Donnerstag, 18. April 2024

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Informationsfluss zwischen Kriminalpolizei und Verfassungsschutz verstärken

Fahndungspannen wie in Zusammenhang mit der Mordserie der Zwickauer Neonazis dürfen sich nicht wiederholen, meint Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Grund sei auch die zu hohe Trennungsmauer zwischen Verfassungsschutz und Kriminalpolizei. Diese müsse reduziert werden.

Peter Kapern befragt Joachim Herrmann | 05.07.2012
    Peter Kapern: Es hätte in der Affäre um das Behördenversagen bei der Suche nach den zehnfachen mutmaßlichen Mördern vom NSU noch schlimmer kommen können – zum Beispiel, wenn die Mitglieder des Bundestags-Untersuchungsausschusses gestern, als sie ungeschwärzte Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz lesen konnten, festgestellt hätten, dass ein Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrunds oder einer der Unterstützer von der Behörde als V-Mann geführt worden ist. Das war aber nicht der Fall. Heute geht die Ausschussarbeit weiter, unter anderem wird der scheidende Chef des Dienstes Heinz Fromm befragt.
    Bei uns am Telefon ist nun Joachim Herrmann von der CSU, der Innenminister Bayerns. Guten Morgen!

    Joachim Herrmann: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Minister, von einigen Ausschussmitgliedern war gestern zu hören, jetzt, da klar ist, dass der NSU und seine Unterstützer keine V-Leute waren, gibt es keinen Grund mehr, Verschwörungstheorien über den Verfassungsschutz zu schmieden. Sehen Sie das auch so?

    Herrmann: Für Verschwörungstheorien gibt es natürlich keinen Anlass. Entscheidend ist, dass wir natürlich jetzt, was diese Aktenvernichtung im Bundesamt anbetrifft, genau erfahren, was war da eigentlich der Anlass, war das wirklich reine Ungeschicklichkeit, gibt es noch irgendwelche anderen Hintergründe, denn das ausgerechnet an dem Tag, wo klar wird, das NSU-Trio ist ein Mördertrio, dass ausgerechnet an dem Tag dann Unterlagen, die damit im Zusammenhang standen, vernichtet wurden, ist zumindest ja nun sehr, sehr merkwürdig. Aber das lässt der Bundesinnenminister jetzt sehr sorgfältig aufklären und ich denke, wir werden das bald erfahren.

    Kapern: Durch einen Sonderermittler, den er heute eingesetzt hat?

    Herrmann: Ja.

    Kapern: Halten Sie es denn für ausgeschlossen, dass dort etwas vertuscht werden sollte?

    Herrmann: Ich will darüber nicht spekulieren, weil diese Frage, halten Sie etwas für ausgeschlossen, da kann ich natürlich über jeden Nachbarn beliebige Spekulationen anstellen. Das ist nicht seriös, sondern das gehört ganz einfach klar ermittelt und das hat der Bundesinnenminister jetzt veranlasst.

    Kapern: Was würde es denn bedeuten, wenn dort tatsächlich der Versuch unternommen worden wäre, etwas zu vertuschen?

    Herrmann: Ich sage noch mal: Ich will nicht "was wäre wenn" spekulieren, sondern es müssen jetzt einfach alle Fakten klar auf den Tisch, es muss sorgfältig ermittelt werden. Für mich ist viel wichtiger, in die Zukunft zu sehen und zu sagen, wie können wir unsere Sicherheitsbehörden sowohl bei der Kriminalpolizei wie beim Verfassungsschutz für die Zukunft so aufstellen, dass derartige Fahndungspannen, dass letztendlich die rechtsextremistischen Hintergründe dieser schrecklichen Mordserie über Jahre hinweg nicht erkannt worden sind, dass sich das nicht wiederholt.

