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Integrationspolitik
"Es ist nicht klar, welche Werte wir vertreten wollen"

Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour hat sich für einen Dialog über Werte in unserer Gesellschaft ausgesprochen. Erst dann könne Deutschland Zuwanderern klar machen, "was diese Gesellschaft tolerieren kann und was nicht", sagte der Programmdirektor der European Foundation for Democracy im DLF.

Ahmad Mansour im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.08.2016
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    Ahmad Mansour, Psychologe und Programmdirektor der European Foundation for Democracy, fordert einen Dialog über Werte in unserer Gesellschaft. (Deutschlandradio)
    Solange der Mehrheitsgesellschaft nicht klar sei, welche Werte sie vertreten wolle, könne sie das auch nicht nach außen kommunizieren, betonte Mansour. Dazu müsse man vor allem in Schulen Dialogplattformen schaffen, in denen das Grundgesetz des Landes transportiert werde. Das fände noch zu wenig statt. "Die meisten Lehrer sind davon überfordert", sagte der Psychologe. Zudem brauche man bessere Integrationskurse, die nicht nur Sprache, sondern auch Werte vermitteln.
    "Es gibt Schnittstellen zwischen Integration und Radikalisierung"
    Mansour bezeichnete die Integration der Zuwanderer als "Herausforderung unserer Gesellschaft". Dabei gebe es zwar Schnittstellen zwischen Integration und Radikalisierung; Islamismus sei jedoch kein Thema, das nur mit Flüchtlingen zu tun habe, betonte er.
    Kritik übte Mansour vor allem an Moscheen und Verbänden, die für die Schaffung von Opfer- und Feindbildern verantwortlich seien. Dieses Islamverständnis könne Radikalisierung begünstigen. Deshalb brauche man eine "mutige innerislamische Debatte": "Liberale und demokratiefähige Muslime müssen unterstützt werden", forderte der Islamismus-Experte.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Der heftige Streit um das Burkini-Verbot in Frankreich ist ein Beispiel, die Kontroverse um das Burka-Verbot hierzulande ein weiteres, ein Beispiel dafür, welche Herausforderungen die Zuwanderung für unsere Gesellschaft bedeutet, genauer die Zuwanderung von Muslimen in Zeiten von islamistischem Terror, von religiös zumeist verbrämter Gewalt. Wie kann Integration gelingen, die mehr bieten will als Sprachkurse und Arbeitsplätze? Wo ist Toleranz gegenüber anderen Kulturen geboten und wo müssen wir Grenzen ziehen?
    Der Psychologe Ahmad Mansour ist Programmdirektor bei der European Foundation for Democracy, einem politischen Institut in Brüssel, das die Werte Europas gegen radikale und gegen ideologische Extremisten verteidigen will. Im vergangenen Jahr hat er ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen." Schönen guten Morgen, Ahmad Mansour!
    Ahmad Mansour: Guten Morgen.
    Barenberg: Die Allermeisten der vielen Flüchtlinge kamen in den vergangenen Monaten ja aus der arabischen Welt, oft aus konservativen muslimischen Gesellschaften. Ist das eine ganz besondere Herausforderung für uns?
    Mansour: Es ist eine Herausforderung, die uns eigentlich seit Jahren begleitet. Zu uns kommen Leute, die anders sozialisiert sind. Das muss nicht nur die Religion sein, das können auch patriarchalische Strukturen sein, mit denen sie aufgewachsen sind. Und das ist eine Herausforderung unserer Gesellschaft, dort vorzubereiten, die Pädagogen, die Sozialarbeiter, um diesen Menschen die Werte, die uns wichtig sind, beizubringen, und zwar auf eine Art und Weise, dass sie ihren individuellen Gewinn auch verstehen, wenn sie danach leben.
    "Wir müssen zuerst diejenigen erreichen, die seit Generationen bei uns leben"
    Barenberg: Wie sehr trübt in dieser ganzen Diskussion um Integration eigentlich unsere Angst vor dem radikalen, dem gewaltbereiten terroristischen Islamismus das ganze Bild?
    Mansour: Es gibt natürlich Schnittstellen zwischen Integration und Radikalisierung. Aber wir müssen ganz klar feststellen: Islamismus ist ein Thema, das nicht nur mit Flüchtlingen zu tun hat. Das hat mit unserer Gesellschaft zu tun. Das ist etwas, was uns seit Jahren begleitet. Die Menschen, die sich radikalisieren, sind teilweise Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, die dritte Generation von damaligen Gastarbeitern, Menschen, die vielleicht auch keinen Integrationshintergrund haben. Das Thema ist viel verbreiteter.
    Natürlich kommen zu uns Menschen, die auch ein bestimmtes sehr konservatives Islamverständnis haben, das auch die Basis schaffen kann, an der die Menschen sich radikalisieren können. Diese Menschen müssen wir auch erreichen, aber wir müssen zuerst diejenigen erreichen, die seit Generationen bei uns leben.
