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Innere Sicherheit
"Ein rituelles Aufrüsten in Zeiten der Verunsicherung"

Die Sicherheit in Deutschland lasse sich nicht durch ein paar Polizisten mehr oder mehr Aufrüstung verbessern, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im DLF. Attentate von Einzelnen könne die Polizei letztlich nie verhindern. Die Verunsicherung müsse durch Vertrauen in den Staat aufgefangen werden.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch Peter Kapern | 28.07.2016
    Polizisten von hinten. Sie tragen Helme.
    Die CSU versuche derzeit ein rituelles Aufrüsten in Zeiten der Verunsicherung, sagte der Politikwissenschaftler Korte. (Arno Burgi, dpa)
    Peter Kapern: Besonnenheit ist gut, ersetzt aber nicht das entschlossene Handeln. So ungefähr hat es Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer nach den Attacken von München, Würzburg und Ansbach auf den Punkt gebracht. Seit gestern hat er sein Kabinett am Tegernsee versammelt und heute Morgen präsentierte die CSU schon ihren Katalog von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit. Am Telefon bei uns ist Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte.
    Karl-Rudolf Korte: Hallo, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Korte, die CSU legt also einen Maßnahmenkatalog vor. Was ist das, was die CSU da betreibt, der verzweifelte Versuch, das Image der Law-and-Order-Partei auch in diesen Zeiten zu bewahren?
    Korte: Ja, denn die Union, gerade die CSU hat einen Kompetenzvorsprung im Bereich Ordnung und Sicherheit. Den will sie versuchen; zu erhalten, gerade weil die vielen Anschläge ja in Bayern waren. Aber das ist ein rituelles Aufrüsten in Zeiten der Verunsicherung.
    Kapern: Rituelles Aufrüsten? Heißt das, Sie ordnen das eher im Bereich der Symbolpolitik ein?
    Korte: Ja. Es sind ja einige konkrete Dinge benannt worden, aber die Sicherheitslage ändert sich ja dadurch faktisch nicht. Denn die Bürger brauchen nicht mehr Information oder nur Sicherheitspersonal, sondern sie müssen Vertrauen haben in den Staat, der sie elementar beschützt. Das ist im Moment nicht mehr der Fall und hier sind einfach viele Verunsicherungen, die eher durch Vertrauen, vielleicht auch durch Zukunftsprojekte aufzufangen sind, aber nicht durch Aufrüstung im Detail.
    "Merkel ist im Moment wie eine Getriebene"
    Kapern: Nun geht ja in einer knappen Stunde auch Angela Merkel, die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende, in Berlin vor die Presse. Es ist eine Pressekonferenz, die unter dem Druck der Ereignisse um einige Wochen vorverlegt worden ist. Fragt sich nur, welche Ereignisse diesen Druck ausgelöst haben: die Attacken der letzten Woche, oder das Vorpreschen der CSU?
    Korte: Ich vermute, eher die CSU als die Attacken der letzten Wochen. Weil es ist offenbar erkennbar, dass sie in die Offensive gehen möchte, dass sie wie eine Getriebene im Moment wirkt und insofern auch vermutlich Zukunftsprojekte vorstellen will. Aber so wie wir sie kennen bisher, als Resilienzmanagerin, glaube ich eher, dass sie auch von Detail zu Detail eilen wird, aber nicht wirklich eine Perspektive eröffnet, weil sie auch nicht erklärt, wie sie letztlich aus dieser Sicherheitsfrage rauskommen möchte.
    Kapern: Wenn Sie nun Angela Merkels Stichpunktzettel für die Pressekonferenz heute Mittag geschrieben hätten, welche zentrale Botschaft an die Menschen im Lande würde denn draufstehen?
    Korte: Ja, ein neues Demokratieprojekt. Wozu lohnt es sich, hier unter Wohlfahrtsbedingungen zusammenzuleben? Was ist der Vorteil unseres jetzigen Zusammenlebens unter Bedingung von Vielfalt? Was kann die Nation nie erreichen, sondern nur mit anderen zusammen? Wozu brauche ich öffentlichen Streit? Solche grundsätzlichen Dinge würde ich zum Thema machen und herausstreichen, in welcher Wohlfahrts- und Wohlstandsoase wir leben und diese Qualität von Demokratie wir nur erhalten können, wenn wir das Gesellschaftsmodell gemeinsam auch verteidigen. Das wäre eine Zukunftsperspektive. Das wäre ein Demokratieerlebnis, was sie steigern muss. Wenn man jetzt parallel die Parteitage in den USA sieht, fällt einem das geradezu auf. Wir brauchen nicht das gleiche Pathos, aber bei Sicherheitsfragen läuft man immer Einzeltätern oder Massenmördern hinterher. Man ist nie in der Offensive und deswegen braucht die Politik zur Verteidigung der Demokratie einen ganz anderen Ansatz.
    Kapern: Noch mal nachgefragt, Herr Korte. Sie meinen wirklich, dass man mit einem Projekt und etwas Pathos die Furcht der Bürger vor Anschlägen, vor Attentaten beheben könnte?
