Donnerstag, 25. April 2024

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Ins Stadion zum Frustabbau

Nach Ansicht des Schriftstellers Klaus Theweleit bauen Fußballfans im Stadion in nahezu einzigartiger Form Aggressionen ab. Im Stadion dürfe der Fan entgegen seinem Alltag schreien, fluchen und schimpfen "Das hat eine ungeheure Abfuhrwirkung. Das befreit", sagte Theweleit.

Moderation: Bernd Gäbler | 18.05.2006
    Bernd Gäbler: Herr Theweleit, was ist ein Fan?

    Klaus Theweleit: Was ist ein Fan? Es gibt verschiedenen Sorten Fans. Der normale Fan ob vom Fußballverein oder von einer Rockgruppe oder eines Filmregisseurs ist Schlicht ein Anhänger einer bestimmten Spielweise und mag das Spiel und meistens auch eine bestimmte Mannschaft.

    Gäbler: Sind Fans oft welche, die selber Fußball gespielt haben?

    Theweleit: Der Normalfall des Fans ist der, der selber gespielt hat. Das muss nicht mit einer "gescheiterten Karriere" verbunden sein. Sehr viele fangen mit fünf, sechs, sieben Jahren an, auf der Straße, in Gruppen, in den bekannten Zusammenhängen und spielen das so lange, wie es ihnen Spaß macht und sie Gelegenheit haben.

    Gäbler: Wie kommt es, in den Vereinen heutzutage wechseln ja die Spieler oft schneller als früher. Sie kommen oft von weit her. Es gibt kaum noch den regionalen Bezug, wie er früher ausgeprägt war. Dennoch gibt es Identifikation mit diesem Verein über Jahre hinweg oft von Menschen, obwohl das Konkrete sich ständig ändert. Ist der Verein eine Art Abstraktion?

    Theweleit: Der Verein ist eine Abstraktion. Wenn ich den SC Freiburg nehme, dann ist das der Name Freiburg. Damit können Leute sich identifizieren oder wollen sich identifizieren, die hier leben. Aber es kann der Fall sein, dass erstens kein Badener Spieler und bei manchen Vereinen inzwischen ist es ja vorgekommen, kein deutscher Spieler auf dem Platz steht. Trotzdem, für den Fall Freiburg, der Wiederspruch besteht darin, dass die Zuschauer, die da sind, animiert vom Lautsprecher, aber nicht nur davon, das Badenerlied vorneweg singen und "Mein Badener Land" und so weiter, und es stehen aber fünf schwarze Spieler auf dem Platz oder Farbige. Dieser Wiederspruch wird offenbar nicht empfunden, oder man sieht über ihn weg. Die Leute wollen sich selbst feiern als Fans. Das geht. Also das hat nicht viel mit Vernunft und Logik zu tun.

    Gäbler: Warum und wie verwandelt sich der Mensch im Stadion?

    Theweleit: Wenn die eigene Mannschaft gewinnt, ist es eine simple Feier der Freude darüber, die mit anderen zusammen empfunden und genossen und ausgedrückt wird. Aber es steckt besonders im Verlauf einer Saison und bei Leuten, die ständig hingehen, vielmehr drin. Das Stadion organisiert eine Sorte Gewaltabfuhr. Und wovon sie sich entladen wollen, dass ist ein Überhang gesellschaftlicher Gewalt, der in ihnen steckt, den sie erleben am Arbeitsplatz, in Wohnverhältnissen, in ihrem Privathaushalt, Frau, Kindern, Nachbarn, im Straßenverkehr und, und, und. Diese ganze hoch aufgebaute Technologie, die wir hier haben, ist ja ein ungeheurer, zwar normal friedfertig arbeitender, aber trotzdem Gewaltapparat, der auch die Seite hat, dass er Leute aussaugt. Und im Stadion haben sie die Möglichkeit mit Dingen wie dem exaltierten Schrei, der erlaubt ist und sonst nie erlaubt ist, außer vielleicht in der Urschrei- Therapie, kann im Stadion so geschrieen werden. Es kann geflucht werden. Es kann geschimpft werden. Man kann schreien: "Blöde Sau", "Arschloch" oder wie immer, ungestraft. Man kann es mit 50.000 zusammenschreien. Es schreien auch Leute, die sonst nie schreien in ihren Alltagsverhältnissen. Das hat eine ungeheure Abfuhrwirkung. Das befreit. Und dieses Erlebnis hat man nirgendwo so stark wie beim Fußball, weil keine andere Sportart derart massenhaft und mit so viel Energie besetzt ist wie der Fußball.

    Gäbler: Ist die Identifikation mit einem Verein dasselbe oder funktioniert sie genauso wie die Identifikation mit einer Nationalmannschaft?

