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Intelligente Studie über Computerspiele

Der Eindruck, dass nur Kinder vor Spielekonsolen sitzen, trügt. Statistisch liegt das Durchschnittsalter der Computerspieler in Deutschland mittlerweile bei 25 Jahren, in den USA sogar bei 30. Dem kulturellen Phänomen widmet sich der Kulturwissenschaftler Mark Butler mit seinem deutschsprachigen Buch "Would you like to play a game?".

Von Matthias Eckoldt | 26.04.2007
    "Als Allererstes würde ich den Reiz des Spiels darin sehen, dass es eine lustvolle Wahrnehmungsveränderung herbeiführt. Es ist ein rauschhaftes Erlebnis. Man fantasiert sich in eine Rolle hinein. Man kann alles Mögliche sein: Ein Ritter, der in eine weite Steppe hinausreitet, um gegen riesige Ungeheuer anzutreten. Man kann sich als Schwarmintelligenz einer außerirdischen Rasse figurieren lassen, und die Kolonisation fremder Planeten übernehmen. Es gibt eine Vielzahl möglicher Rollenspiele, die man da ausleben kann. Man vergisst seine sonstige Umwelt, man hat die Möglichkeit, in eine andere Welt einzutauchen, die bevölkert ist mit Charakteren, die eine Geschichte hat, die eine Ausdehnung hat. An und für sich spricht das den Spieltrieb in jedem Menschen an."

    Mark Butler, selbst passionierter Spieler, gibt zu Beginn seines Buches "Would you like to play a game?" eine lesenswerte Einführung in die Welt der Computerspiele. Eingängig erläutert er die Spezifika von Actionspielen, Abenteuerspielen, Strategie- und Kriegsspielen. Zahlreiche, qualitativ hochwertige Abbildungen machen die Spielwelten auch für jene Ahnungslosen vorstellbar, die noch nie zum Zocken vor dem Monitor gesessen haben und eröffnen ihnen die Chance, dem Erkenntnisgang des Buches zu folgen. Rasch ist auch der zentrale Unterschied zwischen herkömmlichen und computeranimierten Spielen markiert. Im Gegensatz zu Skat, Rommee, Schach und Co sind bei Computerspielen die Regeln dem Spieler nicht von vornherein klar. Vielmehr macht die Suche nach der Struktur des Spiels und den Gesetzen, denen es unterworfen ist, einen großen Teil des Spiels selbst aus. Ein Computerspiel hat man erst wirklich verstanden, wenn man am Ziel angelangt ist.

    Diese andere Struktur bringt auch eine neue Verbindung von Spiel und Spieler mit sich. Butler betrachtet sie nicht mehr getrennt voneinander, sondern sieht einen gemeinsamen kybernetischen Organismus am Wirken, einen Cyborg.

    "Was passiert, wenn sich ein Mensch vor den Computer setzt und eins von diesen Spielen spielt? Was da passiert ist, dass der Mensch sich auf den Code einlassen muss, wenn er in dieser Welt agieren will. Er begibt sich in einen symbolischen Austausch mit dem Computer. Der Computer beobachtet die Eingaben des Spielers, die entweder über die Tastatur oder über die Maus oder den Joystick geschehen, und der Spieler beobachtet die Ausgaben des Computers über den Bildschirm, die Lautsprecher und womöglich die Vibration des Controlers, wenn das vorhanden ist. Im Akt des Spielens findet dieser Austausch in einem stetigen Prozess statt. Die gesamte Zeit über ist eine Rückkopplungsschleife am Laufen, und die stellt sozusagen die Verbindung zwischen der Spielwelt und dem Spieler her und sie gewährleistet das Eintauchen in diese Spielwelt und die Verkörperung des Spielers in dieser Spielwelt. Und als solches kann man den Computerspieler einen Cyborg nennen, der aus diesen technischen Bedingungen und aus dem Spieler besteht."

