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Insel Ikaria
Die ältesten Menschen Europas und der böse Blick

Die griechische Insel Ikaria ist nach der mythologischen Figur Ikarus benannt, der nach der Sage hier abstürzte. Heute ist die Insel für die ältesten Menschen Europas, für eine intensive Feldforschung unter Gerontologen sowie einen besonderen Aberglauben bekannt.

Von Marianthi Milona | 31.05.2015
    Ein Blick auf die Insel Ikara
    Ein Blick auf die Insel Ikara ( imago/Greece Invision)
    Eine sehr kleine griechische Propellermaschine ist auf einem Frühflug in Richtung der nord-ägäischen Insel Ikaria. Mit 20 Sitzplätzen. An diesem Morgen sind nur vier Passagiere an Bord. Das starke Motorengeräusch dröhnt in den Ohren. Und die kreisenden Propeller beim Blick aus dem Fenster versetzen dich in die Pionierzeit des Fliegens zurück. Jede Luftveränderung ist zu spüren. Wer nach Ikaria fliegt, der muss an Bord immer darauf gefasst sein ordentlich durchgeschüttelt zu werden. Ikaria ist für ihre starken Winde sehr bekannt. Mein Abenteuer Ikaria beginnt also schon bei der Anreise auf diese, gebirgige und nur sehr wenig bekannte griechische Insel.
    "Wasser? – Davon besitzen wir Unmengen. Ikaria besitzt so viel Wasser, dass die gesamten trockenen Kykladen damit versorgt werden könnten. Das wäre mal eine vernünftige Zukunftsinvestition! Und unsere Warmwasser-Heilquellen besitzen so viel Kraft, da könnte man mit den Möglichkeiten, die man heute zur Verfügung hat, die gesamte Insel mit Wärme und Energie versorgen. "
    Aber dafür sei die Politik verantwortlich, erklärt mir der 28-jährige Panagiotis, den ich kurz nach meinem Eintreffen in Ikaria zufällig kennenlerne. Ein Inselzuwanderer. Keiner, der hier geboren ist. Sein Großvater stammt von Ikaria. Genauer gesagt von der Ortschaft "Magganitis", im südwestlichen Teil der Insel. Dort, wo Panagiotis heute auch lebt. Er hat das Häuschen des Großvaters übernommen, Instand gesetzt und sich für ein ruhiges Leben entschieden, abseits der Großstadthektik.
    Seine kleine Taverne direkt neben der Dorfkirche dient den Einwohnern als Tante-Emma-Laden. Bei Panagiotis kriegt man alles. Von frischen Eiern bis zu verpackten Käsescheiben für Toast. Und mittags sogar frischen Sommersalat aus dem eigenen Garten. Panagiotis, so wie viele junge Griechen im Übrigen auch, ist überzeugt, dass die griechischen Inseln und ganz Griechenland überhaupt, eigentlich nicht im Sommer am sehenswertesten sind.
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    "Mich bringt hier nichts weg"
    Für mich ist Ikaria im Winter reizvoll. Sie hat diese raue, wilde Natur. Ihre Strände gehören sicher nicht zu den Besten des Landes. Wer zum Fischen kommen will, der kämpft auch mit den extremen Strömungen im Wasser. Wir haben kaum Anlegehäfen. Viele Fischer müssen ihre Kutter im Winter an Land ziehen. Aber Ikaria bietet ideale Bedingungen für Agrartourismus, für Wanderer ist es ein Paradies. Es gibt sehr gute ausgeschilderte Wanderwege. Man kann Höhlen entdecken und der hohe Berg in der Mitte der Insel bietet seltenen Greifvögeln ein Zuhause. Ikaria besitzt noch archaische Bäume und wird für ihre sehr intensiven Kräuterlandschaften und ihren Honig gerühmt
    Und dann eine Überraschung: Panagiotis greift zu seiner Violine und beginnt zu spielen. Ich erfahre, eigentlich ist er studierter Musiker und in Athen geboren und aufgewachsen. Aber da gab es die ständigen Auftritte in den Nächten, das wenige Geld und dann auch noch die Krise. Der Mensch werde nur ausgebeutet, erklärt mir der junge Mann. Athen, das sei schon längst keine Option mehr für ihn, um eine Lebensperspektive zu entwickeln. Jetzt spielt er in seinem Tante-Emma-Laden, wenn ihm danach ist und im Sommer veranstaltet er jedes Wochenende auf dem kleinen Hof Musikkonzerte, für Freunde und alle, die zufällig bei ihm vorbeischauen.
