Freitag, 29. März 2024

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Infektiologin zu Corona-Impfungen
Addo: Kombination aus zwei Impfstoffen könnte Vorteile haben

In vielen Fällen sind für den vollen Schutz gegen Corona zwei Impfungen notwendig. Hier könnten eventuell für die erste und zweite Impfung unterschiedliche Impfstoffe verwendet werden, sagte die Infektiologin Marylyn Addo im Dlf. Das sei auch beim Ebola-Impfstoff so gemacht worden.

Marylyn Addo im Gespräch mit Lennart Pyritz | 22.12.2020
Prof. Dr. Marylyn Addo bei einer Pressekonferenz zur weiteren Entwicklung in der Corona-Pandemie im Rathaus. Hamburg, 13.11.2020 *** Prof Dr Marylyn Addo at a press conference on the further development of the Corona Pandemic in Hamburg City Hall, 13 11 2020 Foto:xgbrcix/xFuturexImage
Marylyn Addo hält die Kombination von Impfstoffen für gut möglich (Imago Images / Future Image)
Am Montag (21.12.2020) haben die Europäische Arzneimittelagentur und die EU-Kommission grünes Licht zum Impfstoff von Biontech und Pfizer gegeben. Anfang Januar könnte zudem der Impfstoff von Moderna in der EU zugelassen werden – auch ein mRNA-Impfstoff, der in den USA bereits im Einsatz ist.
Die EU setzt auch noch auf eine mögliche Zulassung einer Reihe weiterer Impfstoffe von AstraZeneca und der Universität Oxford, Johnson & Johnson, Curevac und Sanofi/GSK, die zum Teil auf ganz unterschiedlichen Prinzipien beruhen. Diese Vielfalt an Präparaten bringt auch seine Herausforderungen.
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Eine Idee aus Russland ist es, sich in einer quasi Light-Version zunächst nur einmal gegen Corona impfen zu lassen. Damit würde dann nur ein vorübergehender Schutz gegen Corona ermöglicht. Eine solche Strategie sieht Marylyn Addo kritisch. Sie plädiert dafür, "die Impfungen so zu verimpfen, wie die Schutzwirkung auch gezeigt wurde". Die Infektiologin arbeitet am am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Im Dlf beschreibt sie auch, warum eine Kombination aus mehreren Impfstoffen denkbar wäre.

"Hervorragendes Zeichen, dass wir jetzt loslegen können"

Lennart Pyritz: Hätte die Zulassung des ersten Corona-Impfstoffs in Europa noch schneller kommen können oder sollen?
Marylyn Addo: Das ist ja jetzt auf jeden Fall schon mal ein wirklich hervorragendes Zeichen, dass wir jetzt loslegen können und dass die Zulassung doch noch vor Ende des Jahres gekommen ist – es war ja schon zu einem späteren Zeitpunkt avisiert. Und es ist, glaube ich, wichtig, dass wir die regulatorischen Prozesse so durchlaufen, dass wir einen sicheren und wirksamen Impfstoff dann auch in der EU zulassen.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Pyritz: Bald könnte ja auch der Impfstoff von Moderna in der EU zugelassen werden, Anfang Januar, die EU hat aber offenbar zu wenig Dosen von diesen jetzt beziehungsweise dann bald zugelassenen mRNA-Impfstoffen bestellt, als dass eben schnell ein großer Teil der Bevölkerung damit versorgt werden könnte. Bei diesen Präparaten sind zwei Impfungen für eine optimale Wirkung notwendig. Sind auch Einmalimpfungen als vorübergehende Option denkbar, um eben schneller mehr Menschen zumindest für eine gewisse Zeitspanne zu immunisieren? So eine Leitversion soll es ja angeblich vom russischen Impfstoff Sputnik V geben.
Addo: Ich sehe diese Strategie relativ kritisch, weil wir haben ja wirklich lange Zeit jetzt auch auf diese Studiendaten gewartet. Die sind so kalkuliert worden und berechnet worden, dass es tatsächlich erst einen Schutz gibt bei zwei Dosen. Man hat zwar gesehen, dass eventuell die Schutzwirkung schon früher beginnt, aber eigentlich waren die Studien nicht gepowert für diese Analyse. Ich denke, wir sollten schon priorisiert versuchen, die Impfungen so zu verimpfen, wie die Schutzwirkung auch gezeigt wurde.

"Über 200 Impfstoffkandidaten in der Entwicklung"

Pyritz: Die EU setzt neben BioNTech/Pfizer und Moderna ja noch auf eine Reihe anderer Impfstoffe, ist da bald mit weiteren Zulassungen zu rechnen Ihrer Kenntnis nach?
Addo: Es sind ja mittlerweile über 200 Impfstoffkandidaten in der Entwicklung, davon über 50 in der klinischen Prüfung, und einige, so über 14, in den letzten Phasen der Entwicklung. Die nächsten Kandidaten sind wahrscheinlich AstraZeneca, die ja auch schon Phase-III-Schutzwirkungsdaten veröffentlicht haben. Da wird wahrscheinlich die nächste Zulassung ausgesprochen werden. Wann das genau sein wird, das ist noch unklar. Aber es gibt auch noch andere Kandidaten, die in der Phase III sind. Da gibt es einen viralen Vektorimpfstoff von Johnson & Johnson, es gibt noch einen mRNA-Impfstoff von der Firma CureVac hier in Deutschland, insofern erwarten wir durchaus in der ersten Jahreshälfte noch weitere Produkte, die zur konditionalen Marketing Authorization kommen könnten.
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Pyritz: Gerade sorgt ja eine in Großbritannien identifizierte Virusmutation für Aufsehen. Gibt eine Vielfalt unterschiedlicher Impfstoffe auch zusätzliche Sicherheit, um gegen solche Mutationen gewappnet zu sein?
Addo: Man muss zu der jetzigen Mutation ja sagen, dass momentan davon ausgegangen wird, dass das keinen Einfluss auf die Impfstoffschutzwirkung haben wird – das wird natürlich noch sehr genau beobachtet. Insgesamt muss man natürlich sagen, die Impfstoffkandidaten, die momentan führend sind oder weit vorne, haben alle das gleiche oder ein ähnliches Antigen, nämlich das Spike-Protein als Antigen. Insofern, für Mutationen im Spike-Protein ist jetzt diese Vielfalt nicht unbedingt etwas, was dann vor Mutationen schützen würde. Insgesamt ist es aber sicherlich sinnvoll, verschiedene Ansätze jetzt auch parallel zu prüfen, um auch dann im Nachgang zu wissen, für die nächste Pandemie, welches sind die besten Ansätze.

