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Insolvenz von Toys“R“Us
"Wir werden wieder mehr inhabergeführte Läden bekommen"

Der Spielzeughändler Toys"R"Us, der in den USA Insolvenz angemeldet hat, habe sein Online-Geschäft sehr stiefmütterlich behandelt, sagte der Handelsexperte Stefan Wolpert im Dlf. Die Lebensstile und Arbeitszeiten der Kunden hätten sich aber verändert. Der stationäre Einzelhandel habe trotzdem weiter gute Aussichten.

Stefan Wolpert im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.09.2017
    Das Logo von "Toys 'R' Us" im Dezember 2015 an einer Filiale am New Yorker Times Square.
    Das Toys-R-Us-Logo am New Yorker Times Square. In den USA hat der Spielzeughändler Insolvenz angemeldet. (picture alliance / dpa / Jason Szenes)
    Tobias Armbrüster: Es war eine Meldung aus dem Einzelhandel, die gestern weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Die Spielzeugkette Toys"R"Us hat in den USA Insolvenz angemeldet. Grund dafür sind ein riesiger Schuldenberg und - und das hat besonders viele aufhorchen lassen - ein Grund ist die wachsende Konkurrenz durch den Handel im Internet. Es gehen ganz einfach immer weniger Leute in die großen Spielzeug-Warenhäuser. Viele Kunden kaufen auch Spielzeug inzwischen einfach viel lieber im Internet.
    Insolvenz hat nur der US-Zweig des Unternehmens angemeldet. Toys"R"Us in Deutschland ist nicht betroffen, heißt es. Allerdings wirft das Ganze natürlich ein Schlaglicht auf die große Konkurrenz, die überall auf der Welt alle echten Geschäfte zu spüren bekommen durch die Konkurrenz aus dem Online-Shopping.
    Stefan Wolpert ist Handelsexperte am Fraunhofer-Institut in Nürnberg. Er beschäftigt sich quasi jeden Tag mit solchen Prozessen. Schönen guten Morgen, Herr Wolpert.
    "Die haben ihr Online-Geschäft sehr stiefmütterlich behandelt"
    Stefan Wolpert: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Wolpert, wieso kriegt selbst so ein Riese wie dieser Spielzeuggigant Toys"R"Us das nicht hin mit dem Online-Handel?
    Wolpert: Toys"R"Us ist da vielleicht sogar ein ganz spezieller Fall. Toys"R"Us hat lange gesagt, sie sind nur ein reiner Fachhändler und kein richtiger Online-Händler, und haben deswegen auch ihr Online-Geschäft sehr stiefmütterlich behandelt. Die haben das erst vor zwei Jahren wieder zurück ins eigene Haus geholt und hatten das bis dahin von einer Agentur machen lassen.
    Armbrüster: Welche Lektionen können deutsche Firmen, die möglicherweise auch erst später angefangen haben mit dem Online-Handel lernen aus diesem Fall?
    "Veränderte Lebensstile und Arbeitszeiten erfordern eine Anpassung"
    Wolpert: Die Lektion ist sicherlich, dass der Kunde sich verändert hat. Der Kunde möchte in Zukunft einkaufen und shoppen und das so einfach wie möglich. Er hat auch veränderte Lebensstile und veränderte Arbeitszeiten, die eine Anpassung erfordern. Das heißt, der Kunde an und für sich ist auch gewohnt, dass er sehr bequem und sehr einfach zu jeder Zeit dank des mobilen Internets überall Ware kaufen kann. Das muss ich ihm auch anbieten. Ich werde den Kunden dazu nicht bekommen, dass er diese bequemen Möglichkeiten in Zukunft nicht mehr nutzen wird.
    Nichts desto trotz kann der stationäre Einzelhandel sich natürlich auch weiterhin differenzieren. Wenn wir mal die Zahlen anschauen, dann haben wir aktuell je nach Zählweise einen Online-Anteil von ungefähr acht bis zehn Prozent am gesamten Einzelhandelsumsatz. Der wird in den nächsten Jahren sicherlich noch ein bisschen steigen. Da gibt es auch wieder Schätzungen, die sagen, bis 2022 haben wir ungefähr 15 bis 20 Prozent Online-Anteil. Aber das heißt, wir haben immer noch mindestens 80 Prozent stationären Umsatzanteil.
    Armbrüster: Das heißt, das ist tatsächlich Umsatz, der noch in einem Geschäft tatsächlich mit Ladenkasse getätigt wird?
    Wolpert: Genau.
    Armbrüster: Da zahlt jemand Geld mit Schein oder mit Kreditkarte oder EC-Karte. Das ist dieser Handel. – Was müssen denn Geschäfte, die so etwas machen und die möglicherweise zu klein sind, um sich einen eigenen Online-Handel zu leisten, was müssen die machen?
