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Instrumentalmusik mit politischer Intention

Detlev Glanert versteht sich mit seinen Opern wie "Jud Süß", "Caligula" oder "Der Spiegel des großen Kaisers" als gesellschaftspolitischer Künstler. Bei Orchestermusik ist der Abstraktionsgrad höher, aber auch da gibt er einen politischen Anspruch nicht auf.

Von Uwe Friedrich | 17.08.2012
    "Nocturne" heißt das Auftragswerk des Berliner Konzerthauses zur Saisoneröffnung. Wer hier aber an Chopin denkt und melancholische Reminiszenzen, der ist auf einer vollkommen falschen Fährte. Aber ein so traditionsbewusster Komponist wie Detlev Glanert wählt einen solchen Titel nicht zufällig.

    "Da gefällt es mir natürlich immer, das Publikum auf ein kleines Glatteis zu führen, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Wenn man beim Gehen aufpassen muss, sind die Sinne doch geschärft."

    "Dieses Nocturne beschreibt einen nächtlichen Vorfall, der durchaus dramatisch zu sehen ist. Und das zweite ist, das man das Nocturne durchaus auch als imaginäres Tagebuch lesen könnte. Wobei ich keine Programmmusik meine und keine realen Geschehen, sondern übertragene Geschehnisse. Mich hat gereizt, durchaus eine Musik zu schreiben, die eine etwas ungemütliche Nacht umschreibt."

    Detlev Glanert ist vor allem als Opernkomponist bekannt, in diesem Sommer wurde bei den Bregenzer Festspielen "Solaris" nach dem Roman von Stanislaw Lem uraufgeführt. Auch in Bregenz war Glanert bei den Proben anwesend, hat angehört und angesehen, was die ausführenden Künstler mit seinen Noten anstellen. Es scheint, als wolle er auch bei dieser Uraufführung im Konzerthaus noch möglichst lange Einfluss auf sein Werk ausüben, das er doch irgendwann anderen überlassen muss.

    "Ja, man lässt los im Augenblick der Aufführung. Und ich denke, dass ich kein Reinredner bin, sondern einer, der Tipps geben kann. Weil natürlich bei einer Uraufführung der Komponist der einzige ist, der den kompletten Überblick hat. Der Einzige, niemand anders hat den."

    Der Moment, in dem er sein neues Werk zum ersten Mal hört, ist für Detlev Glanert aufregend. Hat er seine Vorstellungen genau genug zu Papier gebracht, damit Dirigent und Musiker seine Komposition so umsetzen können, wie er sich das vorgestellt hat? Weil es sich in der Regel aber um Auftragswerke handelt, die von einem Orchester oder Opernhaus bei ihm bestellt wurden, entscheidet sich bei der Uraufführung auch, ob der Auftraggeber mit der gelieferten Ware zufrieden ist. Auch in der Musik geht es um Marktwert, um Konjunktur und Spekulation.

    "Noch komplizierter wird es, wenn man ein Stück schreibt ohne Auftrag und es dann verkauft. Das gerät in die Nähe der Prostitution. Und ich schäme mich nicht, dieses Problem anzusprechen, denn das hat jeder Künstler. Es ist das leichte Unwohlgefühl bei Verhandlungen immer vorhanden, weil man ja etwas Eigenes verkauft. Ich bin auch nicht sonderlich gut da drin, weil ich immer sehr aufgeregt bin und hohen Herzschlag habe usw. Und zum Glück gibt es Leute, die einem da helfen und das für einen erledigen. Es bleibt ein Problem."

    Kunst entsteht immer in einem öffentlichen Raum. Vor allem die darstellenden Künste brauchen nicht nur die Ausführenden, sondern auch ein Publikum. Ohne Zuhörer keine Musik, ohne Zuschauer kein Theater, keine Oper. Detlev Glanert versteht sich mit seinen Opern wie "Jud Süß", "Caligula" oder "Der Spiegel des großen Kaisers" dezidiert als gesellschaftspolitischer Künstler. Bei reiner Orchestermusik, der sogenannten absoluten Musik ist der Abstraktionsgrad naturgemäß höher, lässt sich eine politische Bedeutung nicht so leicht entschlüsseln wie in einer Oper. Aber auch wenn als nächstes Werk ein Klavierquartett auf dem Kreuzberger Schreibtisch des Komponisten liegt, gibt Glanert den politischen Anspruch nicht auf.

