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Innenpolitik
"Wie hältst du es mit den Abschiebungen?"

Nach der tödlichen Messerattacke eines Flüchtlings in Hamburg, wird wieder diskutiert, wie mit Abschiebungen verfahren werden soll: Ist eine bessere Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern notwendig? Braucht es mehr Abschiebegefängnisse? Theorie und Praxis liegen dabei häufig weit auseinander.

Von Paul Vorreiter | 01.08.2017
    Das einzige rheinland-pfälzische Abschiebegefängnis in Ingelheim.
    Das einzige rheinland-pfälzische Abschiebegefängnis in Ingelheim - eins von sechs solcher Anstalten in sechs Bundesländern. (picture alliance / dpa - Fredrik von Erichsen)
    "Wie hältst du es mit den Abschiebungen?" Das ist die aktuelle Gretchenfrage in der deutschen Innenpolitik, seitdem vor wenigen Tagen in Hamburg ein Asylbewerber einen Menschen in einem Supermarkt und sieben weitere verletzt hatte.
    Unions-Innenpolitiker hatten den Behörden in der Hansestadt vorgeworfen, den 26-Jährigen nicht richtig eingeschätzt zu haben: nämlich als sogenannten Gefährder, also eine Person, der eine schwere Straftat zuzutrauen ist, zum Beispiel ein Anschlag.
    Unions-Innenexperte Stephan Mayer übte daraufhin schwere Kritik an den Hamburger Behörden. Der Mann, der sich offenbar selbst radikalisiert hatte, scheint psychische Probleme gehabt zu haben.
    Bund- oder Ländersache?
    Der Linken-Politiker Frank Tempel hatte im Deutschlandfunk daher gefordert: "Auf alle Fälle müssen wir uns klar werden, dass wir genau diesen Stellen diesen psychologischen Dienst deutlich stärken müssen, zivile Stellen stärken müssen. Ich finde es muss eine Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern geben. Denn das können die Länder nicht selber bewerkstelligen, ich sehe hier auch den Bund in der Verpflichtung."
    Doch selbst, wenn jemand als psychisch krank, gefährlich und als ausreisepflichtig eingestuft wird, ist eine Abschiebung - obwohl rechtlich möglich - in der Praxis oft schwer umsetzbar. Vor allem wegen fehlender Ausreisepapiere. Auch könne die Mehrheit der ausreisepflichten Migranten gar nicht erst abgeschoben werden, argumentiert die Bundesregierung, weil in ihren Heimatländern Tod oder Folter drohten.
    Seit langem gibt es eine hitzige Debatte über Abschiebeflüge nach Afghanistan. Linke und Grüne fordern eine Aussetzung der Flüge nach einem Anschlag in Kabul mit mindestens 90 Toten und 400 Verletzten.
    Wenige Haftplätze in Abschiebegefängnissen
    Das Thema Abschiebungen ist vielschichtiger. Die Zeitung "Die Welt" berichtet, dass auch Abschiebegefängnisse fehlten. Ihren Recherchen zufolge gibt es gerade mal sechs solcher Anstalten in sechs Bundesländern. Insgesamt stünden damit 400 Haftplätze in Deutschland zur Verfügung. Ein Zustand, den das Bundesinnenministerium nicht hinnehmen will. Eine Sprecherin schlug eine vierstellige Zahl an Haftplätzen vor.
    Die Aufstockung der Plätze könnte Abschiebungen also erleichtern. Schließlich müssten der Behörde nach in Deutschland gerade 226.000 Ausländer das Land verlassen. Das zu bewerkstelligen ist eine Mammutaufgabe, die bisher den Ländern zufällt.
    Häufig fehlen gültige Papiere
    Doch nicht nur dabei gebe es große Probleme, so Niedersachsens Innenminister Pistorius im Deutschlandfunk: "Sie können jeden abschieben, der ausreisepflichtig ist und das passiert ja auch leider nicht oft genug weil das an Dingen scheitert, die die Länder nicht in der Hand haben, also wenn sie den Hamburger Fall nehmen oder auch andere, dann stehen wir immer wieder vor dem Problem, dass die Papiere fehlen. Dafür ist der Bund verantwortlich, das die Abkommen mit den Herkunftsstaaten geschlossen werden, dass die ihre Leute zurücknehmen und Ersatzpapiere ausstellen. Da können die Länder wenig daran machen".
    Der SPD-Politiker lenkt also beim Thema Flüchtlingspolitik den Fokus auf die Herkunftsländer. Er fordert, dass in Libyen Auffanglager entstehen. Die Flüchtlinge sollten nicht in Italien sitzen, sondern möglichst schon außerhalb der EU Ansprechpartner finden, sagte er der Süddeutschen Zeitung.
    Zahl der freiwilligen Ausreisen gesunken
    Und wie steht es um die freiwilligen Ausreisen von Asylbewerbern? In der ersten Jahreshälfte entschieden sich deutlich weniger Menschen dazu, von alleine in ihre Heimat zurückzukehren - verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Bis Ende Juni 2017 seien nach vorläufigen Zahlen gut 16.600 Menschen über ein Förderprogramm von Bund und Ländern ausgereist, etwa halb so viele wie im Jahr davor.
    Wie ist dieser große Rückgang zu erklären? SPD-Innenstaatssekretär Ole Schröder begründet das unter anderem damit, dass die Zahl der Asylbewerber vergangenes Jahr besonders hoch gewesen sei - und damit auch die Zahl der Ablehnungen und freiwilligen Rückkehrer. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will an diesem Nachmittag über freiwillige Rückkehren informieren.