    Korte: Ja, denn die Sicherheitssituation, wie sie sich in den letzten Tagen zeigt, ist ja nicht wirklich behebbar durch ein paar Polizisten mehr oder mehr Aufrüstung. Sie ist behebbar dadurch, dass wir keine politische Aufwertung der Attentäter betreiben, die einfach Massenmörder sind, die mit dem Strafrecht auch geahndet werden können. Die Qualität der Demokratie hängt von der Qualität der Öffentlichkeit ab und diese Öffentlichkeitsqualität, die müssen wir schützen, die müssen wir verteidigen und da müssen wir uns die eine oder andere Grundregel wieder angewöhnen. Und da gehört auch nicht dazu die Aufwertung dieser Einzeltaten. Das kann die Polizei letztlich nie verhindern. Die Motive waren unterschiedlich, die Täter, die Orte waren unterschiedlich. Auch ein Land wie Frankreich, was überhaupt kein Flüchtlingsthema oder Problem hat, ist massiv betroffen. Das ist so vielfältig, es gibt da keinen gemeinsamen Schutz.
    "Merkel wird als Teil des Problems angesehen"
    Kapern: Und gleichwohl wird ja alles das, was hier in den letzten Tagen in Deutschland geschehen ist, in den Kontext der Flüchtlingskrise und der Flüchtlingsaufnahme gestellt. Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, dass Angela Merkel den Satz geprägt hat, "Wir schaffen das!", und da wird sie ja jetzt nicht heute Mittag in Berlin einfach sagen können, ups, leider schaffen wir es doch nicht.
    Korte: Ja, und das ist in der Tat das Problem. Das wirkt wie ein Kanzler-Malus mittlerweile, dass mit ihr dieser Globalisierungsschub, der es ja eigentlich ist, verbunden wird und dass ein Ausweg mit ihrer Person gar nicht mehr richtig erkennbar wird. Sie wird als Teil des Problems angesehen, wenngleich, wie ich eben versucht habe darzustellen, natürlich die Dramaturgie auch der Kriminalität und der Radikalisierung ganz andere und vielschichtige Gründe hat. Aber es wird mit ihrer Person verbunden, ursächlich, und aus dieser misslichen Lage kommt sie sehr schwer nur noch raus.
    Kapern: Nun muss man doch bei Licht betrachtet sehen, dass Angela Merkel ihren Willkommenskurs doch eigentlich schon längst aufgegeben hat. Kann man sie wirklich noch mit der "Wir schaffen das!"-Kanzlerin gleichsetzen?
    Korte: Das sehe ich schon so, denn sie hat grundsätzlich nicht auf Obergrenzen-Diskussionen eingelassen, nicht grundsätzlich auf massive Grenzsicherung gesetzt, immer gesagt, Menschen in Not, jeden Tag helfen wir jedem, dazu haben wir eine Verpflichtung. Dieser humanitäre Imperativ ist nicht aufgegeben worden, wenngleich Möglichkeiten durch andere Länder entstanden sind, dass Flüchtlinge nicht mehr zu Tausenden jeden Tag hier hinkommen. Wichtig wäre, dass sie Alternativen zulässt, denn das ist das, was gerade im bürgerlichen Lager im Moment eher Mangelware ist.
    Kapern: Alternativen wozu?
    Korte: Alternativen zu allem. Zuletzt haben wir auch Brexit nicht wahrhaben wollen und es ist eingetreten. Das ist moralischer Hochmut bürgerlicher Mitte, die nicht mehr in grundsätzlichen Alternativen denkt. Wir schaffen das und wir schaffen das nicht - beides hat die moralische gleiche Qualität, und deswegen muss man ringen, was dann angebracht ist, aber nicht von Vornherein sagen, das wir schaffen das nicht zu diskreditieren.
    "Parteienwettbewerb ist in Bewegung"
    Kapern: Die Union jedenfalls in Schwierigkeiten nach den Ereignissen der letzten Tage. Bringen die eigentlich die Parteienlandschaft in Deutschland insgesamt in Bewegung, diese Anschläge und Attacken? Es ist doch eigentlich bemerkenswert, dass Alexander Gauland und Sahra Wagenknecht heute ungefähr so harmonisch klingen wie damals Roy Black und Anita.
    Korte: Ja, sehr interessante Analogien. Aber klar: Parteienwettbewerb ist in Bewegung. Das Thema Sicherheit und Ordnung, wer dort Kompetenzvorsprung hat, wird damit auch brillieren. Ich sehe eher die Exekutive in der zentralen Wahrnehmung, auch etablierte Parteien, die im Kompetenzfeld hierzu mehr zu bieten haben als die anderen. Und wenn die etablierten Parteien es schaffen, auch Zukunftsprojekte im Sinne der Demokratieentwicklung hinzubekommen, sehe ich keinen weiteren Zulauf des Populismus. Da sehe ich keinen Kontext, der automatisch sich in dieser Richtung entwickelt. Es liegt an den etablierten Parteien, ob Populismus groß oder klein wird.
    Kapern: Aber es ist doch erstaunlich, wie groß die Schnittmengen von ganz links und ganz rechts im Moment sind.
    Korte: Ja, weil die Gemeinsamkeit ist an der Elitenkritik. Das ist "wir gegen oben". Und die Gemeinsamkeit auch ist, antipluralistisch vorzugehen, ausgrenzend, zum Teil auch diffamierend alle, die anders denken. Und das, finde ich, ist bei Extremen immer das Verbindende Element.
    Kapern: Karl-Rudolf Korte, der Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Korte, danke für Ihre Expertise, danke, dass Sie Zeit für uns hatten.
    Korte: Gerne!
    Kapern: Schönen Tag noch! Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.