Dienstag, 19. März 2024

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"Influencer" von Haiyti
Emotionaler Zwischenruf

Mit ihrem bereits fünften Album in fünf Jahren meldet sich die Hamburger Rapperin Haiyti aus der pandemischen Krisenzeit. „Influencer“ ist allerdings keine Reflexion über die Folgen von Corona. Es ist vielmehr eine nachdenkliche Introspektion der eigenen Person, ohne dabei ins Gefühlige zu fallen.

Von Jenni Zylka | 05.12.2020
Die Hamburger Rapperin Haiyti im Studio des Deutschlandfunk
Die Hamburger Rapperin Haiyti im Studio des Deutschlandfunk (Kerstin Janse/ Deutschlandfunk)
100.000 Feinde zu haben, die man nicht kennt – Haiytis schlichtes, aber eindeutiges Bild über Kritik in den sozialen Medien trifft den Nagel auf den Kopf. Die 27-jährige gebürtige Hamburgerin rappt nicht intellektuell. Stattdessen versucht sie, zu spärlichen Beats auf ihrem bereits fünften Album ihre Befindlichkeiten zu durchleuchten. Das Zuhören wird damit auch zu einem Erhören ihrer Bedürfnisse.
"Ich mach ja wirklich die Musik, weil ich nicht anders kann, mir haben schon oft Leute gesagt: 'Dann hör doch auf, dann mach was anderes'. Dann denke ich mir: Vielleicht, vielleicht mach' ich was ganz anderes, ich zieh in ein anderes Land und hör auf – also mit dem Gedanken hab ich schon oft gespielt. Aber irgendwie hab ich den Drang, dass ich noch was zu sagen hab, ich will irgendwie... so komisch erhört werden oder sowas."
Wie ein Rap-Tagebuch
Es geht oft um Gefühle auf Haiytis neuem Album, die leicht melancholischen, simplen Beats, Haiytis authentische Sprache und – wenn man mal vom omnipräsenten Autotune absieht – unverstellte Stimme klingen zuweilen wie ein Rap-Tagebuch, eine Bestandsaufnahme des Inneren. Der Song "Comeback" spielte dabei eine fast therapeutische Rolle für Haiyti.
"'Comeback' – das ist einfach... einfach die Geschichte für das Album, das ist einfach ein gefühlstarker Song. Da wundere ich mich auch, wie sowas aus mir rauskommt, weil ich normalerweise gar nicht über Gefühle über sowas reden kann, aber in der Musik schaff ich's dann irgendwie wieder. Und dann denke ich: Ok, ich hab's doch geschafft, das zu sagen, wie es mir geht."
Zu real zu sein – sich nicht verbiegen zu können – ein wenig kokettiert Haiyti auf dem Album mit ihrem Image als harte, straßenerprobte junge Frau, ein wenig stimmt es auch. Seit die Hamburgerin 2015 in Eigenregie ihr erstes Album herausbrachte, zeigte sie selbst in ihren wütendsten Zeilen nie Angst vor der Angst. Sie selbst nannte die emotionale Dimension ihrer Musik Emo-Rap, klanglich haben die Songs viel vom schleppenden Trap-Sound, dessen Beats nur langsam rollen. Haiyti ist eine von wenigen Frauen in diesem Spezialbereich des Rap – und weiß das zu schätzen.
"Ich habe das Gefühl, dass es eher ein Vorteil ist, wenn man jetzt als Frau rappt, dass man eher Aufmerksamkeit bekommt, als wenn du ein Mann bist. Also, das war früher nicht so, aber das hat sich jetzt irgendwie gedreht."
Rau und energetisch
19 Songs sind auf dem Album "Influencer", das nur wenige Monate nach seinem Vorgänger erscheint. Den Songs hört man teilweise an, wie schnell sie entstanden sind, viele Texte klingen spontan, nach der ersten Idee, entwickelt aus einer ersten guten Hook. Das Ganze hat dennoch etwas Energetisches, etwas Raues und Direktes - Haiyti ging es nicht um das lange Frickeln an den besten Zeilen und den besten Sounds, nicht um die Produktion, sondern um das Machen. Dabei hat sie diese Platte im Gegensatz zu früher schon viel bedachter aufgenommen.
"Ich setze immer noch auf Quantität. Aber jetzt ist die Quantität ein bisschen qualitativer geworden. Aber früher war es so, mal gucken, wie viel Songs wir an einem Tag schaffen, das war schon wie ein Wettbewerb oder so. Das Coolste ist, wenn man sieben oder fünf Songs an einem Tag ... ich glaub, das war wirklich mein Schnellstes, ich glaub ich hab eine ganze EP an einem Tag recorded."
"Influencer" ist keine Hitschleuder, sondern ein manchmal vielleicht zu vergänglicher, emotionaler Zwischenstand. Trotzdem bildet das Album überzeugend eine Stimmung ab, spiegelt die Themen, die Empfindungen einer jungen Frau in der Rap-Szene des Jahres 2020. Und eventuell möchte man sich ja später genau daran erinnern.