"Vorbereitung laufen ja auf Hochtouren"

Pyritz: Wenn wir jetzt noch mal auf die konkrete Situation in der EU schauen: Wenn es jetzt hier zu weiteren Zulassungen von Impfstoffkandidaten kommt, wie werden diese neuen Impfstoffe dann in die schon angelaufenen Impfpläne eingefügt, zum Beispiel wenn sich zeigt, dass bestimmte Risikogruppen einen Impfstoff besonders gut vertragen?
Addo: Ich denke, dass sie Impfstrategien und die Vorbereitung für die Impfzentren oder auch die anderen Impfstellen, die laufen ja auf Hochtouren und die können auch sehr gut adaptiert werden. Einige von den Impfstoffkandidaten, wie zum Beispiel AstraZeneca, die haben zum Beispiel den Vorteil, dass die nicht bei so tiefen Temperaturen gelagert werden müssen, da können dann zum Beispiel auch Arztpraxen mitimpfen. Das kann durchaus auch das Spektrum der Logistik vereinfachen. Das wird dann wahrscheinlich so, wie jetzt auch der Moderna-Impfstoff, wenn er verfügbar ist, auch in die weitere Impfplanung miteinbezogen werden. Das kann man sicherlich dann mit Unterstützung der Behörden und des Gesundheitsamtes adaptieren.
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Pyritz: Können denn gegebenenfalls auch unterschiedliche Impfstoffe kombiniert werden? Es gab ja gerade eine entsprechende Ankündigung von AstraZeneca und dem Gamaleya-Institut zu Sputnik V, dass da eine Kooperation angestrebt wird, weil die eben auch beide auf einem Vektorvirus basieren.
Addo: Ja, das ist auch gar kein ungewöhnliches Vorgehen. Man muss dazu auch wissen, dass der zugelassene Ebola-Impfstoff oder einer der zugelassenen Ebola-Impfstoffe auch aus einer Kombination aus zwei viralen Vektorimpfstoffen besteht. Das ist durchaus ein Verfahren, das gängig ist und wahrscheinlich sogar Vorteile hat, dass wenn man halt zwei verschiedene Vektoren nimmt, dann die Vektorimmunität nicht so eine große Rolle spielt. Es werden auch Ansätze verfolgt, wo man Vektorimpfstoffe mit RNA kombiniert, da wird die Zukunft, die zweite Generation der Impfstoffe uns wahrscheinlich noch einiges lehren.

"Ansätze müssen noch mal klinisch geprüft werden"

Pyritz: Das heißt, es könnte durchaus sein, dass dann unterschiedliche Präparate tatsächlich, mRNA-Impfstoffe und ein Vektorimpfstoff, zusammen verimpft werden.
Addo: Genau. Es sind ja immer zwei Impfungen gefragt, und man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass mit dem mRNA-Impfstoff begonnen wird und dann ein Vektorimpfstoff zum Boost genommen wird oder umgekehrt. Diese Ansätze müssen natürlich auch noch klinisch geprüft werden, es laufen da zum Teil auch schon Studien an. Im Januar sind im UK da Studien zu geplant.
Pyritz: Sie haben eben schon gesagt, die jetzt in Phase III befindlichen Studien sollten auf jeden Fall weitergeführt werden. Wenn dann irgendwann eine gewisse Anzahl von Impfstoffen tatsächlich zugelassen ist, wird es dann eigentlich noch die finanzielle Unterstützung geben für diese noch laufenden Impfstoffprojekte? Und wie ist es außerdem aus ethischer Perspektive, ist es dann noch vertretbar, Placebo-Studien weiterzuführen, wenn es eigentlich schon funktionierende Impfstoffe gibt?
Addo: Ja, das sind zwei ganz wichtige Aspekte. Gerade der Aspekt der Placebo-kontrollierten Studien wird auch jetzt schon aktiv von den Impfstoffentwicklern angegangen. Es werden Angebote gemacht für die Menschen, die in Impfstoffstudien sind, die aber momentan noch verblindet sind. Wenn man in eine Kategorie der Priorisierung fällt, zum Beispiel über 80 ist, dann kann man aus dem Placebo-Arm in den Serum-Arm wechseln. Die verschiedenen Entwickler bereiten sich darauf vor, weil, wie Sie schon sagen, es ja nicht ethisch ist oder problematisch ist, jemanden einen solchen Impfstoff dann vorzuenthalten. Die klinischen Studien, die noch nicht angelaufen sind in der Phase III, die werden wahrscheinlich Designs haben müssen, die andere Korrelate benutzen als eine Placebo-Kontrolle, und das ist momentan noch in der Entwicklung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.