    Um seine Thesen zu prüfen und zu schärfen hat der Deutsch-Amerikaner Mark Butler Interviews mit mehreren Computerspielern gemacht, die sich nach dem Niveau ihrer Fertigkeiten und nach dem Geschlecht unterschieden. Lara K., die noch am Anfang ihrer Computerspiellaufbahn steht, berichtet:

    "Ich habe gemerkt, dass ich mich noch gar nicht damit auseinandergesetzt habe, dass es nur ein Computerspiel ist. Indem mein Herz angefangen hat zu rasen, wenn Tyrannosaurus Rex plötzlich vor mir stand, dass ich mich bedroht gefühlt habe, nicht sie. Das fand ich echt erstaunlich."

    Alle Spieler kannten die Spuren des Spielens: Nachbilder, ruckartige Augenbewegungen, wie sie die digitalen Animationen verlangen, und unwillkürliche Doppelklicks verfolgten sie, obwohl der Computer längst aus war. Neben diesen rein körperlichen Phänomenen stieß Mark Butler aber auch auf komplexe Veränderungen in der Wahrnehmungsstruktur:

    "Was ich in den Interviews gefunden habe, waren Berichte davon, dass gewisse Spielstrukturen sich in der Fantasie ablegen. Nicht eins zu eins, das ist keine Programmierung der Spieler, aber sie sprechen schon davon, dass sie, nachdem sie eine längere Zeit 'Sim City' gespielt haben, durch eine Stadt fahren und dann anfangen, die Stadt in verschiedene Bebauungszonen einzuteilen, so wie sie das aus dem Spiel kennen. Oder dass sie gewisse Kreisläufe, die im Spiel vorhanden sind, gewisse wirtschaftliche Zusammenhänge, in der Außenwelt beobachten. Das heißt, dass sie die Logik des Spiels auf die Welt außerhalb des Spiels übertragen in ihrer Wahrnehmung. Eine sehr prägnante Erfahrung war: eine intensive Sitzung mit einem Egoshooter wie Doom, hat dazu geführt, dass sie nach der Spielsitzung durch ihr Zimmer gegangen sind und das Zimmer nach den funktionalen Kategorien des Spiels eingeteilt haben. Eine Spielerin berichtete sogar davon, dass sie aufgrund einer Sinnestäuschung - sie hat gemeint, etwas in der Ecke des Zimmers zu sehen - sie dann auch so eine körperliche Reaktion hatte, dass sie auf diesen Feind schießen wollte."

    Mit "Would you like to play a game?" ist Mark Butler eine intelligente Studie über Computerspiele gelungen, mit der die tiefe Kluft zwischen denen, die spielen, und denen, die über das Spielen nachdenken, überbrückt wird. Dass Butler nicht nur mit den aktuellen medientheoretischen Ansätzen, sondern auch mit dem Joystick umzugehen versteht, ist sein unbedingter Vorteil. So versteigt er sich nicht zu naseweisen Kurzschlüssen notorischer Bedenkenträger, die Computerspiele als Vorstufe von Amokläufen sehen, sondern zeigt in beeindruckender Klarheit die Konsequenzen für eine Kultur auf, in der Computerspiele immer attraktiver werden: Folgt man Butlers Argumentation, so ist der Traum vom autonomen Subjekt an der Spielekonsole ausgeträumt. Das neue Subjekt zeichnet sich dadurch aus, dass es adäquat zum Internet kein Zentrum mehr hat und sich im Zusammenspiel mit dem Computer in immer wieder wechselnden Konstellationen kreieren muss. Die Bewertung dieses neuartigen Erlebnisses von Subjektivität leistet Mark Butler allerdings nicht. Das bleibt dem Leser überlassen. ebenso wie die Entscheidung darüber, ob er nach der Lektüre der aufschlussreichen 264 Seiten selbst zum Joystick greift.
    Mark Butler: "Would you like to play a game? Die Kultur des Computerspielens"
    Kadmos Verlag, 264 Seiten
    19,90 Euro