    "Musik ist mein Leben. Ich könnte mir kein anderes Leben vorstellen. Besonders die griechische Rebetiko Musik und die ganz alten griechischen Lieder, die kaum jemand mehr spielt. Ich bin ein Inlands-Emigrant. Heißt das nicht so? – Mich bringen hier nichts und niemand mehr weg. Nach Athen will ich nie wieder. Wenn Athen so bleibt, dann will ich nicht einmal, dass meine Kinder jemals dahin fahren."
    Die ältesten Menschen Europas
    In Gegensatz zum jungen Panagiotis sind viele Ikarioten bereits vor 100 Jahren emigriert. Vor allem nach Amerika und Australien. Die Insel bot damals keine Perspektive. Doch jeden Sommer kehren viele zurück. Sie haben auf ihrer Heimatinsel investiert. Um den Zurückgebliebenen zu helfen. Sie ließen auf Ikaria ein ungewöhnlich großes Krankenhaus bauen, mit Spezialisten auf vielen Gebieten und sogar ein Altenheim. Denn das Älterwerden, nun, das ist auf Ikaria ein wichtiges Thema. Viele Gerontologen haben intensive Feldforschung auf der Insel betreiben. Der Grund: Hier leben die ältesten Menschen Europas. Stamatios Loukas ist einer von ihnen. Er ist 89 Jahre alt und führt noch immer gemeinsam mit seiner Frau ein Hotel in "Therma", dem Ort, in dem sich die meisten Heilquellen der Insel befinden. Seine Antwort auf die Langlebigkeit der Ikarioten klingt ganz plausibel.
    "Meiner bescheidenen Ansicht nach liegt es daran, dass Ikaria an sehr zentraler Stelle in der Ägäis liegt. Wir haben Winde aus allen Richtungen. Das wechselt manchmal ganz spontan von Nord nach Süd und von Süd nach Nord. Von den Dardanellen und aus Afrika. Ikaria ist eine zugige Insel, wenn sie so wollen. Der Wind pustet hier alles weg. Hinzu kommt die natürliche Vegetation, die sie überall finden. Und schließlich das bescheidene, aber sehr biologisch angebaute Gemüse aus dem eigenen Garten. Niemand setzt chemischen Dünger ein. Unser Wasser kommt direkt vom Berg. Da gibt's keinen Zweifel, dass es gut ist. Aber ich glaube, dass es eher dieser ständige Wind ist, der uns länger leben lässt. Ich spüre das immer beim Wandern. Da fühle ich immer wieder, dass mich etwas aufleben lässt."
    Geheime Formel gegen den bösen Blick
    Wenn man auf einer Insel wie Ikaria ist, dann darf es an ein wenig Aberglaube und Mythos auch nicht fehlen. Lange zu leben, das sei schon gut, erzählt an einem Abend Maria Gemela, Geschäftsfrau in Agios Kyrikos, dem Hauptstädtchen auf Ikaria. Aber man sollte sich doch in jedem Fall den bösen Blick vom Leib halten, will man gesund durchs Leben gehen, erklärt sie. Wie das geht? - Diese geheime Formel hat die junge Frau von ihrer Großmutter überliefert bekommen. Und übt sich darin fleißig. Schließlich würde dieser Aberglaube auch von der orthodoxen Kirche toleriert werden, betont sie. Alles verrät Maria Gemela am Ende nicht. Aber doch ein bisschen.
    "Es handelt sich um ein Gebet, dass von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Ich darf es an eine Frau nicht verbal weitergeben, nur an einen Mann. Einer Frau kann ich es nur schriftlich vermitteln. Wenn jemand den bösen Blick hat und sich plötzlich am ganzen Körper unwohl fühlt, dann fange ich in seiner Nähe sofort zu gähnen an und fühle mich selbst unwohl. Der Mensch erwidert mein Gähnen sofort. Spreche ich dann im Stillen das Gebet, geht es der Person innerhalb von 30 Minuten wieder gut."
    Sie mag vielleicht keine Insel der großen Highlights sein. Aber in Ikaria kommt man an und will bleiben. Weil sie eben doch ein wenig anders ist, als alle anderen Inseln Griechenlands. Oder um es mit den Worten von Panagiotis, des Musikers, zu sagen:
    "Auf dieser Insel hast du einfach weniger Stress."