    Ich glaube nicht, dass da irgendwelche Verschwörungen natürlich dahinter standen, sondern das sind einfach gewaltige Fahndungspannen, aber die sind natürlich als solche peinlich und schlimm genug. Und deshalb muss man einfach sagen, wie können wir organisatorisch, wie können wir personell, wie können wir in der Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt. Das ist die Herausforderung und da müssen jetzt Bund und Länder entsprechend zusammenstehen und neue Konstruktionen auch für die Zukunft entwickeln. Ein bisschen, erste Grundlagen sind dafür gelegt, indem ja jetzt dieses gemeinsame Abwehrzentrum von Bund und Ländern gegen Rechtsextremismus geschaffen wird, die gemeinsame Informationsdatei. Ich meine, dass generell der Informationsfluss zwischen Verfassungsschutz und Kriminalpolizei intensiviert werden muss. Da gibt es eine hohe Trennungsmauer. Ich glaube, dass wir die Trennung zwar aufrecht erhalten müssen, dass wir aber die Höhe der Trennungsmauer etwas reduzieren müssen, damit mehr gegenseitiger Informationsfluss stattfindet.

    Kapern: Wie weit kann man denn diese Trennungsmauer abtragen, ohne in Konflikt zu geraten mit den bestehenden Gesetzen, die ja genau diese Trennung strikt vorsehen?

    Herrmann: Die Aufgaben zwischen Kriminalpolizei auf der einen Seite und Verfassungsschutz auf der anderen Seite müssen streng getrennt bleiben. Aber die gegenseitige Information über Erkenntnisse, die muss wesentlich besser werden. Es ist ja natürlich nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes, selbst zum Beispiel Strafverfolgung zu betreiben oder Verbrecher zu fangen. Aber das, was der Verfassungsschutz im Rahmen seiner ureigensten Aufgabe, nämlich festzustellen, wo es verfassungsfeindliche extremistische Bestrebungen gibt, was er dabei an Erkenntnissen erlangt, das sollte er in aller Regel, vor allen Dingen wenn es auch nur einen möglichen Bezug zu Straftaten hat, natürlich auch der Kriminalpolizei zur Verfügung stellen, weil es ist ja kein Selbstzweck, dass der Verfassungsschutz diese Informationen hat, und nur in einem jährlichen Verfassungsschutzbericht eine Gesamteinschätzung der Gefährdungslage zu geben, darin kann sich die Aufgabe des Verfassungsschutzes natürlich nicht beschränken.

    Also darüber müssen wir auf Bundesebene wie in den Ländern diskutieren, wie können wir diesen Informationsfluss verstärken. Hier muss man klar sagen, dass es in der Vergangenheit auch relativ hohe rechtliche Hürden gab. Ich glaube, dass wir jetzt erkennen, dass diese Hürden nicht zu hoch sein dürfen, dass die Kriminalpolizei auch profitieren muss von den Erkenntnissen, die der Verfassungsschutz hat, und genau das muss jetzt für die Zukunft auch klar herausgearbeitet werden.

    Kapern: Sie haben keinerlei Bedenken, dass dort, wenn diese Trennung aufgeweicht wird, etwas zusammenwächst, was, wie die deutsche Geschichte gezeigt hat, besser nicht zusammengehört?

    Herrmann: Ich sage noch mal klar: Natürlich muss es eine klare Trennung zwischen geheimdienstlichen Methoden und der Arbeit der Kriminalpolizei geben. Aber es ist doch an diesem Beispiel offenkundig, dass wenn der Verfassungsschutz Informationen über Rechtsextremisten hat, dass diese der Kriminalpolizei für ihre Ermittlungsarbeit nicht vorenthalten werden dürfen. Das wäre ja geradezu absurd. Darüber müssen wir klare Absprachen treffen, da müssen auch die Rechtsgrundlagen klar sein, das erwarten die Menschen auch. Wir haben das, glaube ich, in den letzten zehn Jahren in der Bekämpfung von islamistischen Extremisten schon sehr gut entwickelt in Deutschland und da haben wir auch großartige Fahndungserfolge insgesamt in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Deutschland erzielt. Und dasselbe brauchen wir jetzt aber zum Beispiel auch im rechtsextremistischen Bereich.

