Freitag, 29. März 2024

Archiv

Integrationsgesetz
"Wir verlangen, dass die Menschen unsere Meinungs- und Religionsfreiheit kennenlernen"

Wie bei allen Regelungen sei es ein Geben und Nehmen, sagte die SPD-Innenpolitikerin Eva Högl über das geplante Integrationsgesetz im DLF. "Wir geben etwas als Gesellschaft und wir bekommen etwas von den Menschen, die zu uns kommen", so Högl. "Aber wir verlangen auch, dass sie sich an unsere Regeln halten."

Eva Högl im Gespräch mit Jochen Spengler | 14.04.2016
    Deutschunterricht für geflüchtete Syrer und Syrerinnen
    Qualifizierungsprogramm: Deutschunterricht für geflüchtete Syrer und Syrerinnen (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert/dpa )
    Jochen Spengler: Am Telefon begrüße ich nun die Innenpolitikerin Eva Högl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Guten Tag, Frau Högl.
    Eva Högl: Schönen guten Tag, Herr Spengler.
    Spengler: Frau Högl, wenn die Agenturen und unsere Berichterstatterin richtig liegen, dann hat sich die Koalition auf ein Integrationsgesetz für Flüchtlinge und auf ein Antiterrorpaket verständigt. Andere Themen, etwa die Bekämpfung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen oder die Reform der Erbschaftssteuer, sind vertagt worden. Das sind aber doch die Themen, auf die vor allem die SPD Wert gelegt hat. Täuscht jetzt der erste Eindruck, oder haben sich die Sozialdemokraten über den Tisch ziehen lassen?
    Högl: Nein! Wir haben uns nicht über den Tisch ziehen lassen, sondern wir freuen uns sehr über diese guten Ergebnisse des Koalitionsausschusses von gestern abend. Denn das ist ja wirklich etwas ganz Besonderes und ein großer Erfolg, dass es in Deutschland ein Integrationsgesetz geben wird, und das ist eine wichtige Vereinbarung der Koalition.
    Das Gesetz wird jetzt weiter ausformuliert und da stehen viele Dinge drin, die insbesondere der SPD wichtig waren: Der Erwerb von Sprache, die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, die Möglichkeit, eine Ausbildung zu absolvieren, und auch mehr Rechtssicherheit zu schaffen, was den Aufenthalt angeht. Ich bin erst mal sehr zufrieden und ich stürze mich in die konkrete Arbeit.
    Gesetzentwürfe von Andrea Nahles bleiben unangetastet.
    Spengler: Wunderbar! - Mit Ihrer Erlaubnis würde ich das Integrationsgesetz noch ein bisschen zurückstellen. Wir kommen gleich darauf. Ich will noch mal bei dem bleiben, worauf man sich noch nicht verständigt hat:
    Erbschaftssteuerreform, Leiharbeit, Werkverträge, der Missbrauch sollte abgeschafft werden. Das war ja Ihnen als SPD besonders wichtig. Wird es denn da noch zu einer Einigung kommen?
    Högl: Selbstverständlich, und zwar zur Leiharbeit und zu den Werkverträgen, wenn ich das kurz korrigieren darf, ist etwas vereinbart worden, nämlich dass die Gesetzentwürfe von Andrea Nahles, der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, so in das Verfahren gehen, also unverändert. Das ist ein Erfolg für Andrea Nahles und ihre Vorschläge und an den Gesetzentwürfen wird jetzt auf der Basis der Vorschläge von Andrea Nahles weiter gearbeitet.
    Spengler: Das ist gut, dass Sie das korrigiert haben. Dann wissen Sie auch mehr als wir.
    Högl: Genau.
    Spengler: Wie sieht es mit der Erbschaftssteuer aus?
    Für die Erbschaftssteuer ist ein weiterer Koalitionsausschuss nötig
    Högl: Zur Erbschaftssteuer soll es einen weiteren Koalitionsausschuss geben, weil man sich da noch nicht ausreichend geeinigt hat, aber gestern auch keine Zeit war für eine Detaildiskussion. Das muss auch mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten weiter erörtert werden und da ist vereinbart worden, dass es da noch mal einen Koalitionsausschuss gibt.
    Spengler: Gilt denn für die SPD der alte Verhandlungsgrundsatz, nichts ist vereinbart, wenn nicht alles vereinbart ist, oder sagen Sie, Nein, das Integrationsgesetz, das haben wir jetzt und damit geht es weiter, auch wenn wir mit der Erbschaftssteuer möglicherweise keine Einigung erzielen?
    Das Integrationsgesetz gewährleistet Integration
    Högl: Da gibt es kein Junktim zwischen der Erbschaftssteuer, Leiharbeit oder anderen Punkten, die auch noch zu vereinbaren sind, sondern das Integrationsgesetz wird kommen. Das ist gestern abend fest vereinbart worden. Und es sind auch schon Eckpunkte formuliert worden, was in diesem Integrationsgesetz drinstehen wird.
    Und jetzt geht es wie gesagt darum, das konkret auszuformulieren, und darauf stürzen wir uns jetzt und ich bin optimistisch, dass wir etwas Gutes zustande bringen.
    Spengler: Dann kommen wir jetzt noch mal ein bisschen wie versprochen zum Integrationsgesetz. Sie haben es eben ja schon gelobt. Die Frage muss man trotzdem stellen: Heißt es nur Integrationsgesetz oder gewährleistet es tatsächlich Integration?
    Högl: Es gewährleistet die Integration, denn das Integrationsgesetz, wenn es so kommt, wie das gestern abend besprochen wurde, wird verschiedene Bausteine beinhalten, die ganz wichtig dafür sind, dass die Menschen, die zu uns gekommen sind und die hier bleiben werden, weil sie hier Schutz bekommen, auch einen Platz in unserer Gesellschaft bekommen.
    Rechtssicherheit für Flüchtlinge und Betriebe, die sie ausbilden
    Das beginnt mit der Sprache, das beginnt mit den sogenannten Orientierungs- oder Integrationskursen, wo die Personen lernen, wie hier in Deutschland die Rechtsgrundlagen sind, wie unser gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert.
    Wir haben Maßnahmen vereinbart zur Integration in den Arbeitsmarkt, was ja ein ganz wichtiger Baustein ist, damit die Personen auch einen Platz bei uns in der Gesellschaft tatsächlich bekommen. Wir haben vor - und das hat auch die Wirtschaft sich gewünscht -, Rechtssicherheit zu schaffen im Bereich der Ausbildung, dass ein Bleiberecht geschaffen wird, wenn eine Ausbildung absolviert wird.
    Und wir haben uns auch darüber Gedanken gemacht - und auch das steht in der Vereinbarung drin, dass wir zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, damit wir die Menschen gut in den Arbeitsmarkt integrieren, beispielsweise die Anerkennung von Qualifikationen, die Unterstützung bei weiteren Qualifikationserwerben. All das ist ein ganzes Paket von Maßnahmen, das mich optimistisch sein lässt, dass wir die Integration voranbringen.
    Spengler: Zeigt es nicht aber auch doch, was Kritiker meinen, ein gewisses Misstrauen gegenüber Flüchtlingen, nach dem Motto, ihr wollt euch ja gar nicht integrieren, wir müssen euch da schon ein bisschen zu zwingen?
    Das Gesetz ist ein Geben und Nehmen
    Högl: Die Vereinbarungen von gestern abend vom Koalitionsausschuss sprechen ganz eindeutig eine andere Sprache. Sie sprechen die Sprache, ihr sucht hier Schutz, ihr seid hier herzlich willkommen und wir tun alles, damit ihr euch auch gut integrieren könnt. Das ist kein Gesetz, was geprägt ist von Misstrauen. Aber natürlich ist es immer wie bei allen Regelungen, die man miteinander in der Gesellschaft vereinbart, ein Geben und Nehmen.
    Wir gewähren Schutz, wir gewähren ausreichend Integrationsmöglichkeiten, wir schaffen mehr Plätze im Bereich von Ausbildung, Arbeit, Spracherwerb, und natürlich müssen sich die Menschen, die zu uns kommen, dann auch an unsere Regeln halten. Deswegen gibt es auch Sanktionen, wenn diese Angebote nicht angenommen werden. Aber zunächst einmal ist es unsere Aufgabe, auch ausreichend Angebote bereitzustellen, und das wurde gestern abend vereinbart.
    Spengler: Die versprechen Sie auch, dass es ausreichend Sprachangebote zum Beispiel oder werteorientierte Kurse gibt?
    Keine Sanktionen ohne Angebote
    Högl: Da haben wir natürlich noch einen Nachholbedarf, denn ich brauche ja gar nicht über Sanktionen zu reden, wenn ich nicht genügend Angebote bereitstelle. Deswegen wurde auch darüber gesprochen, die Kurse jetzt noch mit ausreichend Plätzen auszustatten, mehr Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, damit die Kurse auch stattfinden können, dann auch freie Plätze etwa in den Kursen zu melden. Die Angebote schaffen wir und dann gehen wir auch davon aus, dass die Menschen sie annehmen.
    Das beginnt mit der Sprache, aber das setzt auch voraus, dass die Menschen, die hier hergekommen sind, unsere Gesellschaft kennenlernen, unser Zusammenleben, so etwas wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, unsere Grundgesetze insgesamt. Das gehört auch dazu, dass wir das vermitteln.
    Spengler: Haben Sie da bewusst Anleihen aus den Hartz-IV-Regelungen genommen, wenn ich höre Fordern und Fördern?
    "Ich halte diesen Slogan Fördern und Fordern für ganz geeignet".
    Högl: Ich halte diesen grundsätzlichen Slogan Fördern und Fordern für ganz geeignet, um deutlich zu machen, dass es immer eine Frage ist von Angebot und Nachfrage, von Geben und Nehmen. Wir geben etwas als Gesellschaft und wir bekommen etwas von den Menschen, die zu uns kommen. Sie bereichern unsere Gesellschaft, aber wir verlangen auch, dass sie sich an unsere Regeln halten. Das finde ich völlig normal und nur damit können wir auch ein gedeihliches Zusammenleben organisieren.
    Spengler: Frau Högl, jetzt müssen Sie mir doch noch eines erklären. Der Innenminister, Thomas de Maizière, hat sich gegen die SPD durchgesetzt, insofern er das Daueraufenthaltsrecht von Flüchtlingen nach drei Jahren abhängig machen will von der Teilnahme an den Kursen, also Integration oder auch Jobsuche. Da war die SPD vorher dagegen. Wieso jetzt nicht mehr?
    Daueraufenthaltsrecht als Belohnung für gute Integration
    Högl: Wir haben immer folgendermaßen argumentiert. Wir haben gesagt, wir wollen das nur einschränken, wenn wir ausreichend Plätze zur Verfügung stellen und wenn wir ausreichend Angebote machen, dass Menschen sich tatsächlich gut integrieren können in unserer Gesellschaft. Wenn wir diese Voraussetzungen schaffen, haben wir als SPD immer gesagt, dann können wir auch sagen, dann haben wir so viel gegeben, so viele gute Angebote, dann erwarten wir auch, dass die Menschen sich daran halten.
    Und ich gehe mal davon aus, dass die Mehrheit sich daran hält. Dann gibt es auch ein Daueraufenthaltsrecht. Aber wenn man in die Gesellschaft mal hineinhört, dann ist es, glaube ich, gut zu sagen, wir erwarten auch etwas, und dann gibt es ein Daueraufenthaltsrecht. Wir können als SPD mit diesem gefundenen Kompromiss von gestern abend gut leben.
    Spengler: Und was sagen Sie den Deutschen oder den EU-Arbeitnehmern, die bei einem Jobangebot für einen Flüchtling jetzt nicht mehr automatisch Vorrang haben?
    Högl: Die Vorrangprüfung wird ausgesetzt für diejenigen Regionen in Deutschland, die eine unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit haben. Das heißt, dort haben wir auch einen aufnahmebereiten Arbeitsmarkt, dort gibt es viel Flexibilität am Arbeitsmarkt und hier ist es absolut vertretbar - und das war ja auch eine Forderung der SPD -, die Vorrangprüfung auszusetzen.
    Die Vorrangprüfung hat in der Vergangenheit nicht verhindert, dass Menschen auf einen Arbeitsplatz kommen, sondern sie hat immer nur das Verfahren bürokratisiert und verlängert. Das wollen wir abschaffen und das, denke ich, ist ebenfalls ein guter Kompromiss.
    Spengler: Danke Ihnen für die Informationen, danke Ihnen für das Gespräch. Eva Högl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Noch einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.
    Högl: Ihnen auch, Herr Spengler! Auf Wiederhören!
    Spengler: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.