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Initiative für Europäische Lohnuntergrenzen
Kommission findet deutschen Mindestlohn zu niedrig

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will europäische Regeln für existenzsichernde Mindestlöhne. Heute hat die Kommission das Vorhaben auf den Weg gebracht. Arbeitgeber laufen dagegen Sturm, aber auch einige Mitgliedsländer halten nichts von der Idee.

Von Carolin Born | 14.01.2020
Blick von oben auf drei Bauarbeiter mit Schutzhelmen, die auf einer Baustelle zusammenstehen
Nicht in allen EU-Ländern schützt der Mindestlohn vor Armut. Auch Deutschland steht in der Kritik. (Imago)
In Luxemburg beträgt er knapp 12 zwölf, in Bulgarien nicht mal zwei Euro. Die Unterschiede beim Mindestlohn in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU sind groß. Deswegen will die EU-Kommission auch keinen einheitlichen Mindestlohn, sondern länderspezifische Regelungen. Das Ziel von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen:
"Ich möchte, dass sich Arbeit wieder lohnt. In einer sozialen Marktwirtschaft verdient jeder Vollzeitbeschäftigte einen Mindestlohn, der ihm einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht."
Rechtliches Neuland
Der Mindestlohn soll mindestens 60 Prozent des mittleren Einkommens betragen. In Deutschland wären das knapp 13 statt bisher gut neun Euro. Der zuständige EU-Kommissar Nicolas Schmit ist der Ansicht: Deutschland zähle zu den Ländern, in denen der Mindestlohn nicht ausreiche, um vor dem Armutsrisiko zu schützen – ebenso wie Tschechien, Malta und Estland. Bereits 2017 hatte die EU in der Europäischen Säule sozialer Rechte "angemessene Mindestlöhne" gefordert. Heute hat sie offiziell ihre Konsultationen mit den Sozialpartnern gestartet. Rechtlich betritt sie damit Neuland.
Die Arbeitgeberseite steht einer europäischen Rechtsetzung zum Mindestlohn skeptisch gegenüber. Markus Beyrer ist Generaldirektor vom europaweiten Arbeitgeberverband BusinessEurope und hält die Lohnfindung für eine nationale Aufgabe.
"Es gibt keine europäische Kompetenz für Lohnsetzung. Das ist explizit ausgenommen. Wir glauben auch nicht, dass europäische Rechtsetzung das richtige Instrument ist. Wir glauben eher, man sollte das über das sogenannte europäische Semester machen: über sogenannte länderspezifische Empfehlungen, bei den Ländern, wo es notwendig ist."
Skandinavier fürchten um Tarifautonomie
Wo sich die Sozialpartner um Mindestlöhne kümmern würden, funktioniere es am besten, so Beyrer weiter, also wenn der Gesetzgeber sich nicht einmischt. So etwa in Dänemark und Schweden. Die Länder gelten als größte Gegner des Vorhabens. Denn in den beiden skandinavischen Staaten ist – im Unterschied vielen Ländern im restlichen Europa - die Tarifbindung noch relativ intakt. Deswegen halten die Tarifpartner eine gesetzliche Regelung für überflüssig und fürchten einen Eingriff in ihre Tarifautonomie.
Andere Gewerkschaften, wie der DGB, begrüßen den Vorschlag der Kommission – und wollen bei der Konsultation auch eine Initiative zur Tarifbindung einfordern.
"Testfall für soziales Europa"
Ähnlich sieht es die SPD, die schon im Europawahlkampf auf das Thema Mindestlöhne gesetzt hat. Gabriele Bischoff, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der SPD-Delegation im EU-Parlament:
"Und deshalb wird es ganz wichtig, dass die Kommission eben nicht nur einen Vorschlag macht, um einen europäischen Rahmen für angemessene Mindestlöhne zu setzen, sondern dass sie gleichzeitig eine Doppelstrategie fährt und Maßnahmen unternimmt, um die Tarifpolitik in den Mitgliedstaaten zu stärken."
Für Bischoff ist der Mindestlohn ein Testfall, ob es tatsächlich zu einem sozialen Europa komme oder bei Sonntagsreden bleibe.