    Barenberg: Und das, so sagen viele, gelingt im Moment nicht sehr gut. Oft wird gesagt, wir müssen beim Thema Integration aus Fehlern der Vergangenheit lernen. Heißt das auch, dass wir uns viel klarer als früher darüber verständigen müssen, was wir von den Zuwanderern erwarten und geradezu verlangen müssen?
    Mansour: Schauen Sie mal, wie die Burka-Debatte gerade durchgeführt wird in Deutschland. Da merkt man, dass auch in der Mehrheitsgesellschaft nicht klar ist, welche Werte wir vertreten wollen und auf welche Art und Weise wollen wir das auch vertreten. Ich bin dafür, dass wir erst mal in der Mitte der Gesellschaft Debatten führen über unsere Gesellschaft, über unsere Werte und was wir von uns erst mal erwarten. Solange wir aber nicht klar sind, welche Werte uns ausmachen, werden wir das auch nicht kommunizieren können nach außen.
    Natürlich wurden damals Fehler gemacht. Natürlich wurden auch in den letzten Monaten Fehler gemacht. Wir müssen den Menschen, die zu uns kommen, klar machen, was diese Gesellschaft tolerieren kann und was diese Gesellschaft nicht tolerieren kann, und das ist, glaube ich, erst mal uns nicht klar und natürlich den Flüchtlingen auch nicht.
    "Was diese Gesellschaft ausmacht, ist unklar"
    Barenberg: Sie haben ja diese Debatte um Burka und Burkini angesprochen. Ist das nicht eigentlich ein gutes Beispiel? Für manche ist das Burka-Verbot in Deutschland unabdingbar, für andere ist es ein Beleg geradezu für einen Totalitarismus der Aufklärung. Ist diese Heftigkeit der Debatte symptomatisch für die Schwierigkeit, die Sie skizzieren, uns überhaupt über Grenzen und Regeln zu verständigen?
    Mansour: Die Debatte ist polemisch und das hilft uns nicht weiter. Das haben wir immer wieder geführt, auch was Radikalisierung angeht, was Islamismus angeht. Die einen sagen, das hat mit dem Islam nichts zu tun; die anderen sagen, die Muslime, alle sind schuld, alle sind Terroristen. Das bringt uns nicht weiter. Wir müssen uns einfach der Werte, die uns ausmachen, klar werden.
    Wenn eine Frau auf die Straße geht und ihre Identität gestohlen wird, wenn man ihr Gesicht nicht sehen kann, weil sie ein Sexobjekt ist, weil sie so wahrgenommen ist, dann ist das nicht etwas, was zu unserer Gesellschaft gehört, und das müssen wir kommunizieren. Ich weiß nicht, ob Verbot sinnvoll ist, aber die Gesellschaft muss den Leuten, die zu uns kommen, die vor allem aus patriarchalischen Strukturen kommen, aus autoritären Systemen kommen, klar machen, was diese Gesellschaft ausmacht, und das ist unklar.
    Und solange das unklar ist, solange wir keine Konzepte haben der Integration, solange wir nicht die Menschen auch in Integrationskursen erreichen, diese über solche Themen dialogmäßig durchführen, werden wir immer wieder Leute haben, die aus Angst vor dieser Gesellschaft, aus Überforderung der Integration sich radikalisieren, vielleicht auch noch patriarchalischer werden, und das darf nicht im Sinne unserer Integrationspolitik sein.
    "Wir brauchen bessere Integrationskurse"
    Barenberg: Sie sagen, wir sollen die Werte klar machen, nach denen wir hier zusammen leben. Sie sagen auch, wir sollen das selbstbewusster machen als bisher. Wie soll das geschehen?
    Mansour: Das ist die Aufgabe, die uns in den nächsten Jahren begleiten wird. Dazu brauchen wir bessere Schulen. Wenn ich sage, wir müssen unsere Werte verteilen, klingt das ein bisschen rechts, aber darum geht es mir nicht. Es geht darum, dass wir eine Dialogplattform schaffen, in der wir Grundgesetze dieses Landes kommunizieren, auf eine Art und Weise kommunizieren, dass die Menschen, die zu uns kommen, auch verstehen, das ist nicht nur ein abstrakter Satz oder ein Buch, sondern es geht hier um Zusammenleben, es geht um eine Art und Weise, wie man miteinander umgeht, wie man in dieser Gesellschaft lebt.
    Dazu brauchen wir bessere Integrationskurse, die nicht nur Sprache vermitteln, sondern vor allem auch diese Dialogplattformen schafft. Wir brauchen in den Schulen Lehrer, Pädagogen, Sozialarbeiter, die in der Lage sind, nicht nur Mathe und Englisch zu vermitteln, sondern auch Werte zu vermitteln, und zwar mit den Jugendlichen. Ich bin sehr oft in Schulen und die Jugendlichen wollen über ihre Themen reden, und ihre Themen sind Frauenrechte, Geschlechterrollen, Islam, Nahost-Konflikt, aktuelle politische Themen. Aber das findet in der Schule zu wenig statt. Die meisten Lehrer sind damit überfordert, nicht weil sie bösartig sind, sondern weil sie in ihren Ausbildungen über so was nicht geredet haben, weil in den Lehrplänen keine Räume für solche Themen sind. Das müssen wir erst mal schaffen.
    Wir müssen auf lokaler Ebene auch solche Dialogplattformen mit den Bewohnern, mit den Asylheimen, mit den neuen Bürgern einfach führen, damit sie auch wissen, dass solche Themen uns tagtäglich beschäftigen. Sie im Stich lassen und denken, dass Integration nur irgendwie Arbeit finden, nicht kriminell werden und die Sprache zu beherrschen ist, das wird uns dann in den nächsten Jahren viele Probleme bereiten.
    "Liberale und demokratiefähige Muslime müssen unterstützt werden"
    Barenberg: Da müssen also die Politiker nachlegen, die Verwaltung, der Staat insgesamt. Was ist mit den islamischen Verbänden in Deutschland? Sie haben geschrieben, die könnten und sollten Teil der Lösung sein, sind aber im Moment Teil des Problems. Was meinen Sie damit?
    Mansour: Stellen Sie sich Moscheen und Verbände vor, die diesen Menschen, die zu uns kommen, die sie auch am Freitagsgebet besuchen, Werte vermitteln, die im Sinne unseres Grundgesetzes sind, die in den Moscheen zum Beispiel auch über Radikalisierung reden, über eigene Verantwortung reden, ein Islam-Verständnis vermitteln, das sagt, dass Demokratie, Menschenrechte mit unserem Islam-Verständnis eigentlich vereinbar ist. Das wäre natürlich Teil der Lösung. Das wäre eine großartige Bewegung, innerislamisch natürlich.
    Aber die Realität sieht anders aus. Wir haben es heute mit Verbänden, mit Vereinen zu tun, die sehr politisch aktiv sind, die erst mal die Gegner Erdogans aus der Moschee rausschmeißen. Wir haben es mit Moscheen und mit Verbänden zu tun, die Geschlechterapartheid betreiben, die Opfer- und Feindbilder schaffen, die den Menschen ihr kritisches Denken wegnehmen wollen, die versuchen, antisemitische Einstellungen nicht zu bekämpfen.
    Das ist ein Islam-Verständnis, das leider zu Problemen führen kann und Radikalisierung begünstigen kann. Wenn diese Basis da ist, dann kommen die Islamisten und bauen darauf, und das ist natürlich Teil des Problems. Deshalb brauchen wir eine innerislamische Debatte. Das kann Merkel nicht durchführen, das kann Gabriel auch nicht, das muss innerislamisch passieren. Liberale und demokratiefähige Muslime müssen unterstützt werden, damit sie in der Lage wären, eine Alternative zu schaffen zu diesen konservativen reaktionären islamischen Verbänden.
    "Wir brauchen eine sehr gute mutige innerislamische Debatte"
    Barenberg: Aiman Mazyek ist der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime. Der sagt beispielsweise, wir sind Deutsche, deutsche Muslime, und dies nicht nur auf Bewährung. Reicht das nicht?
    Mansour: Das ist mir zu abstrakt, zu sagen, ich bin Deutscher. Ich bin auch Deutscher, viele Menschen hier sind Deutsche. Auch von Deutschen kann ich bestimmte Sachen verlangen. Wenn ich von Aiman Mazyek und seinem Verband bestimmte Sachen verlange, dann hat das mit Deutsch zu tun und zu dieser Gesellschaft zu gehören nichts zu tun. Das gehört zur Demokratie.
    Ich erwarte von Aiman Mazyek, dass er erst mal die Verbände und Vereine, die zu seinem Dachverband gehören, einfach mal sorgfältig anschaut und sieht, welche Islam-Verständnisse diese Vereine vermitteln, welche Inhalte, welche Inhalte werden den Jugendlichen vermitteln, hat das mit Angstpädagogik zu tun, hat das mit Tabuisierung der Sexualität zu tun, führt das vielleicht zur Radikalisierung, wie können wir das besser machen.
    Was hat Aiman Mazyek in den letzten Jahren gemacht, außer zu sagen, das hat mit dem Islam nichts zu tun. Das ist ein Satz, der hat keinen einzigen Jugendlichen gerettet. Das ist kein Satz, der zu einer guten Debatte geführt hat, die eigentlich den Muslimen ihre eigene Verantwortung gibt und eine innerislamische Debatte führt. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen eine sehr gute mutige innerislamische Debatte, die wir leider jetzt nicht haben.
    Barenberg: Der Appell von Ahmad Mansour von der European Foundation for Democracy. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Mansour.
    Mansour: Sehr gerne! - Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.