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Integration auf dem Land
Suche nach einer Willkommenskultur

Sozialwissenschaftler aus Darmstadt entwerfen in einem Modell-Projekt eine gezielte Einwanderungspolitik für kleine Städte. Das wohl größte Hindernis gelungener Integration haben sie schnell entdeckt.

Von Eva-Maria Götz | 23.10.2014
    "Wir haben in der Stadt Bad Kissingen einen Anteil von 5 bis 10 Prozent Menschen, von denen man sagt, sie haben einen Migrationshintergrund."
    Sagt der Oberbürgermeister der Stadt Kissingen, Kay Blankenburg. Rechnet man dazu die Einwohner, die mittlerweile einen deutschen Pass haben, verdoppelt sich die Zahl.
    "Der größte Anteil sind Menschen, die wir als Spätaussiedler bezeichnen, Russlanddeutsche vor allem, also deutsche Staatsangehörige. Daneben haben wir noch viele kleinere Ethnien, wir haben sehr viele verschiedene Ethnien, aber mit kleinem Bevölkerungsanteil."
    Bad Kissingen war eine der am Projekt beteiligten Kommunen. Auch der westfälische Landkreis Höxter, der Main-Kinzig-Kreis in Hessen, die Landkreise Celle, Hannoversch-Münden und Schwäbisch Gmünd im Ostalbkreis ließen ihre Integrationsarbeit untersuchen, Ostdeutschland war mit dem sachsen-anhaltinischen Kreis um die Hansestadt Stendal vertreten. Hier liegt der Migrationsanteil mit drei Prozent allerdings deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von elf Prozent und auch weit unter dem Durchschnitt der anderen Projektkommunen. In einer Beziehung waren sich die Kommunen jedoch ähnlich: bis 2030 wird sich ihre Bevölkerungszusammensetzung drastisch ändern und der Anteil an arbeitsfähigen Einwohnern sinken. Grund genug also, sich um Einwanderer zu kümmern, meint Oberbürgermeister Blankenburg.
    "Wir alle reden immer vom Fachkräftemangel und Migration ist eine Chance, geeignete Fachkräfte zu rekrutieren oder auch Menschen zu rekrutieren, die einmal hoch qualifizierte Fachkräfte sein werden."
    Projektleiter Bülent Arslan vom IMAP Institut für interkulturelle Management -und Politikberatung erklärt die Vorgehensweise:
    "Am Anfang haben wir Interviews geführt, mit den Kooperationspartnern, mit Migrantengruppen und Arbeitsgruppen, je nachdem, in welcher Situation wir die jeweilige Kommune vorgefunden haben und haben versucht, diese Ergebnisse auch mitzunehmen."
    Wichtiges Arbeitsfeld: Die Verwaltung und ihr Umgang mit Migration
    Und Jutta Aumüller vom Institut für demokratische Entwicklung und Soziale Integration DESI, das die wissenschaftliche Begleitung durchführte, meint:
    "Integration findet ja auf vielen Feldern statt, im Bildungsbereich, in der Sprachförderung, in der Arbeitsmarktförderung, im bürgerschaftlichen Engagement, auch Religionen sind ein wichtiges Feld in der Integration und das haben wir uns im Einzelnen angeguckt, geschaut: welche Muster bestehen denn in den Kommunen. Es lassen sich eigentlich in jeder Kommune ein, zwei Bereiche ausmachen, wo sie wirklich gut aufgestellt sind und wo man gut ansetzen kann, um Integration auch noch als ein Querschnittsthema durch die ganze Gesellschaft, ja, 'hindurch zu bekommen'."
    Zwar wurden auch runde Tische gebildet, Migrantenvereine und Bürgerinitiativen zu den Gesprächen zugezogen. Auch auf lokale Wirtschaftsverbände, Schulen und Sportvereine ging man zu. Doch ein Schwerpunkt des Projekts wurde bald die Haltung der kommunalen Verwaltung gegenüber Migration.
    "Das war Anfangs nicht intendiert, aber wir haben gemerkt, was für ein langwieriger Prozess es ist, überhaupt erst mal Verwaltungen dazu zu bekommen, dass sie bereit sind, Schulungen mitzumachen, diese Schulungen auch durchzuführen."
    Nach der wissenschaftlichen Erhebung der Daten erfolgten konkrete Überlegungen, wie man die Zusammenarbeit mit Migranten verbessern und wie man Menschen aus dem Ausland auch gezielt anwerben könnte, es folgten Coachings und Workshops.
    "Wir haben schon beobachten können, dass da Leute saßen, die sagten, Mensch, was soll das Ganze, oder Leute saßen, die gesagt haben, Mensch, wir haben doch nur Probleme mit den Migranten, und wir finden das immer sehr wichtig, dass diese Einstellung auch artikuliert werden muss. Und das ist passiert. Wir haben dafür Raum gegeben, und ich finde es völlig falsch, wenn man moralisierend solche Dinge nicht aussprechen darf. Das haben wir versucht, in den Projekten umzusetzen."
    Besonders erfolgreich waren die Kommunen, wenn sich innerhalb der Verwaltung unterschiedliche Bereiche zusammensetzten und neue Ideen rund um das Thema "Willkommenskultur" entwickelten. Bad Kissingens Oberbürgermeister Kay Blankenburg:
    "Der Wirtschaftsförderer muss sich drum kümmern, wo kriegt er die Fachkräfte her, muss das auf dem Schirm haben. Wenn ich will, dass sie zu uns kommen, müssen sie wohnen können, also ist automatisch der gesamte Bauplanungsbereich betroffen. Standesamt denkt man zunächst nicht dran, aber wenn ich über Willkommenskultur rede, darf ich denen nicht so begegnen, dass die schon merken, die sind für mich mehr Arbeit, weil sie halt in der Abwicklung schwieriger sind, wenn zwei Nichtdeutsche eine Ehe schließen, die möglicherweise vorher schon mal verheiratet waren, als zwei Deutsche, kinderlos - erste Ehe. Sondern mich genauso freuen, dass die bei uns in Bad Kissingen heiraten wollen."