    Theweleit: Ich kann das schwer sagen, weil ich mich mit einer Nationalmannschaft nie im Sinne von Nation identifiziert habe. Ich favorisiere die, ich hoffe, dass sie gewinnen, ich identifiziere mich nicht. Und ich glaube auch oft, dass diese Identifikation mit dem Nationalen ein aufgesetztes Gefühl ist. Die Fußballer selber sowieso folgen dem fast gar nicht. Die respektieren sich untereinander sowieso. Es gibt keinen englischen Fußballer, der sagt, die Deutschen sind alles Klopper oder Idioten. Im Gegenteil, die sagen, die und die und der und der Spieler ist ganz prima und den fand ich immer schon toll, mit dem würde ich gerne in einer Mannschaft spielen. Natürlich holen sie gerne einen deutschen Torwart zu Arsenal, wenn der gut ist, oder wie Hamann nach Liverpool. Klinsmann ist ja wie bekannt Sportler des Jahres in England geworden. Also diese Nationalismen werden stark von außen herangetragen.

    Gäbler: Wenn man Bilder von früher anschaut, von großen Fußballereignissen, merkt man, dass die Stadien auch sehr voll waren, aber die Menschen ganz anders aussahen, in der Regel einen Mantel trugen und einen Hut, also nicht angemalt waren, keine Fanattribute, Fahnen, Schals und sonst was mit hatten. Was hat sich da geändert?

    Theweleit: Auf der Ebene hat sich geändert, dass die Vereine gemerkt haben, dass man mit den Fanshopartikeln ein Riesengeschäft machen kann und das gepuscht haben. Von Schals, Mützen...

    Gäbler: Wenn Sie ins Stadion zu Freiburg gehen. Sie sind bekennender Fan der Freiburger. Tragen Sie dann auch so etwas? Nehmen Sie ein Schal mit oder so etwas?

    Theweleit: Nein, ich trage keinen Schal und ich trage auch keine Mütze. Ich finde das albern.

    Gäbler: Gerade wegen Ihrer linken Herkunft, so vermute ich, kritisieren Sie, wenn sich der normale populäre Sportjournalismus antikapitalistisch gibt, zum Beispiel Fans aufpeitscht durch Agitation gegen die Millionarios oder so.

    Theweleit: Ja, das ist eine bekannte Geschichte, die wir aus der Politik kennen, dass Leute, die selber Herrschaft ausüben auf andere sozusagen zeigen und sagen, das sind die Unterdrücker und damit von sich ablenken. Ich finde es besonders dumm auch, wenn Leute darauf reinfallen, dass sie sagen, der verdient doch ein paar Millionen. Denn der Spieler, wenn er eine Million weniger verdienen würde, würde kein bisschen besser spielen. Es besteht kein ursächlicher Zusammenhang. Es ist ein reiner Hetzzusammenhang. Ein Aufputschen von Emotionen gegen bestimmte Leute, die dann angeblich, wie das in diesen Medien heißt, ihr Geld nicht verdient haben, Arbeitsverweigerung. Ihr Geld nicht verdient haben, übersetze ich in die alte faschistische Rede, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Das sind Todesdrohungen, die latent da drunter stehen. Die gehören da nicht hin.

    Gäbler: Immer wieder hört man die Sprechchöre: "Wir wollen euch kämpfen sehen."

    Theweleit: Ja, also der Freiburger Trainer zum Beispiel, Volker Finke, regt sich regelmäßig darüber auf, wenn so ein Sprechchor kommt, weil er nicht will, dass seine Leute nicht kämpfen, weil er aber weiß, dass er eine Gruppe da hat, die über andere Dinge ins Spiel kommt. Die kommen ins Spiel, wenn das richtig gut flutscht, das Kombinationsspiel und wenn sie die Lücke vorne richtig sehen und einer stößt rein und sie erarbeiten sich Chancen, dann ist die Mannschaft zufrieden, auch wenn sie nicht gewinnt.

    Gäbler: Dieses, dass man eigentlich gar nicht die Mannschaft anfeuern möchte, sondern sich selber feiert.

    Theweleit: Ich glaube, darauf sind die Zuschauer aus. Deswegen ist dieser Millionariodiskussion auch so schädlich, weil das emotional von der Mannschaft trennt, in Großverdiener, Kleinverdiener, und warum feuern wir die eigentlich an? Wenn man das rational genau überlegt, macht das keinen Sinn. Aber wenn man sich mit dem Spielpotenzial, das da unten ist, verbindet, mit seinem eigenen Fußballkörper und wenn das gut läuft und man merkt auch, durch ein Anfeuern kriegt man die Spieler tatsächlich dazu, dass sie jetzt mehr bringen, mehr bittend, dann ist das tatsächlich eine gemeinsame Produktion, die dort angestellt wird. Und das lieben die Zuschauer am meisten.