    Kapern: Herr Herrmann, an den V-Leuten, die die Verfassungsschutzämter führen, ist das NPD-Verbotsverfahren gescheitert. Im Rahmen der "Operation Rennsteig" hat der Verfassungsschutz acht V-Leute in der rechtsextremistischen Szene Thüringens angeworben. Die Operation wurde wegen mangelnder Ergebnisse abgebrochen. Muss man daraus nicht den Schluss ziehen, dass das Anwerben von V-Leuten generell zwar teuer, aber nutzlos ist?

    Herrmann: Nutzlos ist es nicht. Wir haben gerade auch in extremistischen Bereichen - ich nenne noch mal die Islamisten beispielsweise – natürlich auch viele Erfolge durch V-Leute, und gerade die Islamisten sind auch ein Bereich, ein Beispiel dafür, dass es natürlich ungleich schwerer ist, wenn ich einen originären deutschen polizeilichen Ermittler in eine Szene einschleusen will, die kulturell, vielleicht sogar auch von den Sprachen her eher fremd ist, dass es ungleich schwerer ist als umgekehrt, vielleicht jemanden als Informanten gegen Bezahlung zu gewinnen. Klar muss man aber natürlich immer sein, das ist der große Unterschied zwischen einem verdeckten Ermittler, den eine deutsche Sicherheitsbehörde in eine Szene einschleust, deutlich zu unterscheiden von einem V-Mann, das ist jemand, der der Szene angehört, der ist auch selber in der Regel ein Extremist und verkauft nur gegen Informationen Geld. Das heißt, ich muss natürlich diese Informationen grundsätzlich auch mit Vorsicht genießen. Es gibt sehr verlässliche Informanten mit sehr präzisen Informationen und es gibt andere, wo sich über Jahr und Tag herausstellt, dass da einer auch nur Schmarrn erzählt, da muss man irgendwann den natürlich auch wieder abschalten. Das ist die große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. Also man muss diesen V-Leuten immer mit gebotener Vorsicht und Skepsis gegenüberstehen, aber völlig darauf verzichten kann man meines Erachtens nicht.

    Kapern: Eine weitere Reformidee besteht darin, dass Landesämter für Verfassungsschutz verschmolzen werden, weil es dort zu viele kleine Behörden gibt. Wie viele Ämter für Verfassungsschutz braucht Deutschland?

    Herrmann: Wir müssen sicherstellen, dass es jedenfalls flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland einen effektiven Schutz unserer Verfassung, eine konzentrierte Arbeit gegen Extremisten egal welcher Couleur gibt. Nun haben wir sicherlich in großen Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen etc. auch sehr leistungsfähige Landesämter für Verfassungsschutz. Ich kann das nicht für jedes der ganz kleinen Bundesländer garantieren. Insofern müssen sich diese Länder selbst fragen, wie sie sich da aufstellen. Ich kann mir vorstellen, dass der Bund auch anbieten wird, dort wo ein Land sich selber eher etwas überfordert fühlt in diesem Bereich, wirklich effektiv zu arbeiten, dass hier der Bund noch stärker in Absprache mit den Ländern tätig wird. Auch darüber müssen wir jedenfalls reden. Entscheidend ist, dass wir eine effektive Arbeit haben und dass die Informationen auch ausgetauscht werden, dass nicht jeder nur seine Informationen für sich behält, sondern egal wie viele Ämter wir haben, auf Landesebene und auf Bundesebene, es muss ein effektiver Informationsaustausch stattfinden.

    Kapern: Joachim Herrmann war das, der Innenminister Bayerns, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Herrmann, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Herrmann: Ich danke Ihnen auch – einen schönen Tag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.