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Informatik als Pflichtfach
"Siebte Klasse spätestens"

Informatik in Schulen als Pflichtfach zu unterrichten, sei schon lange überfällig, sagte Ira Diethelm, Professorin für Informatik-Didaktik, im DLF. Mittlerweile benötigten so gut wie alle Berufe die digitale Informationsverarbeitung - und auch Kinder kämen nicht mehr daran vorbei.

Ira Diethelm im Gespräch mit Manfred Götzke | 23.06.2014
    Eine Schülerin arbeitet an Tablet-PC, auf der die Afrika-Karte zu sehen ist.
    Zwei Fliegen mit einer Klappe: Informatik als Pflichtfach einzuführen, würde auch die Attraktivität des Informatik-Studiums auf Lehramt steigern und so den Lehrermangel abmildern, sagt Ira Diethelm. (picture-alliance / dpa / Marc Tirl)
    Manfred Götzke: Informatik – ist dieses Schulfach im 21. Jahrhundert ein nettes Wahlfach wie darstellendes Spiel, Hauswirtschaft oder Latein? Oder muss guter Computerunterricht in einer digitalisierten Gesellschaft nicht eigentlich Pflicht sein? Die meisten Bundesländer, die halten das Fach eher für Kür. Sie bieten es, wenn überhaupt, als Wahlfach an, dabei finden nach einer neuen Umfrage des Branchenverbandes Bitkom 82 Prozent der Lehrer, dass Informatik Pflicht werden muss. Wie ein solches Fach dann unterrichtet werden sollte, das kann uns Ira Diethelm sagen, sie ist Professorin für Informatik-Didaktik an der Uni Oldenburg. Frau Diethelm, die Lehrer rennen bei Ihnen mit dem Ruf nach einem Pflichtfach Informatik wahrscheinlich offene Türen ein, oder?
    Ira Diethelm: Ja, das ist der Fall, nicht nur in Niedersachsen, wo ich ja herkomme, sondern auch in allen anderen Bundesländern sind wir mit meinen Kollegen immer wieder darauf bedacht, die Politik daran zu erinnern, dass Informatik doch schon längst überfällig ist, in der Schule als Pflichtfach eingeführt zu werden.
    Götzke: Warum muss es unbedingt ein Pflichtfach sein? Man könnte ja auch sagen, ähnlich wie bei musischen Fächern, die Schüler entscheiden sich entweder für Theater, Kunst oder Musik?
    Fast alle Berufe benötigen heute die Informatik
    Diethelm: Nun ja, auch bei Musik und Kunst gibt es einen gewissen Pflichtanteil, der unterrichtet werden soll, aus bestimmten Gründen, die sich natürlich auch historisch ergeben haben. Und bei den Naturwissenschaften zum Beispiel, ist es auch vor ungefähr über 100 Jahren der Fall gewesen, dass durch den Druck aus der Wirtschaft und die Bedürfnisse der Industrialisierung es notwendig wurde, dass alle Schüler etwas von Naturwissenschaften verstehen. Und wir befinden uns jetzt an einem Punkt, wo die Information und die Informationsverarbeitung, gerade auch mit elektronischen Medien, eine so große Rolle einnimmt, dass kein Kind mehr dran vorbei kommt und eigentlich alle Berufe davon auch betroffen sind. Pflichtunterricht richtet sich an alle Schüler, damit eben auch eine Sicherstellung der Bildung für alle, die sich das eben gerade nicht beibringen. Denn gerade diejenigen, die vielleicht durch ihre Eltern, durch persönliche mögliche Nichtvorlieben sonst davon abgehalten werden, für die brauchen wir einen Pflichtunterricht, damit wir eben auch gewährleisten, dass alle Schüler diese Bildung erhalten.
    Götzke: Wann sollte der Informatikpflichtunterricht denn Ihrer Ansicht nach einsetzen? In der Grundschule schon?
    Diethelm: Man kann natürlich Informatik auch ansatzweise in der Grundschule bereits als Teil des Sachunterrichts zum Beispiel unterrichten, also wie das Internet funktioniert zum Beispiel, dass da verschiedene Informationen über etliche Punkte geleitet werden, dass Kinder nicht mehr denken, dass das Internet ein riesengroßer einzelner Computer ist zum Beispiel, das kann man auch schon in der Grundschule machen. Einsetzen sollte er meiner Ansicht nach aber auf jeden Fall vor der Pubertät, fünfte, sechste, siebte Klasse spätestens.
    Götzke: Sie sprechen ja von einem allgemeinbildenden Informatikunterricht. Was sollte der umfassen? Programmieren oder eher die Auseinandersetzung mit dem richtigen Umgang, mit Facebook und Onlinebanking zum Beispiel?
    Diethelm: Nun, man könnte plakativ jetzt sagen "weder noch" beziehungsweise "dies und noch viel mehr". Allgemeinbildender Informatikunterricht soll meiner Ansicht nach die Kinder in die Lage versetzen, dass sie die Phänomene des Alltags erklären können. Das heißt eben auch, Facebook, What's App, aber eben nicht, was man da darf oder was man da nicht darf oder tun sollte, sondern sie sollten die Grundlagen kennen, warum sie dieses und jenes Verhalten an den Tag legen sollten und auch eben andere Zusammenhänge verstehen, damit sie auch für berufliche Tätigkeiten später oder spätere alltägliche Tätigkeiten, die wir jetzt noch gar nicht abschätzen können, gewappnet sind.
    Götzke: Das heißt, Programmieren sollte auch vorkommen?
    Programmierkenntnisse für mehr Einflussmöglichkeiten
    Diethelm: Programmieren gehört auch natürlich dazu, weil, ähnlich wie im Chemieunterricht, man auch experimentiert. Dass ich das Gefühl habe, ich kann einen neuen Stoff zum Beispiel herstellen durch meine Tätigkeiten, so muss ich auch im Informatikunterricht das Gefühl bekommen, ich bin in der Lage, ein Programm zu gestalten, ich habe Einflussmöglichkeiten, und ich kann im Prinzip die Maschine beherrschen.
    Götzke: Die entscheidende Frage ist natürlich, wer soll die Kinder unterrichten? Wir haben insgesamt einen riesen Informatikermangel. Was bringt ein Pflichtfach Informatik, wenn es keinen gibt, der das unterrichten kann?
    Informatik als Pflichtfach könnte Lehrermangel verringern
    Diethelm: Nun ja, wir können Informatiklehrer natürlich ausbilden an Universitäten. Das machen etliche Universitäten auch schon. Und wir können, dadurch, dass wir ein Pflichtfach Informatik in die Schulen bringen, natürlich auch den Bedarf an Lehrern insofern erhöhen und damit auch den Anteil der Lehrer, die das studieren wollen. Weil die künftigen Studierenden dann ja auch eine Perspektive haben und wissen, dass sich das lohnt, das zu studieren. Denn einige Studenten haben jetzt noch den Eindruck, dass sie vielleicht keinen Job kriegen, weil das eben kein Pflichtfach ist. Das ist auch natürlich ein Henne-Ei-Problem. Und gerade, wenn man zum Beispiel die Fächerkombination nicht auf die üblichen, Mathe, Physik und so weiter, beschränkt, sondern auch es gestattet, dass Informatik mit Geografie, Kunst, Musik, Ökonomie und Ähnlichem kombiniert werden kann, ich glaube, dann ist das mit dem Lehrermangel gar nicht so weit her.
    Götzke: Jetzt gibt es die Forderung nach einem Pflichtfach Informatik. Von anderer Seite wird gefordert, wir brauchen ein Pflichtfach Ökonomie – da stellt sich natürlich immer die Frage, welche Fächer sollte man dafür abschaffen?
    Diethelm: Nun, es ist so, dass wir einfach, wenn wir über allgemeinbildenden Unterricht reden, natürlich nicht nur bei den neuen Fächern uns die Frage stellen müssen, ist das allgemeinbildende, und wenn ja, welcher Teil davon, und wie lange braucht man dafür, sondern dass man auch vielleicht mal die bestehenden Fächer darauf untersuchen könnte. Hat sich ein bestimmter Inhalt vielleicht auch durch die aktuellen Entwicklungen oder geschichtliche Entwicklungen vielleicht überholt. Aber Sie merken schon, ich mache jetzt keinen konkreten Vorschlag.
    Götzke: Frau Diethelm, ganz herzlichen Dank für das Interview!
    Diethelm: Bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.