    "Der Einzelhandel wird seine Vorteile ausspielen müssen"
    Wolpert: Die müssen sich differenzieren. Ein wesentlicher Faktor, der hier mit reinspielt, ist natürlich der Erlebnisfaktor. Das Kaufen an und für sich ist immer noch ein Erlebnis und es ist immer noch interessanter, wie wenn ich alleine auf meiner Couch liege und mit dem Handy in irgendeinem Online-Shop irgendwas einkaufe. Der stationäre Handel hat auch noch ganz andere Möglichkeiten. Er hat die sofortige Warenverfügbarkeit. Er kann direkt beraten, er kann kuratieren. Das sind alles noch Sachen, wo der Einzelhandel noch massive Vorteile hat gegenüber dem Online-Handel, und diese wird er ausspielen müssen.
    Wir werden auch in dem stationären Markt einen Wandel mitbekommen. Das heißt, der inhabergeführte Einzelhandel, der wird es wahrscheinlich schwieriger haben in Zukunft. Wir werden eine zunehmende Filialisierung bekommen, eine Konzentration, es wird viele größere Ketten geben, und der stationäre inhabergeführte klassische Einzelhändler, der wird möglicherweise versuchen müssen, sich in bestimmten Nischen zu platzieren.
    Armbrüster: Das hat ja dann dramatische Konsequenzen auch für unsere Innenstädte. Wir hören das ja immer wieder, dass sich viele Leute auch darüber beklagen. Die sehen irgendwie alle immer gleich aus, alle mit den gleichen Ketten. Das geht garantiert weiter, kann man sagen?
    "Inhabergeführte Läden gehen da hin, wo die Ketten sich nicht hintrauen"
    Wolpert: Das wird weitergehen bis zu einem gewissen Punkt. Natürlich: Ab hier fängt das Glaskugellesen an. Aber ich persönlich bin der Meinung, dass wir in Zukunft wieder auch mehr inhabergeführte Läden bekommen werden.
    Armbrüster: Kann es sein, dass die Leute irgendwann diese Ketten so langweilig finden, dass sie sich die Zähne lecken nach einem neuen, möglicherweise unabhängigen Geschäft, was da in ihrer Stadt aufmacht?
    Wolpert: Ja, das ist definitiv ein Punkt. Ein weiterer Punkt ist auch, dass inhabergeführte Läden vielleicht auch in Bereiche gehen, in Orte gehen, wo die großen Ketten sich nicht hintrauen, das heißt quartiersnäher, nicht nur wirklich in die Fußgängerzonen, sondern auch in anderen Bereichen sich bewegen werden, und dass dort möglicherweise mir als Kunden noch etwas Besonderes angeboten wird, nicht nur die gute Qualität der Ware, sondern auch die besondere Beratung, ein Erlebnischarakter, vielleicht auch ein bisschen noch eine Kundenbindung, wie ich das früher mal hatte bei der Tante Emma. Das wird im ländlichen Raum vor allem wahrscheinlich stattfinden.
    Armbrüster: Herr Wolpert, jetzt haben Sie am Anfang unseres Gesprächs gesagt, das Problem bei Toys"R"Us war, dass sich dieses Unternehmen erst sehr spät dazu entschieden hat, wieder in den Online-Handel selber einzusteigen. Was ist denn Ihr Eindruck? Wie weit ist da der Handel in Deutschland? Haben die Geschäfte, die Händler die Zeichen der Zeit erkannt, oder hinken die hinterher?
    "Der Kunde nutzt alle Kanäle und ich muss ihm alle Kanäle anbieten"
    Wolpert: Mittlerweile haben es alle erkannt. Das war nicht immer so. Am Anfang haben das viele sehr stiefmütterlich behandelt, haben gesagt, die Leute würden sich nie im Leben die Sachen auch online kaufen, vor allem auch Spielwaren, die müssen ja die Kinder sehen, die muss man ausprobieren. Die haben das ein bisschen unterschätzt. Und das muss ich auch persönlich sagen: Es ist wesentlich angenehmer, wenn ich zuhause einfach nur Spielwaren für meine Tochter bestelle, wie wenn ich mit ihr jetzt durch einen blinkenden leuchtenden Laden laufe. Das ist natürlich auch eine ganz andere Situation. Die Kunden haben das durchaus zu schätzen gewusst, was dieses Internet bietet, dass ich dort wesentlich bequemer und einfacher und schneller die Sachen kaufen kann. Deswegen waren viele der Meinung, na ja, mein Geschäft funktioniert jetzt noch sehr gut, ich verdiene hier noch gut, ich fang nicht an, mich selbst zu kannibalisieren, indem ich einen Online-Zweig aufbaue. Das war natürlich eine falsche Denke. Ich darf jetzt hier nicht eindimensional denken und von einem reinen Online- und einem reinen Offline-Player reden, sondern tatsächlich der Kunde ist differenzierter. Er nutzt alle Kanäle und ich muss ihm auch alle Kanäle anbieten.
    Armbrüster: Stefan Wolpert war das, Handelsexperte am Fraunhofer-Institut in Nürnberg. Und wir sprachen mit ihm über die Insolvenz von Toys"R"Us in den USA und die möglichen Folgen für den Einzelhandel hier in Deutschland. Vielen Dank, Herr Wolpert, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Wolpert: Gerne, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.