    "Ein Thema, was zum Beispiel oft angesprochen wurde, als wir in die Kommunen hineingingen, war die Freiwillige Feuerwehr, die sagte, oh, wir finden keine Freiwilligen und wir finden schon überhaupt keine zugewanderten Menschen. Die wollen nicht. Zu erklären, dass das auch etwas mit Willkommensstrukturen, Aufnahmestrukturen zu tun hat, sich in die Lage von zugewanderten Menschen hineinzuversetzen, die vielleicht uniformierte Menschen in der Feuerwehr erst einmal nicht attraktiv finden, die diese Tätigkeit auch gar nicht einordnen können, also das fiel schon schwierig, dieser Perspektivwechsel, mal die Welt so wahrzunehmen wie sie auch die zugewanderten Nachbarn wahrnehmen."
    Sagt Jutta Aumüller vom Forschungsinstitut DESI.
    Während das Projekt schon lief, kam auf die Kommunen noch eine neue Herausforderung zu: die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge, die Organisation ihres Alltagslebens. Und natürlich die Frage, ob auch diese Menschen hier arbeiten und irgendwann einmal ganz selbstverständlich zum Ort dazu gehören würden und den Bevölkerungsrückgang stoppen würden.
    Es fehlt an einer Willkommenskultur
    "Wenn man in die ganz lange Zukunft blickt, das haben wir erfahren in den Workshops, dann können die Kommunen sich das vorstellen, dass das ein Lösungsweg ist unter vielen. Aber die Fragestellung, kann man da an der Stelle was tun - das wird sehr unterschiedlich gesehen. Wir konnten feststellen, dass für konkrete Maßnahmen, die in Richtung neue Zuwanderung gehen, dass die Kommunen da eher reserviert sind aus unterschiedlichen Gründen. Allerdings sehr offen bei der Fragestellung, wie können wir eigentlich die Potenziale der heutigen Migranten in unseren Kommunen nutzen. Da sind die Kommunen alle sehr offen gewesen."
    Im Landkreis Hannoversch-Gmünden wurde ein neues Integrationskonzept entworfen, in Höxter hat die Verwaltung ihre Formulare in mehrere Sprachen übersetzen lassen als Ausdruck einer neuen Willkommenskultur, in Schwäbisch-Gmünd entwickelt man nun Strategien für eine interkulturelles Personalmanagement. Bülent Arslan:
    "Da sind zum Beispiel zwei Kommunen, die ganz gezielt auf Migrantenvereine in ihren Städten zugegangen sind, und haben gesagt, wir wollen mehr Mitarbeiter gewinnen und wir wollen demnächst Ausschreibungen auch über eure Kanäle verbreiten. Andere Beispiele beziehen sich zum Beispiel auf bestimmte Ämter, Ordnungsämter, Sozialämter, die für sich Themen entwickelt haben, zum Beispiel in der Kinderbetreuung, wie können die darauf hinwirken, dass Migrantenfamilien ihre Kinder recht früh in der KiTa anmelden. Eine andere Kommune ging hin und sagte, wir wollen speziell über Migrantengruppen Informationen streuen, Aufklärungsarbeit leisten, da gibt es einen Fahrplan, wann und wie diese Multiplikatoren gewonnen werden können, wer sie anspricht, was sie denn leisten sollen."
    Für die Zukunft wurden Aktionspläne entwickelt, in denen festgeschrieben wurde, was die jeweilige Kommune in einem bestimmten Zeitrahmen umsetzen kann.
    "Und wir haben versucht, diese Aktionspläne so zu gestalten, dass sie nicht zu ambitioniert sind, dass auch die Kommune mit ihren Mitteln das leisten kann. Jetzt kommt es darauf an, dass die Bürgermeister das auch weiterverfolgen. Im Grunde sind das ganz einfache Instrumente des Controllings. Die müssen dann aber auch ernst genommen werden."
    Denn eine Erkenntnis dieses Forschungs-Praxis-Projektes war, so Gudrun Kirchhoff von der Schader- Stiftung:
    "..., dass kleine Kommunen nicht in der Lage sind, vorausschauend Politik zu machen. Das hängt mit Ressourcen zusammen, da sind die kleinen Kommunen schlechter aufgestellt, haben kleine Verwaltungen, die Verwaltungsmitarbeiter sind mit ganz vielen Aufgaben und Bereichen beschäftigt, das heißt, dass kleine Kommunen aus unserer Sicht viel mehr externe Unterstützung benötigen, sei es auf Länderebene, nicht nur in Form von finanzieller Unterstützung, sondern auch in Form von externer Unterstützung und Beratung."
    In Bad Kissingen soll nun der bislang gefühlte Fachkräftemangel durch gefestigte Daten untermauert werden, um so gezielter auszubilden oder anzuwerben. Ein Anfang, die Migranten auch in ländlichen Gebieten als Chance zu sehen, ist gemacht.
    Kay Blankenburg:
    "Es gibt in Bad Kissingen eine Willkommenskultur, und ich wäre ein Lügner, wenn ich nicht sagen würde, dass die nicht noch ausbaufähig wäre. Sie muss irgendwann den Sprung schaffen von der Notwendigkeit zur echten Herzlichkeit."