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Innere Sicherheit
Polizeigesetz zunächst ohne Gesichtserkennung

Nun doch keine automatisierte staatliche Gesichtserkennung: Das Innenministerium hat seine Pläne zur Novelle des Bundespolizeigesetzes geändert. Es seien noch zu viele Fragen offen, heißt es. SPD, Grüne und Datenschützer begrüßten dies, die Unionsfraktion hingegen zeigte sich wenig erfreut.

Von Johannes Kuhn | 24.01.2020
Noch am Mittwoch hatte das Bundesinnenministerium in einem Twitter-Video für den Einsatz automatischer Gesichtserkennung geworben. Ein ursprünglicher Entwurf zur Novelle des Bundespolizeigesetzes hatte deren flächendeckende Einführung vorgesehen: Gesichtserkennungssystemen hätten an 135 deutschen Bahnhöfen und 14 Flughäfen installiert werden dürfen.
Zu viele Fragen offen
Die dortigen Aufnahmen hätte die Bundespolizei dann automatisch mit Fahndungsfotos abgleichen können. Als am Donnerstagabend der Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung ging, fehlte die Passage jedoch. Daniil Kushnerovich, Sprecher des Bundesinnenministeriums:
"Wir sehen den Einsatz von Systemen zur Gesichtserkennung als wertvollen Beitrag zur Arbeit der Polizei. Allerdings sind hier, wie der Minister heute betont hat, Fragen offen geblieben. Und an dieser Stelle ist auch wichtig zu sagen, dass über die Einführung einer solchen Technologie einfach breit diskutiert werden muss."
Gesichtserkennung: Wie die Firma Clearview arbeitet  Drei Milliarden Fotos befinden sich in der Datenbank der New Yorker Firma Clearview - abgesaugt aus dem Internet. Mit dieser Datenbank identifizieren Sicherheitsbehörden Menschen, die von einer Überwachungskamera gefilmt wurden.
Die aktuelle Diskussion um die US-Firma Clearview hätte bei der Entscheidung eine Rolle gespielt, so das Innenministerium. Das Startup hatte in den USA Milliarden Fotos aus dem Internet gesammelt und US-Polizeiermittlern ermöglicht, in dieser Datenbank automatisiert nach Verdächtigen suchen zu lassen.
Datenschutzbeauftragter fordert breite Diskussion
Allerdings hatten sowohl die SPD-Vorsitzende Saskia Esken als auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber Seehofers Pläne kritisiert.
Der Datenschutzbeauftragte Kelber begrüßte die Entscheidung nun. Im Gespräch mit dem Hauptstadtstudio forderte er eine breite Debatte über die Technologie.
"Die müssen tatsächlich nicht nur unmittelbare technische Fragestellungen und Sicherheitsfragestellungen, auch Datensicherheitsfragestellungen beinhalten, sondern auch gesellschaftliche Abwägungen. Deswegen braucht es einen Diskussionsprozess, der wirklich breit ist."
Kritik von der Unionsfraktion
Man werde nun im parlamentarischen Raum entscheiden, wie man weiter vorgehe, so Seehofer in einer Stellungnahme. Die SPD begrüßte den Sinneswandel, die Grünen fordern nun sogar ein gesetzliches Verbot von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.
Weniger erfreut über die Entscheidung zeigt sich die Unionsfraktion. Der innenpolitische Sprecher Matthias Middelberg sagte dem Deutschlandfunk Hauptstadtstudio:
"Wir halten da relativ wenig von. Wir haben in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion darüber lange diskutiert. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Modellversuch an Berlin Bahnhof Südkreuz. Und wir halten das für ein wirklich wichtiges Instrumentarium, das uns sehr wirksam dabei helfen kann, wirklich Schwerstkriminelle, Terrorverdächtige und Gefährder zu erkennen."
Test am Berliner Südkreuz wird unterschiedlich bewertet
Das Projekt am Berliner Südkreuz ist der bislang einzige Test automatisierter staatlicher Gesichtserkennung in Deutschland. Er fand im Jahr 2017 statt. Software sollte automatisiert Testpersonen erkennen, die sich dort bewegten. Während das Innenministerium von einer sehr guten Trefferquote sprach, bewerten der Chaos Computer Club und auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Kelber die Ergebnisse als wenig überzeugend. Kelber verweist zudem darauf, dass die Überwachungsgefahr nicht von einer einzigen Maßnahme kommt.
"Wenn es zu einem staatlichen Einsatz kommt, kommt dazu, dass wir es im Gesamtzusammenhang mit anderen Grundrechtseingriffen betrachten müssen – die sogenannte Überwachungsgesamtrechnung. Also: Kommt durch immer weitere kleine Maßnahmen am Ende eine solche Überwachung zustande, die die Bürgerinnen und Bürger in ihren Grundrechten einschränkt."
Die Debatte über automatisierte Gesichtserkennung wird derzeit auch in Brüssel geführt: Die EU-Kommission hat ins Spiel gebracht, für den Einsatz im öffentlichen Raum ein drei- bis fünfjähriges Moratorium zu verhängen.