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Inklusion
Schülerin streitet mit Sachsen über Teilzeit-Abitur

Bei der Integration behinderter Kinder und Jugendliche in Regelschulen gibt es laut Bildungsbericht erhebliche Versäumnisse. Mit welchen Problemen die Betroffenen manchmal zu kämpfen haben, zeigt ein Fall aus Sachsen: Dort droht der Bildungserfolg eines behinderten Mädchens an der Bürokratie zu scheitern.

Von Nadine Lindner | 23.06.2014
    Ein Schulkind steht vor einer Tafel, auf der das Wort "Inklusion" geschrieben steht.
    Sachsen hinke bei der Inklusion hinterher, kritisieren Menschenrechtler. (picture alliance / dpa)
    "Schrittweise Bitte!" So ist ein Artikel der Kultusministerin Brunhild Kurth, CDU betitelt. Und so lässt sich auch das Vorgehen des Landes Sachsen beim Thema Inklusion beschreiben. Nur nichts überstürzen. Dieser Ansatz könnte das Abitur der 17-jährigen Frauke Kronefeld in Gefahr bringen: ihre Zensuren sind ordentlich. Sie will ihr Abitur machen, um später Medizin zu studieren.
    Doch Frauke hat das Asperger-Syndrom, eine leichte Form des Autismus. Sie ist sehr intelligent, aber es fällt ihr schwer, die Welt um sich herum zu ertragen, erklärt ihre Mutter Dorothea Kronefeld.
    "Frauke hat durch das Asperger-Syndrom eine tief greifende Entwicklungsstörung, die geht einher mit Kommunikationsproblemen. Mit einer Überempfindlichkeit gegen diverse Reize - Licht, Luft, Veränderungen. Durch diese enormen Belastungen, denen jeder Mensch ausgesetzt ist, fällt ihr durch diese Behinderung schwer, das zu kompensieren."
    Die Folge: der straffe Schulalltag in der zehnten Klasse, die Hitze in den Klassenräumen, der Lärm, der Stress hat sie krank gemacht, die Fehltage häuften sich. Frauke selbst möchte sich nicht vor dem Mikrofon äußern. Die Gerichtsentscheidung, die Artikel in der Zeitung waren etwas viel für sie. Die Gerichtsentscheidung, ja, da ist man schon mitten drin im Ringen um Fraukes Abitur: Denn das Mädchen mit dem Asperger-Syndrom will ihr Abitur in vier statt zwei Jahren absolvieren. Erst die Grund, dann die Leistungskurse. Schulzeitdehnung heißt das Fachwort.
    "Die Schülerin mit Behinderung soll Chancengleichheit haben. Aber die Rechte von nicht-behinderten Schüler dürfen nicht ausgehebelt werden. In diesem Spannungsverhältnis ist man",
    erklärt der Rechtsanwalt der Familie, Frank Selbmann.
    Klage gegen Schulzeitdehnung
    Zu Beginn der elften Klasse haben die Eltern in Absprache mit der Schule genau diese Schulzeitdehnung ausprobiert. Die Folge: Seit der Stundenreduktion geht es Frauke viel besser, erklärt ihre Mutter Dorothea:
    "Wir haben sehr schnell eine deutliche Entzerrung der Situation erlebt. Und Frauke hat einen Entwicklungssprung vollzogen, der hat uns beide sehr beeindruckt. Sie wirkte gefestigt, selbstbewusst, interessiert am Leben."
    Doch die Sächsische Bildungsagentur klagte dagegen. In der Zwischenzeit wurde auch der Landesverfassungsgerichtshof und Karlsruhe eingeschaltet. Die Folge: Hoffnung für Frauke. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wurde aufgehoben, es muss noch einmal entscheiden. So lange darf Frauke das reduzierte Pensum absolvieren. Das Kultusministerium äußert sich nur knapp und sehr zurückhaltend zu dem Fall. Sprecher Dirk Reelfs:
    "Die Sächsische Bildungsagentur hat mit Verweis auf die schulrechtliche Situation eine Streckung der Schulzeit in der Oberstufe abgelehnt, es finden dazu gerichtliche Auseinandersetzungen statt, und vor diesem Hintergrund halten wir uns auch mit klaren Äußerungen zurück, so lange die Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen sind."
    Nur nichts überstürzen, diese Haltung Sachsens bei der Inklusion in Schulen kritisiert auch das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin. Bereits beim Erstellen der Aktionspläne in der Kultusministerkonferenz habe sich der Freistaat als Bremser herausgestellt, sagt Valentin Aichele.
    "Ein neueres Ergebnis ist unsere Untersuchung, die sich alle 16 Schulgesetze angeschaut hat. Auch in diesem Rahmen haben wir festgestellt, dass in Sachsen ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Also hochproblematisch."
    Nun warten Frauke und ihre Eltern auf die nächste Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Wie nannte es der Rechtsanwalt: Es ist ein Damoklesschwert, das über dem Bildungserfolg des Mädchens hängt.