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Inoffizielle Opposition muss eine Chance bekommen

Die Unruhen in Tunesien sind nach Ansicht von Günter Gloser (SPD), Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die Maghreb-Staaten im Bundestag, Ausdruck versäumter Reformen. Aufgabe der Europäischen Union müsse es sein, von Tunesien eine gesellschaftliche Öffnung einzufordern.

Günther Gloser im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.01.2011
    Tobias Armbrüster: Seit Tagen wird Tunesien von gewaltsamen Ausschreitungen erschüttert. Jugendliche Demonstranten liefern sich im ganzen Land Straßenschlachten mit Polizei und Armee. Auch in der vergangenen Nacht ist es wieder zu Protesten gekommen.

    Was genau die Gründe für diese schweren Unruhen sind, das ist aus deutscher Sicht nicht immer ganz leicht zu begreifen. Deshalb wollen wir darüber jetzt etwas ausführlicher sprechen mit dem SPD-Politiker Günter Gloser. Er ist der Vorsitzende der Parlamentariergruppe für die Maghreb-Staaten im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Gloser.

    Günter Gloser: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Zunächst, Herr Gloser, welche Informationen bekommen Sie aus Tunesien?

    Gloser: Die sind natürlich in der Tat zum Teil deckungsgleich, was wir gerade eben auch gehört haben, was wir aus den Medien erfahren, aus offiziellen Berichten, aber natürlich auch immer unter dem Hinweis, quasi ein Hilferuf auch, dass eben vor allem die Europäische Union doch auch einwirken muss, dass die Gewalt unterlassen wird, die von den staatlichen Autoritäten ausgeübt wird.

    Armbrüster: Was ist der tiefere Grund für diese Unruhen?

    Gloser: Es schwelt natürlich schon länger und einesteils auf die Frage, ist man jetzt überrascht, dass es so gekommen ist, muss man sagen, ja und nein. Ich glaube, die wirtschaftliche Entwicklung, die sozialen Probleme haben sich in den letzten Jahren aufgestaut und der Protest eben auch gerade von jungen Menschen, die keine Perspektive für einen Arbeitsplatz haben, das ist nicht erst seit gestern bekannt. Mir ist aber auch aufgrund von vielen Gesprächen gerade im letzten Jahr deutlich geworden, dass das auch für die Verantwortlichen ein großes Problem geworden ist, mit Hilferufen eben auch, wie kann durch eine bessere Kooperation beispielsweise auch zwischen Deutschland und Tunesien ein Teil dazu beigetragen werden. Das ist natürlich nicht die alleinige Lösung, sondern damit verbunden ist auch die Frage von politischen Reformen. Ich glaube auch, dass eine gesellschaftliche Öffnung, die sicherlich von einigen auch immer gegenüber tunesischen Regierungen angemahnt worden ist, auch dazu beigetragen hätte, insgesamt die wirtschaftliche Situation in diesem Land zu verbessern und damit auch eine bessere Perspektive für die jungen Menschen zu geben.

    Armbrüster: Wir hören jetzt immer, dass es sich bei Tunesien um einen Polizeistaat handelt, um eine harte Diktatur. Kann man mit so einer Regierung, mit so einem Land überhaupt vernünftig verhandeln?

    Gloser: Ja, man muss natürlich sprechen. Was ist die Alternative? Es gibt ja eben auch auf Grund der vielen Gespräche, die ich in den letzten Jahren hatte, immer aus den Reihen der, wenn man so sagen muss, inoffiziellen Opposition die Bitte, auf die Verantwortlichen einzuwirken, und Sie können sicher sein, dass das auch von verschiedenen anderen Ebenen in der Europäischen Union gemacht worden ist, auch gerade im Hinblick auf den Wunsch Tunesiens, einen besseren Status, also einen privilegierten Status gegenüber der EU zu erreichen. Da haben wir immer wieder betont, wir verbinden damit aber auch Erwartungen, und ich glaube, jetzt gibt es für die Regierung Ben Ali gar keine andere Möglichkeit, sich auch mit Personen, mit Institutionen an den Tisch zu setzen, die nicht das System umstürzen wollen, aber die eine gesellschaftliche Öffnung haben wollen. Deshalb ist aber auch von unserer Seite aus das Gespräch notwendig.

    Armbrüster: Gestern kam nun die Ankündigung, dass Demonstranten freigelassen werden sollen aus dem Gefängnis. Außerdem wurde der alte umstrittene Innenminister entlassen und ein neuer eingesetzt. Meinen Sie, kann die Regierung in Tunesien die Lage damit beruhigen?

