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Integration in Bayern
Wie geht's dem Einwanderer-Jahrgang 2015?

Im Herbst 2015 kamen Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland, viele von ihnen über die Grenze bei Passau. Wie gut ist dieser besondere Einwanderer-Jahrgang inzwischen angekommen? In Bayern zeigt sich: Auf die Unterbringung kommt es an, auf die Unterstützung ehrenamtlicher Helfer und das Engagement der Geflüchteten selbst.

Von Tobias Krone | 09.11.2017
    Flüchtlinge überqueren die deutsch-österreichische Grenze
    Hunderttausende erreichten Deutschland 2015, kurz nachdem die Einreise für Flüchtlinge über Österreich genehmigt wurde (dpa/picture-alliance/ Sebastian Kahnert)
    Familie Salih feiert heute doppelt Geburtstag mit ihren Flüchtlingshelferinnen Eva Bernheim und Susanne Fesl. Nicht nur den zwölften Geburtstag ihrer Tochter Lavin. Seit vorgestern ist die siebenköpfige kurdische Familie wieder komplett: Die fünfzehnjährige Stieftochter Lano konnte im Herbst 2015 wegen einer Krankheit nicht mitfliehen und blieb bei den Großeltern im irakischen Suleimania. Nun sitzt Lano in Straubing auf dem Sofa. Vater Kamal Salih hat müde Augen, doch er ist überglücklich:
    "Ja, das ist sehr, sehr gut, aber sie braucht ein bisschen Zeit, sie ist neu hier."
    Familie Salih kam im September 2015 über die Grenze bei Passau. Sie gehören also zu den Hunderttausenden, die Deutschland unmittelbar nach der Grenzöffnung durch die Bundesregierung erreichten. Wie geht es diesem besonderen Einwanderer-Jahrgang? Wie gut ist er angekommen in Deutschland? Für die Salihs hat sich vieles stark verbessert:
    Ja, es ist sehr, sehr viel besser. Nach zwei Jahren kann ich ein bisschen Deutsch sprechen, und meine Kinder können auch Deutsch sprechen. Ich bin zwei Jahre in Straubing, ich liebe diese Stadt. Und die Familie ist jetzt nicht alleine, weil Eva und Susanne helfen mir mit der Wohnung und allem."
    Vor einem Jahr hätte Kamal Salih das Interview nicht auf Deutsch geben können. Auch dass die Familie nun in einer eigenen, neugebauten Sozialwohnung lebt, hat sie den Straubingerinnen Eva Bernheim und Susanne Fesl zu verdanken. Die unterstützen die Familie bei Behördengängen. Auch für das Visum für die Tochter haben sie mitgekämpft. Eva Bernheim:
    "Ich bin aus allen Wolken gefallen, weil ich mir dachte, es reicht jetzt so schon mit Problemen. Mit vier Kindern, einem Neugeborenen. Und dann hat mir der Vater das erzählt, dass er noch eine Tochter im Irak hat – also unter Tränen, und er braucht Hilfe, und so weiter. Also ich glaube, das hat insgesamt eineinhalb Jahre gedauert jetzt."
    Die Familie nachzuholen, ist nicht allen erlaubt
    Die Salihs sind als Kurden anerkannte Geflüchtete in Deutschland, mit einer Aufenthaltserlaubnis bis 2019. Daher klappte es mit Lanos Visum. Viele andere Iraker und Syrer des Einreisejahrgangs 2015 haben nur den sogenannten subsidiären Schutz – sie können ihre Familie vorerst nicht nach Deutschland holen. Diese Politik kann Helferin Susanne Fesl nicht nachvollziehen:
    "Ich kann es überhaupt nicht verstehen. Man muss eigentlich auch mal mit solchen Menschen zu tun haben, um urteilen zu können. Also es geht eigentlich nicht."
    Die beiden Frauen haben seit 2015 mit Geflüchteten zu tun. Ehrenamtlich – und mit viel Herzblut. Blauäugig sind sie nicht. Sie kennen die Integrations-Probleme ganz genau, haben mit den Eltern Salih darum gerungen, dass die Kinder ganztags auf Schulen und Kitas gehen. Die sprechen nun fließend Deutsch. Der Vater hat rudimentäre Kenntnisse. Doch die Mutter spricht so gut wie kein Deutsch. Im pflichtgemäßen Sprachkurs war sie bisher nicht – wie so viele geflüchtete Frauen.
    "Also die sind da eh kulant und akzeptieren das, wenn da ein Baby da ist oder so, dann kann man das natürlich nicht erzwingen. Aber die müssen irgendwann, und das ist aber ein schwieriger Schritt. Und es gibt halt manche, die werden dann einfach nochmal schnell schwanger. Das ist jetzt vielleicht eine boshafte Unterstellung, aber es schaut jedenfalls so aus."
    "Mit diesen Riesen-Gemeinschaftsunterkünften schaffen wir es nicht"
    "Wir schaffen das." Das ist auch für die beiden Freiwilligen immer das Motto gewesen. Und sie sind auch nach wie vor überzeugt davon. Wenn auch mit Einschränkungen:
    "Mit diesen Riesen-Gemeinschaftsunterkünften schaffen wir es nicht. Weil, wer einmal in einer dieser Riesen-Gemeinschaftsunterkünften war – es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Mit diesen kleineren Unterkünften, die bis dato bestanden haben, wäre das um einiges einfacher gewesen."
    Doch das Land Bayern will sparen – und legt nun wieder viele Geflüchtete in zentralen Unterkünften zusammen. Der Helferkreis von Sankt Englmar, ein paar Dörfer weiter Richtung Bayerischer Wald, konnte das verhindern. Nachdem die dezentrale Unterkunft für zehn Geflüchtete aufgelöst wurde, leben die jungen Männer jetzt in einem Einfamilienhaus in Hunderdorf, 15 Kilometer entfernt. Die Helferin Margit Cherkeh:
    "Die Integration funktioniert so fantastisch, wir sind alle begeistert im ganzen Ort von unseren Jungs. Und von allem, was alles so gemeinsam gemacht wird. Ja, dass wir sie ganz gerne weiter auch im Chor hätten, und auch weiter in Englmar hätten. Englmar braucht sie."
    Afghane im Trachtenverein
    Der 21 Jahre alte Afghane macht nicht nur im Jugendchor mit - und beim Trachtenverein. Er könnte auch den Mittelstand vor Ort unterstützen, der händeringend Auszubildende sucht.
    "Es gibt verschiedene Betriebe, zum Beispiel, irgendwo Dachdecker oder Verkäufer, es gibt viele Möglichkeiten, aber das Problem ist mit der Genehmigung", sagt der junge Mann.
    Viele Afghanen bekommen gerade in Bayern keine Ausbildungsgenehmigung, auch wenn sie eine Stelle hätten. Sie kämpfen gegen Langeweile und Angst vor der Abschiebung. Und im Ort schließen die ersten Betriebe, weil sie keine Lehrlinge finden.