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Integration
Unternehmen unterstützen Flüchtlinge

"Wir Zusammen" heißt das Netzwerk, dem schon über 110 deutsche Firmen angehören. Vor allem diene das Netzwerk dazu, Erfahrungen auszutauschen und Mut zu machen, so die Sprecherin. Denn eine Hürde ist die Sprache, eine andere, dass die Ausbildungen der Flüchtlinge nicht zum deutschen Arbeitsmarkt passen.

Von Vivian Leue | 22.09.2016
    Halle mit Ständen von Arbeitgebern, dazwischen Menschen.
    Eine Arbeitsmarktmesse für Flüchtlinge in Rostock. Künftig wollen die Regierungen auf Bund- und Länderebene auch selbst als Arbeitgeber für Flüchtlinge aktiv werden. (dpa / Bernd Wüstneck)
    "Ich habe so viele nette Kollegen kennen gelernt. Bei der Arbeit ist das einfacher, als auf der Straße zum Beispiel. Die Leute haben keine Lust, mit Ausländern zu reden, das merkt man. Aber bei der Arbeit ist etwas anderes, das finde ich auch gut."
    Wissam Zabadneh sitzt im elften Stock des gläsernen Hauptgebäudes von Thyssenkrupp in Essen. Der 28-jährige Syrer arbeitet dort als akademische Aushilfe in der Kommunikationsabteilung, angefangen hat er vor gut einem halben Jahr als Praktikant.
    "Was mich bei der Firma überrascht, ist, dass die Leute zusammenarbeiten, die machen alles zusammen, denken zusammen, die teilen Ideen, das finde ich sehr gut."
    150 Ausbildungsplätze und 230 Praktikumsplätze für Flüchtlinge
    Der Essener Stahlkonzern Thyssenkrupp beschäftigt seit gut einem Jahr Flüchtlinge – für sie wurden bis heute zusätzlich 150 Ausbildungsplätze und 230 Praktikumsplätze geschaffen. Ariane Derks ist im Konzern für gesellschaftliches Engagement zuständig.
    "Ich bin der Meinung, dass wir natürlich alle noch komplett in einem riesigen Lernprozess sind. Wir haben Mitte, Ende letzten Jahres eine Situation gehabt, damit musste man umgehen. Dass da, wie wir normalerweise so typisch deutsch sind, noch keine Strukturen für vorhanden sind und noch keine Erfahrungen für vorhanden sind. Ich glaube, was nach der ersten Euphorie erst einen riesigen Schock nach sich gezogen hat, weil es so viel komplizierter war, gefühlt."
    Seit Anfang des Jahres haben sich deshalb mehr als 110 deutsche Firmen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, darunter Thyssenkrupp, Opel, Telekom, Tui, Lufthansa, Adidas oder RWE. "Wir Zusammen" heißt das Netzwerk, das vor allem dazu dient, Erfahrungen auszutauschen und Mut zu machen, wie Sprecherin Marlies Peine erklärt.
    "Am Arbeitsplatz ist es so, dass es natürlich hauptsächlich Hürden bei der Sprache gibt. Andererseits ist es so, nicht immer sind die Qualifikationen, die die Flüchtlinge mitbringen, die, die man vielleicht im Unternehmen benötigt."
    Nur 15.000 von 340.000 arbeitssuchenden Flüchtlingen haben eine Ausbildung
    Deutschlandweit suchen zurzeit mehr als 340.000 Flüchtlinge einen Job, davon etwa 90.000 in Nordrhein-Westfalen. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit in NRW haben aber nur etwa 15.000 der arbeitssuchenden Flüchtlinge überhaupt eine Ausbildung, mit der sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt als Fachkraft gelten – und somit schnell in einen Job integriert werden könnten.
    Bei der großen Mehrheit der arbeitssuchenden Flüchtlinge passen die Ausbildungen oder Arbeitserfahrungen nicht mit den deutschen Ausbildungsprofilen zusammen. Das bedeutet: Ein Großteil von ihnen muss um- oder neu geschult werden – und das kostet Zeit.
    Eine weitere Hürde ist die Sprache
    Eine weitere Hürde bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist die Sprache, hat auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft immer wieder von Arbeitgebern hören müssen:
    "Das ist auch noch mal ein Punkt, den wir mit nach Berlin transportieren wollen."
    Doch wenn es dann mit der Sprache der neuen Mitarbeiter klappt, profitieren auch die Chefs, wie etwa Raphael Lempert aus Breitenberg im Allgäu, der einen eritreischen Flüchtling beschäftigt:
    "Ja, wir fangen an, uns auszutauschen über das, was er in Eritrea mit Holz gemacht hat, das fließt gerade in der Werkstatt zusammen."
    Arbeit mit den Flüchtlingen komme der Firma zugute
    Und auch Ariane Derks von Thyssenkrupp sagt, dass viele Kollegen durch die Arbeit mit den Flüchtlingen noch einmal ganz anders – neu – gefordert sind, was dann auch der Firma zugutekommen kann.
    "Wir haben alle die Aufgabe für uns angenommen, für Wissam ein bisschen eine kleine Familie zu sein. Da hätten wir wahrscheinlich vor einem Jahr nicht mit gerechnet. Und insofern hilft es jedem, noch mal ein bisschen mehr zu menscheln."
    Letztlich müsse sich das Engagement der Unternehmen für die Flüchtlinge aber nicht nur auf der zwischenmenschlichen Ebene, sondern auch rein wirtschaftlich rechnen, sagen viele Firmen-Lenker, wie Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger:
    "Denn nur wenn klar wird, dass Flüchtlinge Leistungen wie alle anderen erbringen müssen, steigt das Selbstwertgefühl der Flüchtlinge, aber dadurch wächst auch die Akzeptanz in unserem Unternehmen."
    Unternehmen wollen langfristig von neuen Mitarbeitern profitieren
    Gerade in Zeiten, in denen viele Firmen sparen müssen und Stellen eher abgebaut als neu geschaffen werden, müsse den Mitarbeitern klar sein, dass in Flüchtlinge nicht nur Geld investiert wird, sondern dass die Unternehmen von den neuen Mitarbeitern langfristig auch profitieren.
    Auch Regierungen auf Bund- und Länderebene wollen künftig als Arbeitgeber für Flüchtlinge aktiv werden
    Dieses Umdenken soll jetzt auch zunehmend in den öffentlichen Verwaltungen und der Politik ankommen. Bisher haben die Regierungen auf Bund- und Länderebene zwar viele wichtige rechtliche Grundlagen geschaffen, um Flüchtlingen den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Aber als Arbeitgeber sind sie bisher kaum aktiv geworden. Das soll sich zumindest in NRW bald ändern, sagt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
    "Wir selbst übrigens auch in der Landesverwaltung überlegen gerade, wo wir noch zusätzliche Ausbildungsstellen, Praktikumsstellen zur Verfügung stellen können. Auch das ist noch mal ein wichtiges Signal."
    Abseits dieser Signale ist Wissam Zabadneh einfach nur froh, dass er jetzt angekommen ist – auch in der Arbeitswelt.
    "Wir kommen nach Deutschland nicht, um zuhause zu bleiben, zum Beispiel. Wir möchten arbeiten, wir möchten noch studieren, wir haben viele Träume und wir möchten diese Träume verwirklichen."