Freitag, 29. März 2024

Archiv

Integrationsforschung
Neues Wissen, neue Perspektiven

Über Integration und Migration wird leidenschaftlich gestritten, wobei Faktenargumente oft fehlen - auch in der politischen Debatte. Mit einem neuen Institut an der Berliner Humboldt-Universität wollen Migrationswissenschaftler mit Klischees aufräumen und mehr Sachlichkeit in die Diskussion bringen.

Von Kemal Hür | 02.04.2014
    Schülerin mit Migrationshintergrund meldet sich im Unterricht.
    Schüler mit Migrationshintergrund im Unterricht. Mit einem neuen Institut an der Berliner Humboldt-Universität soll die Integrationsdebatte versachlicht werden. (dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Nüchterne Analysen und Forschung mit öffentlich zugänglichen Ergebnissen – das hat die Staatsministerin für Migration, Aydan Özoğuz, bislang vermisst. Die Debatten um Integration und Migration müssten aber versachlicht werden, und dafür benötigen Politik, Medien und Gesellschaft wissenschaftlich fundierte Fakten, sagt Özoğuz.
    "Das Integrationsbemühen in unserem Land, also dass wir die Gesellschaft mehr zusammenbringen, hat ja viele Facetten und in allen Lebensbereichen. Und diese sind meines Erachtens nicht genügend erforscht und vor allem nicht konzentriert zusammen gebracht. Deswegen wird es eine rege Zusammenarbeit, aber natürlich auch einen regen Austausch geben."
    Özoğuz übernimmt den Kuratoriumsvorsitz des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung – kurz BIM, das sie zur Stunde an der Humboldt-Universität vorstellt. Das BIM widmet sich der Frage, wie sich die Migrationsgesellschaften in Deutschland und Europa bisher entwickelt haben und künftig weiterentwickeln werden. Diesen Fragen werden in sechs Abteilungen 40 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen nachgehen. Neben theoriegeleiteter empirischer Sozialforschung gehören auch Arbeitsmärkte, Sport, Bildung und Gesundheit zu den Bereichen, sagt die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, stellvertretende Direktorin des Instituts.
    "Zum Beispiel unsere Partner an der Charité untersuchen die Effekte von Diskriminierung auf seelische Stabilität und seelische Gesundheit und machen daraus eine ökonomische Kostenrechnung. Und letztlich könnte man dann sagen, es könnte allein aus ökonomischen Gründen für uns nicht mehr tragbar sein, Diskriminierung weiter unerforscht zu lassen."
    Integrationsbegriff soll weiter gefasst werden
    Die Migrationsforscherin Foroutan will den Begriff der Integration weiter fassen als bisher. In einer Gesellschaft, in der jeder fünfte Einwohner einen Migrationshintergrund habe, könne man den Begriff nicht auf Migranten reduzieren, sagt Foroutan.
    "Unsere Aussage ist aber, wir haben uns zu einer Migrationsgesellschaft gewandelt. Teilhabe, Partizipation, Chancengerechtigkeit betrifft eben nicht nur Migranten, sondern eben Personen, die vielleicht in zweiter Generation schon Hartz-IV-Empfänger sind und desintegriert vom Arbeitsmarkt. Auch dort müssen wir mit der Perspektive von Integration ran."
    Das BIM beschäftigt sich auch mit der Frage, wie die interdisziplinär erforschten Erkenntnisse in die Politik und in eine breite Öffentlichkeit transportiert werden können. Das bezeichnet der Gründungsdirektor des BIM, der Sportwissenschaftler Sebastian Braun als "die Integration der Wirklichkeit".
    "Wirklichkeit insofern, als dass wir natürlich theoriebasiert arbeiten, aber vor allen Dingen Daten sammeln, Daten erheben und versuchen, Daten in diesen unterschiedlichen Themenschwerpunkten, die wir haben, die von den sozialen Kultur-, über die Bildungswissenschaften, über die Sportwissenschaft bis zu Ökonomie, Medizin, Psychologie reichen, dass wir diese Daten miteinander verbinden."
    Dabei stehen dem Institut wichtige Partner zur Seite, wie die Bundesarbeitsagentur und der Deutsche Fußball-Bund, der mit seinen vielen Vereinen stark in die Gesellschaft hineinwirke. Auch fördert der DFB das BIM finanziell jährlich mit 100.000 Euro. Die gemeinnützige Hertie-Stiftung steuert jedes Jahr 350.000 Euro dazu. Die Förderdauer ist zunächst auf fünf Jahre beschränkt. Mit diesem Etat ausgestattet, sollen 40 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen an der Humboldt-Universität forschen.