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Integrationsprojekt "Stadtteilmütter"
Orientierung für andere Mütter

Seit 15 Jahren gibt es in Berlin das Integrationsprojekt "Stadtteilmütter", bei dem Mütter mit türkischer oder arabischer Herkunft qualifiziert werden, um anderen Müttern mit ähnlichen Biographien zu helfen. Jetzt soll dieses Projekt nicht nur dauerhaft finanziert, sondern auch in anderen Städten übernommen werden.

Von Sebastian Engelbrecht | 11.06.2019
Der damalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD, überreicht am 29.09.2010 im Rathaus Neukölln der türkischstämmigen Sanaa Zeidan (l.) eine Urkunde. Die bescheinigt eine Qualifizierung zur Stadtteilmutter, vorrangig handelt es sich bei den 29 Frauen um Frauen türkischer und arabischer Herkunft. Die Einsatzbereiche der Stadtteilmütter reichen vom Schulsystem, gesunder Ernährung, körperlicher und seelischer Entwicklung bis hin zu Sexualentwicklung und gewaltfreier Erziehung. Foto:
Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD) überreicht eine Bescheinigung über eine Qualifizierung als Stadtteilmutter an Sanaa Zeidan (l.) (Robert Schlesinger / dpa)
Serap erinnert sich an die Zeit, als sie neu war in Berlin. Sie war aus der Türkei eingewandert. Serap wusste nichts über Behörden, Kindergärten, das Schulsystem, was ein "Elternheft" in der Schule ist und wie sie später einmal Arbeit finden kann. "Ich bin damals aus der Türkei als Jugendliche nach Deutschland gekommen und wusste immer, wie schwer es ist, sich zu orientieren. Und diese Möglichkeit hatte ich damals leider nicht. Deswegen war es mir wichtig, diese Unterstützung auch später an andere Eltern weiterzugeben", sagt sie.
Heute ist Serap Stadtteilmutter. Sie ist Ansprechpartnerin in einem Familienzentrum in Berlin-Kreuzberg, das von der Diakonie getragen wird. Neu eingewanderte Mütter können zu ihr kommen und sich von ihr beraten lassen – zu allen Fragen der Bildung und Erziehung.
Trotz Erfolg fehlte bisher die Finanzierungssicherheit
Bislang gab es 157 Stadtteilmütter in drei Berliner Innenstadtbezirken. Sie wurden über die Agentur für Arbeit oder verschiedene Einzelprogramme finanziert. Es fehlte die Sicherheit. Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres hat das Projekt nun zu einem "Landesprogramm" erhoben. In den Jahren 2020 bis 2024 sollen 43 Millionen Euro für das Integrationsprojekt zur Verfügung stehen. Das bringt den Stadtteilmüttern, die alle selbst Mütter sind, mehr Sicherheit. Sie werden nun – wenn auch zeitlich befristet – angestellt.
Der Berliner Senat will bis 2025 300 Stadtteilmütter-Stellen finanzieren – in allen Bezirken. Bildungssenatorin Scheeres lobt das Konzept der Stadtteilmütter, das vor 15 Jahren in Berlin erfunden wurde: "Sie bringen eine Sprachkompetenz mit in die Familien, also einerseits ihre Herkunftssprache – teilweise ist es ja so, was ich mitbekommen habe, dass sie ja auch unterschiedliche Sprachen auch beherrschen – und dann die deutsche Sprache. Es geht darum, dass sie die Familien beraten: Wo ist welche Behörde, wo findet man welchen Ansprechpartner?"
Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei einer Pressekonferenz in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Berlin.
Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei einer Pressekonferenz in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Berlin. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
Bevor sie Einwanderer-Eltern beraten dürfen, werden die Stadtteilmütter qualifiziert. Ein halbes Jahr lang besuchen sie Theorie- und Praxisstunden zur Kindererziehung, zur Sprachförderung, Bildung – und zum gesunden Lebensstil. Sogül Kessel vom Diakonischen Werk in Berlin-Kreuzberg nennt ein Beispiel, wie Stadtteilmütter Eltern zu diesem Thema beraten: "Bei der gesunden Ernährung – Sie wissen selber, wie das ist mit dem Fast Food, wie viel Zucker in den Getränken ist, dass die Eltern wirklich häufig zum Fast Food tendieren, nicht weil sie faul sind, sondern weil sie denken das ist ein Mainstream, da muss ich mitgehen – Eltern tatsächlich zu stärken und zu sagen: Nein, beziehen sie ihr Kind, wir machen Koch-Workshops mit den Kindern. Bringen Sie Ihr Kind mit."
Andere Städte haben das Konzept inzwischen übernommen
Natürlich müssen die Stadtteilmütter Deutsch sprechen. Außerdem bringen sie ihre Muttersprache mit. Hannah Natur, Stadtteilmutter in Kreuzberg, ist vor 17 Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Sie spricht Arabisch und Deutsch. Beide Sprachen spielen in der Bildung für aranische Einwandererkinder eine wichtige Rolle: "Wir haben immer wöchentlich ein Bilderbuchkino, mit zwei Sprachen: Deutsch und Arabisch. Wegen der Muttersprache. Weil viele Kinder können nicht richtig Arabisch. Ein Wort Arabisch, ein Wort Deutsch. Der Leiter hat gesagt: Er will die Muttersprache verbessern, damit die Kinder dann auch besser Deutsch sprechen."
Das Konzept der Stadtteilmütter haben mittlerweile auch andere Städte und Gemeinden übernommen. Der 30-Stunden-Job ist bei Müttern, die schon vor längerer Zeit eingewandert sind, jedenfalls begehrt. Viele von ihnen können in Berlin jetzt auf eine Festanstellung hoffen.