    Gloser: Das sind sicherlich Dinge, die angekündigte Freilassung, auch eine Geste des Staatspräsidenten, aber das wird nicht ausreichen. Ich glaube, die jungen Leute, der große Teil der Bevölkerung braucht eine Perspektive, und da ist ein erster Punkt, dass man eben auf Repressionen, auf Gewalteinsatz verzichtet, dass man verschiedene Leute, die es ja gibt, auch aus der nicht zugelassenen Opposition, an den Tisch holt und dann glaube ich aber, dass in der ganzen Diskussion vielleicht etwas immer unterbelichtet bleibt aufgrund der wirtschaftlichen Situation. Es ist ja nicht nur in Tunesien so, wie wir mittlerweile wissen. Die Entwicklung in Nordafrika, in den Maghreb-Staaten, könnte weitaus besser sein, wenn es insgesamt auch eine regionale, eine bessere Kooperation zwischen den Ländern geben könnte. Wir stecken ja alle noch in den Schuhen sozusagen dieser Mittelmeer-Union. Auch das hätte eine Chance gegeben, eine weitaus intensivere Kooperation zwischen Nord und Süd herbeizuführen, aber natürlich nicht ohne Ausblendung auch bestimmter Dinge, beispielsweise die Frage von Menschenrechten, von Meinungsfreiheit, von Bildung einer regulären Opposition.

    Armbrüster: Frankreich gilt ja als ehemalige Kolonialmacht, als engster Bündnispartner von Tunesien. Präsident Sarkozy hält sich aber in dieser aktuellen Krise auffallend zurück. Können Sie das verstehen?

    Gloser: Nein. Ich kann natürlich verstehen, dass es diese Verbindungen alle gibt, und das weiß ich, inwieweit auch die engen Austausche sind zwischen beiden Ländern. Aber auf der anderen Seite, gerade auch im Hinblick darauf, dass eben die von mir angesprochene angestrebte bessere Kooperation zwischen Tunesien und der Europäischen Union über einen privilegierten Status erreicht werden soll, muss man auch das EU-Mitgliedsland Frankreich dazu bringen zu sagen, wir als Europäer haben auch im Interesse vieler Teile der Bevölkerung in Tunesien Erwartungen, beispielsweise auch bei der gesellschaftlichen Öffnung dieses Landes.

    Armbrüster: Also ist das möglicherweise ein bisschen falsch verstandene Solidarität zwischen Sarkozy und der tunesischen Führung?

    Gloser: Es kann und muss eine gute Beziehung zwischen den Ländern geben, aber das heißt, dass man Dinge, die ja auch den Werten der Europäischen Union in dem Fall nicht entsprechen, aber auch viele Anliegen von Teilen der Bevölkerung in Tunesien betreffen, offen ansprechen muss, ohne dass damit auch eine Freundschaft kaputt gehen kann.

    Armbrüster: Es heißt jetzt immer wieder, Herr Gloser, dass das vordringlichste Ziel der tunesischen Regierung sei, den militanten Islamismus im Land klein zu halten. Welche Rolle spielt der Islam bei diesen Unruhen?

    Gloser: Einmal muss man in der Tat aber auch sagen, dass wir nicht alles in schwarz-weiß malen. Beispielsweise Tunesien hat in vielen Jahren zurück eben etwas erreicht, was in anderen Ländern noch nicht so ist, nämlich was auch die Stellung der Frau angeht, auch was insgesamt die Trennung von Religion und von Staat und von Kirche ist. Natürlich ist das oft mit dem Vorwand auch gemacht worden, die Repressionen, um den Fundamentalismus nicht entstehen zu lassen, aber das kann nicht der alleinige Grund sein, auch für uns nicht in Europa zu sagen, wir wollen in unserem Vorgarten Ruhe haben und darunter müssen aber auch Teile der Bevölkerung in Tunesien leiden. Das kann auch nicht der Anlass sein, hier zu schweigen.

    Armbrüster: Wie groß ist denn die Gefahr, dass durch diese Unruhen auch der militante Islamismus wieder an Fahrt gewinnt in Tunesien?

    Gloser: Das waren meine Warnungen eigentlich immer in der Vergangenheit, in den Gesprächen zu sagen, es muss auch im Interesse der Herrscher sein, dass es eine legale Opposition auch gibt, dass es Kräfte gibt, die ruhig auch Kritik üben dürfen für den Fall, dass in der Bevölkerung auch Ärger vorhanden ist, den man hier in einer Opposition auch bündeln kann, wie wir es hier bei uns ja auch kennen, um damit nicht anderen Kräften, die ganz was anderes im Sinn haben, sozusagen die Tür zu öffnen. Aber das ist sozusagen ungehört verhallt.

    Armbrüster: ... , sagt Günter Gloser von der SPD. Er ist der Vorsitzende der Parlamentariergruppe für die Maghreb-Staaten im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr Gloser, für dieses Interview.

    Gloser: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören.