rebellengruppen und politischen Unruhen in der Region - gelungen. Gute Wirksamkeit gegen Ebola habe neben rund 200.000 Impfdosen auch das Medikament Remdesivir gezeigt, das derzeit auch gegen COVID-19 erprobt wird.
Es sei generell schwierig, einer Krankheit Herr zu werden, die auch vom Tier auf den Menschen überspringen könne, so Addo. Ein wichtiger Faktor dagegen sei, den Verzehr von sogenanntem Bushmeat einzuschränken, Wildfleisch aus dem Regenwald oder der Savanne.
Eine Psychologin legt im Ebola-Behandlungszentrum CTE ALIMA BENI Schutzkleidung an. Seit einem Jahr wütet die Seuche Ebola im Osten des Kongos. 
Kongo: Die Ebola-Krise ist noch nicht vorbei
Der weltweit zweitschwerste Ebola-Ausbruch im Kongo gilt als weitgehend besiegt. Doch betroffenen Konfliktgebiet mussten Mediziner nicht nur gegen die Krankheit kämpfen.

Das Interview im Wortlaut:
Lennart Pyritz: Frau Addo, bei der Ebola-Epidemie im Osten der Demokratischen Republik Kongo wurde ein neuer Impfstoff eingesetzt, an dessen klinischer Erforschung Sie selbst auch beteiligt waren. Außerdem sind dort ja auch Antikörpertherapien getestet worden oder zum Beispiel der Einsatz des Grippemedikaments Favipiravir. Lässt sich jetzt schon eine Bilanz ziehen, welche Ansätze besonders wirksam waren, was funktioniert hat?
Marylyn Addo: Ja, das war ja ein Ausbruch, der wirklich sehr lange angedauert hat, und deswegen hat sich da die Möglichkeit ergeben, dass man tatsächlich auch klinische Prüfungen durchgeführt hat. Es gab dort also auf der therapeutischen Seite eine Studie, die vier Substanzen getestet hat parallel. Unter anderem war da Remdesivir mit dabei und drei Antikörper, und es hat sich dann herausgestellt in der Zwischenanalyse, dass zwei von diesen Antikörpern oder Antikörpercocktails sehr, sehr gut wirksam waren. So wurden diese anderen zwei Arme gestoppt. Das ist jetzt der standard of care in der Therapie, das sind zwei monoklonale Antikörper oder Antikörpercocktails.
Zum Zweiten wurde der Impfstoff ja über 200.000 Mal verimpft in der Region. Ich glaube, der hat sicherlich dazu beigetragen, dass, obwohl es ein langer Ausbruch war, doch relativ wenig Patienten infiziert wurden. Man konnte zeigen, dass der Impfstoff 97 Prozent wirksam ist. Es waren ja in der Therapietestung zwei antivirale Medikamente auch im Rennen, zum einen Remdesivir, das mittlerweile ja in der Coronavirus-, also der COVID-19-Therapie eingesetzt wird, und dann das Medikament Favipiravir, das eigentlich zugelassen ist für die Grippe. Das hat aber in den klinischen Studien nicht überzeugen können.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Elfter Ebola-Ausbruch im Kongo
Pyritz: Welche Maßnahmen neben Impfstoff und Medikamenten waren denn entscheidend, um den Ebola-Ausbruch letztendlich erfolgreich einzudämmen?
Addo: Das sind ja häufig die Maßnahmen, die gerade die Kollegen im Kongo schon jetzt in ihrem elften Ausbruch immer sehr gut eingesetzt haben, und zwar geht es darum, dass man die Fälle findet und isoliert und dann contact tracing (Kontakt-Rückverfolgung) macht, sodass man diese Ausbreitung der Erkrankung eindämmen kann. Das war im Osten des Kongo so schwer, weil es ja da Rebellengruppen und politische Unruhen gab, sodass das contact tracing zum Teil gar nicht gemacht werden konnte, weil man in diese Regionen nicht reinkam.
Pyritz: Aber letztendlich hat es dann doch funktioniert.
Addo: Ja, letztendlich hat es funktioniert, obwohl die Bedingungen so schwierig waren. Aber ich muss noch mal drauf hinweisen: Die Kongolesen, das ist ja jetzt deren elfter Ausbruch, in dem sie sich jetzt befinden, und bis Ausbruch neun gab es auch keine Therapien und gar keine Impfstoffe.
Pyritz: Das heißt, da haben Vorerfahrungen genützt den Gesundheitsbehörden vor Ort.
Addo: Auf jeden Fall. Das war jetzt allerdings der zweitgrößte Ebola-Ausbruch, den es überhaupt in der Welt gegeben hat. Der größte war in Westafrika ja 2013, 2014. Aber jetzt im Grunde genommen das Land ja seit 2018 kontinuierlich eigentlich Ebola-Ausbrüche gehabt, der eine in 2018 war nach 60 Individuen schon unter Kontrolle, zwei Wochen später fing der neue an, der jetzt diese 3.400 Infizierten hatte, und dieser war noch nicht zu Ende, der ist ja jetzt gerade am 25.6. erst offiziell für beendet erklärt worden, und am 1.6. ging es in der anderen Region, also wieder im Westen, wieder von vorne los.
Wahrscheinlich vom Tier auf den Menschen übergesprungen
Pyritz: Sie haben es jetzt schon erwähnt, Anfang Juni wurde jetzt ein neuer Ebola-Ausbruch im Westen der Demokratischen Republik Kongo registriert, mehr als 1.000 Kilometer von der zuvor betroffenen Region entfernt. Helfen die Erfahrungen aus dem Osten des Landes jetzt auch beim schnellen Eindämmen dieses neuen Ausbruchs und auch der Impfstoff und die Antikörpercocktails?
Addo: Ja, also das wird sicherlich helfen, diesen Ausbruch noch schneller einzudämmen. Man muss dazu aber sagen, in 2018 hatte die gleiche Region ja schon mal einen Ausbruch. Da ist der Impfstoff auch schon zum Einsatz gekommen. Also insofern ist da schon Erfahrung, es ist geschultes Personal da. Die Erfahrungen mit den Therapien, die im Osten eingesetzt wurden, die können jetzt auch angewendet werden auf den neuen Ausbruch im Westen.
Pyritz: Geht dieser neue Ausbruch auf eine übersehene Erkrankung beim Menschen zurück, oder ist das Virus dort offenbar wieder vom Tier, aus dem Tierreich auf die Menschen übergesprungen?
Addo: Die ausführlichen Untersuchungen laufen noch, aber es ist schon dokumentiert durch Sequenzierung, dass alle drei Ausbrüche, also 2018 im Westen, der jetzige im Osten und der neue, alles verschiedene Virusstämme sind aus der Gruppe der Zaire-Viren. Man geht davon aus, dass es vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist. Das ist momentan der Kenntnisstand.
Verzehr von Bushmeat einschränken
Pyritz: Was bedeutet denn diese Erkenntnis für den künftigen Kampf gegen Ebola in der Region? Sollte da der Umgang mit Wildtieren oder mit Bushmeat überdacht werden?
Addo: Ja, unbedingt. Das ist natürlich eigentlich auch schon nicht nur in der Region, sondern eigentlich immer schon ein wesentlicher Bestandteil der Kampagnen gegen Ebola, dass Bushmeat nicht verzehrt werden soll. Manchmal kann aber auch zum Beispiel Stuhl von infizierten Tieren auf Pflanzen fallen, oder Früchteverunreinigung, und da kann es dann zu einer Übertragung kommen.
Insgesamt ist es natürlich immer schwierig, einen Erreger auszurotten, der ein Tierreservoir hat, also eine sogenannte Zoonose. Man muss die Bevölkerung schulen, wie das Krankheitsbild aussieht, dass man früh solche Ausbrüche erkennen kann. Je mehr Leute geimpft, sind desto weniger empfänglich wird die Bevölkerung sein. Da gibt es verschiedene Maßnahmen, aber sicherlich auch der Verzehr von Bushmeat, den einzuschränken, gehört mit dazu.
