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Interkultureller Hürdenlauf zur Kita

Eltern der ersten Einwanderergenertion behalten Kinder eher zu Hause, als sie in die Kita zu schicken. Sie vermissen Sprachkompetenzen bei Erziehern und eine interkulturelle Öffnung der Einrichtungen. Nach einer aktuellen Studie hänge der Kita-Besuch auch mit dem Bildungsstatus zusammen.

Von Verena Kemna | 05.06.2013
    Ob Eltern sich für oder gegen eine Kita entscheiden, für oder gegen eine Betreuung zu Hause, hat viel mit dem Bildungsstatus zu tun. So lautet ein Ergebnis der Studie vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen. Außerdem haben die Autoren der Studie festgestellt, dass Eltern mit Migrationshintergrund sowie bildungsferne Eltern besonders hohe Hürden überwinden müssen. Eltern, die ihre Kleinkinder lieber zuhause behalten, nennen folgende Gründe: zu hohe Kosten, zu weite Wege, wenig Vertrauen in die Qualität der Betreuung, zu wenig Rücksicht auf fremde Sprachen und Kulturen. Hürden, die keine echte Wahl zulassen, meint Jan Schneider. Er leitet den Forschungsbereich des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration.

    "Die Eltern der ersten Generation der Zuwanderer behalten ihre Kinder eher zu Hause, weil für sie tatsächlich interkulturelle Hürden stärker bestehen. Sie vermissen Sprachkompetenz bei den Erziehern und sie vermissen eine interkulturelle Öffnung der Einrichtung. Eine intensive Elternarbeit zwischen Institution und Eltern und das hält sie zum Teil davon ab."

    Was in vielen deutschen Kleinstädten unbekannt ist, wird in Berlin seit Jahren praktiziert. Turgut Hüner , Projektleiter beim Türkischen Elternverein Berlin-Brandenburg berät seit vielen Jahren türkische Familien der ersten und zweiten Generation in der Hauptstadt. Die meisten wissen längst, dass ein Kitabesuch die Bildungschancen der Kinder erhöht.

    "Wir wissen, dass Eltern mit Migrationshintergrund, ihre Kinder auf jeden Fall in vorschulische Erziehung schicken wollen. Sie sind bildungsbewusst, auch wenn sie bildungsfern sind."

    Auch für Nazim Gündüz war immer klar, dass seine beiden Kinder so früh wie möglich in Berlin eine Kita besuchen sollen. Nazim Gündüz, der sich beim türkischen Elternverein in Berlin engagiert, weiß, wie wichtig Sprachkenntnisse sind. Er selbst hat erst vor zehn Jahren angefangen, deutsch zu lernen. Seine beiden Kinder sprechen fließend deutsch. Nazim Gündüz ist überzeugt davon, dass der Kitabesuch ab dem ersten Lebensjahr geholfen hat. Familie Gündüz hat lange gesucht, bis ein geeigneter Platz für den inzwischen sieben Jahre alten Levin gefunden war.

    "Die Eltern waren alle Migrationshintergrundfamilien, die kommen zum Beispiel aus England, Spanien, Frankreich, seitdem er da war, hat alles gut geklappt. Meine kleine Tochter geht dorthin. Sie spricht nicht türkisch, sie versteht es, spricht aber immer deutsch."

    Familie Gündüz hat einen Kindergarten gefunden, in dem sich nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern, gut betreut fühlen. Faktoren, die laut des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, viele Eltern mit Migrationshintergrund vermissen. Kinder der ersten Zuwanderergeneration werden im Alter bis zu zwei Jahren vor allem zuhause betreut. Fast jedes zweite Elternpaar der zweiten Zuwanderergeneration entscheidet sich dagegen für eine Krippenbetreuung. Das entspricht dem Verhalten der Eltern ohne Migrationshintergrund. Lediglich der Bildungsstatus macht einen Unterschied. Egal, welche Sprache die Familie zuhause spricht, im bundesweiten Durchschnitt entscheiden sich Eltern mit höherem Bildungsstatus öfter für einen Kitabesuch. Eine echte Wahl zwischen Betreuungsalternativen von "Erziehung zu Hause" und "Krippenplatz" sei nicht gegeben, erklärt Jan Schneider vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Er befürchtet, dass das Betreuungsgeld, das ab dem 1. August gilt, gerade Eltern mit niedrigem Bildungsstatus daran hindern wird, die Kinder in eine Kita zu schicken. Kostenfreie Krippenbetreuung ist nur eine der Maßnahmen, die der Sachverständigenrat empfiehlt. Mehr Kitaplätze, die eine gute Betreuung garantieren, eine bessere interkulturelle Bildung der Erzieher sowie kooperative Elternarbeit stehen ganz oben auf der Liste der Forderungen.

    "Wir wissen aus anderen Studien, dass sich insbesondere für niedrig gebildete und Zuwanderer der ersten Generation der Kitabesuch im frühkindlichen Alter lohnt. Dass im späteren Alter sich in der Schule bessere Leistungen einstellen können, wenn diese Kinder eine Kita besucht haben. Das ist auch der Ansatz für unsere Empfehlungen."