    "Bei der absoluten Musik kommt es immer darauf an, wie lesbar sie ist. Denn gesellschaftspolitische Themen müssen natürlich erkennbar sein, bevor sie wirksam werden können. Also da wäre viel zu sagen und nachzudenken über Komponisten wie Eisler und Nono auch vielleicht. Ich arbeite da durchaus mehrgleisig. Ich habe große Lust, mich wieder in das Gesellschaftspolitische mit etwas ganz Bösartigem einzumischen. Das rumort in mir, aber Konkretes kann ich noch nicht sagen. Ich habe aber auch manchmal, nicht immer, große Lust auf die Bewohnung des Elfenbeinturms. Also das Privateste. Das auch ästhetisch für mich Elaborierteste für mich herzustellen. Ich denke, dass ein Komponist beides haben sollte, dürfte und auch könnte."

    Detlev ist ein sehr produktiver Komponist. 14 Opern hat der 52-jährige geschrieben, 14 große Orchesterkompositionen weist sein Werkverzeichnis auf, Chorwerke, Klavierkompositionen, Kammermusik. Die Inspiration scheint ihn geradezu anzufliegen, denn wer bei ihm ein neues Werk bestellt, kann sich ziemlich sicher auf einen Erfolg bei Publikum und Kritik verlassen.

    "Die Ideen liegen bestimmt nicht auf dem Schreibtisch rum, wo das Papier und der Stift liegen. Sondern sie kommen aus dem Nachdenken. Vielleicht auch bei mir sehr viel aus dem optischen Bereich. Gerade die Reaktion von Menschen oder Vorstellungen, optische Konstellationen. Bildende Kunst, Literatur. Erinnerungen daran, vielleicht auch träume, farbige Träume oder so was, das sind alles mögliche Inspirationsquellen. Das Gedächtnis oder die musikalische Fantasie ist bei mir sehr aktiv, wenn ich morgens mich bewege. Spazierengehen oder sonst was. Oder man hat ein interessantes Gespräch und im Hintergrund entwickelt sich eine Idee als Kontrapunkt. Das hört eigentlich nicht auf. Und der Schreibtisch ist dazu da, das, was man da im Kopf hat zu fixieren. Am Schreibtisch erfinde ich relativ wenig. Das geschieht vorher und nachher."

    Auch wenn er am Schreibtisch nur wenig erfindet, in eine aufführbare Form kommen die Klänge aus dem Kopf dann doch in der Komponierstube. Da unterscheidet sich Detlev Glanert überhaupt nicht von seinen Kollegen. Der Anreiz, sich tatsächlich hinzusetzen und konzentriert an einem Werk zu arbeiten. Beim "Nocturne" für das Konzerthausorchester hatte er das große romantische Orchester zur Verfügung, die Details mussten dann noch geklärt werden.

    "Es ist zunächst die Anfrage, hätten Sie Lust und Zeit. Ja. Dann käme meine Rückfrage, wie lange soll’s denn dauern, weil ich ein bisschen darauf achten muss, dass ich mich nicht verzettele. In diesem Fall hier die Antwort zehn Minuten. Fand ich eine interessante Länge, weil ich dafür noch nie geschrieben hatte, interessanter Weise. Meine Stücke sind entweder sehr viel kürzer oder sehr viel länger, aber nicht zehn Minuten. Das hat mich dann gereizt."

    Richtig wütend wird Detlev Glanert allerdings, wenn er auf die Kosten der Kunst angesprochen wird. Der ideelle Mehrwert mag zwar schwer in Geld zu berechnen sein, die Bedeutung der Kunst lässt sich aber ganz sicher nicht mit einem schnöden Preisschild beziffern. Wie viel die Künste einer Gesellschaft wert sind, dieses Thema wird Detlev Glanert auch bei seinen nächsten Werken begleiten.

    "Kunst kostet fast überhaupt nichts. Die Oper ist für mich nach wie vor die beste Kunstform, die Europa erfunden hat, weil wir uns selber verhandeln auf eine spielerische Weise, auf eine Schillersche Weise. Das göttlich spielende Kind. Allerdings auf intellektuell höchstem Niveau, gefiltert. Ich finde, es gibt nichts Europäischeres und Schöneres als die Oper. Ich habe in meiner letzten Oper, in 'Solaris' durchaus nicht nur politische Dinge gestreift, sondern menschliche. Abgründe, die in uns allen zu finden sind. Erfahrungen, die jedermann hat. Die Oper hat nicht viele Themen, aber diese Themen, die sie hat, die kann sie sehr tief verhandeln."