Ein Pangolin klettert aus einem Plastikkäfig. Das Bild stammt von einer Pressekonferenz von Wildhütern in Nord-Sumatra. Bei einer Aktion gegen Wildtierschmuggler waren im Juni 2017 über 200 lebende und tote Pangoline beschlagnahmt worden. 
Out of the Wild - Virenimport durch Wildtierhandel
Der Handel mit exotischen Haustieren boomt. Artenschützer kritisieren seit Langem die kaum regulierten Importe. Seit der Coronakrise ist die Kritik lauter geworden, denn enger Kontakt mit Wildtieren birgt ein großes Risiko.
Pyritz: Gibt es denn schon Erkenntnisse darüber, wie lange die Immunität durch diesen Impfstoff anhält?
Addo: Zu dem Thema Dauer der Immunität nach dem Ebola-Impfstoff laufen derzeit noch Studien. Es gab schon die ersten Erkenntnisse, die zumindest gezeigt haben, dass Antikörper über zwei Jahre persistieren können. Es handelt sich ja hierbei um ein aktiv replizierendes Impfvirus, und man geht da also eher von einer dauerhaften oder längeren Immunität aus, aber tatsächlich ist der Impfstoff ja erst 2019 zugelassen worden, also insofern fehlen uns noch diese Langzeitdaten.
Doppelbelastung des Gesundheitssystems
Pyritz: Wenn wir jetzt vom Thema Ebola auf das Thema Corona schauen: Wie beeinflusst da die zeitgleiche Pandemie die Maßnahmen gegen Ebola? Kann die Erfahrung mit Ebola auch nützen, weil bereits sowas wie Abstands- und Hygienemaßnahmen gewissermaßen eingeübt sind?
Addo: Beide Viren übertragen sich ja sehr unterschiedlich. Das eine ist ein respiratorisches Virus, und das andere Virus wird durch direkten Kontakt mit Körperflüssigkeit ausgetauscht. Ja, in gewisser Weise ist das Social Distancing da auch sicherlich nicht schlecht oder hilft ein wenig, aber der Kampf gegen Ebola in der Region ist doch sehr beeinträchtigt durch COVID-19, weil es natürlich das Gesundheitssystem, das sowieso schon marode Gesundheitssystem, noch mal mehr belastet. Also es gibt schon Sorge, dass es sowohl zu materiellen als auch zu personellen Engpässen kommen kann durch diese neue Corona-Situation. Das muss man im Auge behalten.
Pyritz: Jetzt sind Corona und Ebola, die ja doch noch in den Medien stattfinden derzeit, diese Krankheit, ja nicht die einzigen Infektionskrankheiten oder Gesundheitsgefahren in der Region. Wie sieht es denn mit Malaria oder den Masern aus? Geraten die jetzt noch stärker aus dem Fokus, und ist das ein Grund zur Sorge?
Addo: Ja, ich glaube schon, dass das ein Grund zur Sorge ist. Gerade COVID-19 hat natürlich die Welt im Griff mit dem Blick auf, was auch in unseren Ländern passiert. Dieser letzte, der zehnte Ausbruch im Osten der Nation im Kongo hat gezeigt, dass viel mehr Menschen und großenteils Kinder an Masern gestorben sind als an Ebola. Das hat man in den Medien nicht so transportiert bekommen.
Also diese Ausbrüche und auch COVID-19 und auch jetzt weitere Engpässe im Gesundheitssystem, die führen natürlich auch dazu, dass Kindheitsimmunisierung, also auch Tetanus und Polio und all solche Impfkampagnen, nicht mehr durchgeführt werden können. Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Jahren da noch die Folgen von sehen. Wie gesagt, der größte Masernausbruch der Welt ist momentan dort im Kongo unterwegs.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.