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Instabiler Staudamm
Droht Mossul die Überflutung?

Der Mossul-Staudamm im Irak gilt seit seiner Errichtung in den 80er Jahren als Risiko. Aus politischen Gründen wurde er auf ungeeignetem Boden gebaut und muss ständig gewartet werden, doch seit dem Sturz von Saddam Hussein passiert das nicht mehr regelmäßig. US-Experten warnen vor einem Dammbruch mit verheerenden Folgen. Übertreiben sie - aus taktischen Gründen?

Von Björn Blaschke | 15.02.2016
    Ansicht des Mossul-Staudammes am Fluss Tigris im Irak vom 1. Februar 2016. Das Bauwerk befindet sich rund 50 Kilometer nördlich der irakischen Stadt Mosul. Die Vereinigten Staaten warnen vor einem Bruch des Damms wegen dessen desolaten Zustandes, was eine Katastrophe auslösen könnte.
    Ansicht des Mossul-Staudammes am Fluss Tigris im Irak vom 1. Februar 2016 (AFP / SAFIN HAMED )
    Der Mossul-Staudamm könnte bersten - diese Meldung ging kürzlich um die Welt. Endzeit im Irak; Tigris: Water-World; Atlantis in Mesopotamien?
    Spezialisten - insbesondere US-amerikanische – zeichneten Schreckensbilder. Die 113 Meter hohe und dreieinhalb Kilometer lange Staumauer wird bald brechen -; der fast 400 Quadratkilometer große See in einer 20 Meter hohen Welle in kürzester Zeit die Millionen-Stadt Mossul wegreißen und selbst das gut 350 Kilometer entfernte Bagdad würde noch überflutet 500.000 Menschen - mindestens - droht der Tod durch Ertrinken; Millionen werden obdachlos; all überall komplette Zerstörung.
    Auf Gips gebaut
    Tatsächlich war der Mossul-Staudamm, seit er fertig wurde, Mitte der 80er-Jahre, ein Risiko. Denn: Er wurde auf Gipsboden gebaut; einem weichen Gestein, das sich bei Kontakt mit Wasser auflöst. Dabei hätte Saddam Hussein, der den Damm bei einem deutsch-italienischen Baukonsortium in Auftrag gegeben hatte, auch sagen können: ‚Staut den Tigris in den Bergen, da, wo das Gestein hart ist.' Doch: Dem Diktator gefiel die Vorstellung nicht; die Staumauer wäre in einem Gebiet entstanden, das von Kurden bevölkert ist. Er entschied: Der Damm kommt in eine andere Region; dort werden gezielt Araber angesiedelt; ein Teil der Arabisierungskampagne Saddam Husseins. Zu einem hohen Preis: Von Anfang an musste der erodierende Boden, auf dem die Staumauer steht, erneuert werden - täglich - mit einem besonderen Beton-Gemisch. Ein Damm - am Dauertropf, 30 Jahre lang – so Farhad Ameen Atrushi, der Gouverneur der irakisch-kurdischen Provinz Dohuk, die an ein Ufer des Stausees grenzt:
    "Nur einmal, zwei Monate lang, als der IS den Damm kontrolliert hat, wurde nicht aufgefüllt. Bis die kurdischen Peschmerga den Damm befreit haben. Danach ging es weiter. Und der Direktor des Mossul-Dammes sagt sogar, dass wir heute bessere Arbeit leisten als 2014, bevor der IS in Mossul einmarschierte und die Stadt besetzte. Aber die Amerikaner bestehen drauf: Es besteht Gefahr."
    Der Boden unter dem Damm gleicht einem Schweizer Käse
    Denn: In den zwei Monaten, in denen unter der IS-Herrschaft der Untergrund nicht aufgefüllt wurde, seien viele Hohlräume entstanden; der Boden unter dem Damm soll einem Schweizer Käse gleichen. Also: Was tun? Wasser ablassen?
    "Es gibt zwei Haupttore an dem Damm, unter Wasser. Und es heißt, sie müssen gleichzeitig, beide geöffnet oder geschlossen sein. Aber eines dieser Tore funktioniert nicht. Die Hydraulik ist kaputt. Also ein Tor ist zu. Das heißt, dass man nur das andere öffnen kann. Wenn man aber eines öffnet gerät das Gleichgewicht durcheinander; der Druck auf eine Seite des Dammes wird unverhältnismäßig stärker."
    Auch die Errichtung eines weiteren Dammes, der dem eigentlichen Mossul-Damm vorgelagert wäre - sozusagen einer Vor-Staumauer - wird erwogen, kostet allerdings Geld und Zeit. Zeit, die möglicherweise knapp ist?
    "Im Zuge der Schneeschmelze könnte es zur Katastrophe kommen"
    Bagdads Wasserminister Mohsen al-Schammari wiegelte kürzlich ab, die Gefahr eine Bruchs liege bei "nur 1 zu 1.000". Andere Regierungsmitglieder sind weniger optimistisch. Die Internet-Seite "The New Arab" berief sich unlängst ein Kabinettsmitglied, das gesagt habe: Noch hält der Damm, aber wenn in wenigen Wochen die Schneeschmelze in den Bergen einsetzt, sagen US-Experten, wird der Druck auf die Staumauer größer, dann könnte es zur Katastrophe kommen. So oder so: Keiner zweifelt daran, dass gehandelt werden muss. Die Regierung in Bagdad hat kurzerhand eine italienische Firma damit beauftragt, den Damm zu stabilisieren. Die Regierung in Rom will den Ingenieuren 450 Soldaten mitgeben – zum Schutz vor den IS-Terroristen.
    Der Gouverneur von Dohuk blickt halbwegs entspannt Richtung Damm, was ihm leichtfallen kann; an seiner Provinz würde das Wasser vorbeischwappen. Farhad Ameen Atrushi beruft sich auf jene irakische Ingenieure, die die Lage weniger dramatisch sehen – und sagt:
    "Die amerikanischen Experten haben wohl ihre eigenen Sensoren am Damm aufgebaut. Und auch auf der Grundlage von Satellitenbildern sagen sie, dass die Gefahr groß ist - für Mossul und andere Gebiete."
    Übertreiben die Amerikaner gezielt?
    Es gibt Politiker, insbesondere in Irakisch-Kurdistan, die das Thema zynisch betrachten: Lasst den Damm brechen - und das Problem Mossul, die Besetzung der Stadt durch den IS, wäre ein für alle Mal, "wie ausgewischt". Ausländische Sicherheitskreise im Irak, die namentlich nicht genannt werden wollen, mutmaßen, dass die Amerikaner gezielt übertrieben. Nur müsse man fragen, warum? Und warum jetzt? Möglicherweise habe das damit zu tun, dass die Amerikaner ein Frühwarnsystem einrichten wollen: Wenn der Damm bricht, soll dieser Alarm losgehen. Dann hätten die Bewohner von Mossul möglicherweise noch Zeit zu fliehen. Der Gedanke hinter diesem humanitären Schutzgedanken könnte ein taktischer sein. Wenn der Alarm – "Achtung, der Damm bricht" losgeht, könnte der IS, der Mossul kontrolliert, eine Million fliehender Menschen sicherlich nicht aufhalten. Der Weg wäre offen für eine Invasion; die Befreiung von Mossul möglich - ohne große Teile der Zivilbevölkerung zu gefährden.