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"INSIDE LLEWYN DAVIS"
Ein neuer Antiheld der Gebrüder Coen

Es ist ein weiterer heruntergekommener Typ, der im Mittelpunkt des neuen Films der Coen-Brüder steht. Im kalten Winter des Jahres 1960/61 folgt die Kamera dem Folksänger Llewyn Davis, einem brotlosen Künstler, der aber wenig Mitgefühl verdient.

Von Hartwig Tegeler | 04.12.2013
    Film-Still: US-Schauspieler Oscar Isaac spaziert in "Inside Llewyn Davis" durch eine schneebedeckte Straße, Gitarre in der Hand, sich mit dem Sakko gegen die Kälte schützend
    US-Schauspieler Oscar Isaac in einer Szene von "Inside Llewyn Davis". (picture alliance / dpa / Alison Rosa)
    "Guten Tag, ich bin Llewyn Davis. - Oh, ich habe sehr viel Nettes über sie gehört."
    Tja, Schleimer gibt´s überall. Wo steht eigentlich geschrieben, dass ein Musiker sympathisch sein muss. Wenn er gute Musik macht, reicht doch. Wer schon einmal ein Interview mit Bob Dylan gemacht hat beziehungsweise den Versuch unternahm - bleiben wir mal bei Musikern und lassen Schauspieler oder Regisseure beiseite -, na ja, Schwamm drüber. Ein Kotzbrocken ist jedenfalls Llewyn Davis. Auch wenn es ein herzzerreißendes Bild ist, wie dieser Mann mit seinem Gitarrenkoffer im kalten Winter des Jahres 1960/61 durch den Schnee stapft.
    Llewyn Davis' alter Duopartner, mit dem er zusammen einige Erfolge in der Folkszene verbuchen konnte, hat sich das Leben genommen.
    "Er hat sich von der George-Washington-Brigde gestürzt. Man stürzt sich von der Brooklyn-Bridge. Schon aus Tradition."
    Das neue Solo-Album "Inside Llewyn Davis": "Die neue Platte verkauft sich?"
    Nein, sie ist ein Ladenhüter. Die Frau von Llewyns bestem Freund schwanger - vom Künstler.
    "Du machst dir ja keine Sorgen. - Bitte fang nicht wieder mit dem doppelten Kondom an. - Hast du überhaupt schon jemals über die Zukunft nachgedacht. - Die Zukunft?"
    Mithin, jeder Tag ein neues Abenteuer, weil sich die Frage stellt, welches Sofa welchen Freundes, Bewunderers oder anderen New Yorkers als Nachtlager zur Verfügung stehen könnte. Wenn also dieser Typ mit dem Gitarrenkoffer und dem zu dünnem Anzug, den zu dünnen Schuhen beim Stapfen durch die verschneiten New Yorker Straßen Mitgefühl erweckte, armer brotloser Künstler eben, dann ging er mir endgültig auf den Sack, als als er die Katze rauslaufen ließ auf die Straße. Und als er die andere Katze im Auto zurückließ; sie ihn nur anschaute, Llewyn Davis, mal wieder nur sich und nur sich im Auge, nur die Tür zuknallte und einer weiteren aussichtslosen Chance folgend durch den Schnee stapfte, spätestens hier ist klar, dass die Gebrüder Coen sehr, sehr böse mit ihrer Hauptfigur umgehen.
    Die Coens sehen sich ihren Hauptfiguren nicht verpflichtet
    Muss ein Künstler sympathisch sein? Antwort: Nein, wieso auch, Hauptsache, er macht gute Musik. Aber, Variante: Müssen Filmemacher ihre Hauptfiguren sympathisch finden? Nein, es gibt kein Gesetz des Kinos, das das fordert. Und die Coen-Brüder könnten auf einer imaginäre Liste der unsympathischsten Hauptfiguren problemlos die vorderen Ränge belegen.
    Der Begriff "Antiheld", den könnten Joel und Ethan Coen erfunden haben. Nehmen wir nur als Beispiel den heruntergekommenen Schriftsteller in "Barton Fink" oder all die Typen in der Cormac-McCarthy-Verfilmung "No Country for Old Men" und nun der Singer-Songwriter Llewyn Davis im Film "Inside Llewyn Davis".
    Dieser Film allerdings ist eine kühle Angelegenheit! "Inside Lleyn Davis" perfekt ausgestattet, perfekt inszeniert in Sepiafarben, perfekt gespielt von Oscar Isaac, Carey Mulligan, Justin Timberlake, John Goodman, F. Murray Abraham, aber eben sehr kalt in dieser Perfektion. Und doch nicht einfach so abzuhaken, denn durch die Hintertür, die sich bei den Coen-Brüdern in einigen ihrer Filme auf den zweiten Blick aus monumentales Einfallstor erweist, kommt die Liebe in den Film. Zur Musik. Ob beispielsweise mit "The Big Lebowski" oder - nur ein weiteres Beispiel - mit "O Brother, Where Art Thou" : Joel und Ethan Coen haben ein großes Faible für traditionelle amerikanische Musik.
    Mit den von Oscar Isaac - dem Darsteller von Llewyn Davis -, gesungenen Songs sowie einigen Klassikern der Folkmusik - Dylans "Farewell" oder Dave Van Ronks "Green, Green Rocky Road" -, erlebt dieser Coen-Film seine Emotionalisierung, in den Songs, die wir hören, spüren wir Schönheit, Melancholie, Traurigkeit als einen Kontrapunkt zur Kälte der Welt. Und zu der der Konstruktion dieses Films über einen erfolglosen Folkmusiker im Jahre 1960/61, der einem ganz schön auf die Nerven geht. Und das ist ja das Einzige, das für ihn einnimmt: Dass er ein Kotzbrocken ist, ein Egozentriker, aber gänzlich kompromisslos seine Musik macht. Tja, wer muss schon einen Musiker mögen, wenn er gute Musik macht?
    Nachsatz: Nach einem von Llewyns kleinen Auftritten in einem kleinen New Yorker Club vor, ach, zehn zahlenden Gästen, nur die Bühne, ein Mikrofon, ein Gitarre. Llewyn geht zum Tresen, um seine paar Dollar Gage abzuholen, hört er kurz dem Nächsten zu. Einem hageren Typen mit Lockenkopf. Da haben Joel und Ethan Coen sich vor Bob Dylan verbeugt. Gänzlich unkühl, uncool, ziemlich liebevoll hingegen. Sie können's ja schon.