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Internationale Beziehungen
G7 ohne die USA "politisch nichts mehr wert"

Der Politikwissenschaftler Thomas Jäger hält eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik ohne die USA für unmöglich. Europa habe nicht die Fähigkeit, seine Außenpolitik selbst in die Hand zu nehmen, sagte er im Dlf. Die USA sollten deswegen auch nicht von den G7 ausgeschlossen werden.

Thomas Jäger im Gespräch mit Stefan Heinlein | 08.06.2018
    Thomas Jäger bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow Markus Lanz im Studio
    Der Politikwissenschaftler Thomas Jäger (imago stock&people)
    Stefan Heinlein: Ein Bierzelt in Trudering, einem Stadtteil in München, Ende Mai vergangenen Jahres: Der G7-Gipfel auf Sizilien war gerade vorbei, da kam für viele überraschend das Lebewohl der Kanzlerin für die bisherige Ordnung dieser Welt:
    "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen. Natürlich in Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika."
    Heinlein: Doch dieser fromme Wunsch hat sich nicht erfüllt. Seit der Merkel-Rede im Bierzelt von Trudering hat sich zwischen Berlin, Brüssel und Washington kaum etwas zum Guten verändert, im Gegenteil, der transatlantische Graben ist tiefer geworden. Keine guten Vorzeichen für den Gipfel der sieben führenden westlichen Industrienationen ab heute in Kanada. Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Uni Köln. Guten Tag, Herr Professor!
    Thomas Jäger: Guten Tag, Herr Heinlein!
    "Die G6 wird es nicht geben"
    Heinlein: Der US-Präsident zertrümmert die gewohnt internationale Weltordnung, die westliche Wertegemeinschaft mit dem Vorschlaghammer, wir haben es gerade gehört, das Fazit unseres Korrespondenten. Kann man sich Quebec, kann man sich G7 also sparen, viel Aufwand für wenig Ertrag?
    Jäger: Es ist paradoxerweise umso wichtiger, miteinander zu sprechen, und erstaunlich, dass im Vorfeld dieses Treffens dann doch die Fronten so verhärtet wurden und sich der französische Präsident sozusagen auf das Niveau des amerikanischen begeben hat. Denn es wäre genau wichtig, diese Situation jetzt zu nutzen, die anderthalb Tage zumindest, den amerikanischen Präsidenten zu versuchen zu überzeugen, dass er hier in einer ganzen Reihe von Fragen auf dem falschen Weg ist. Ihm möglicherweise auch hier und da entgegenzukommen, denn das, was hinter Macrons Idee steckt – wir machen das halt zu sechst –, das ist eine Illusion. Die G6 wird es nicht geben, wenn die Vereinigten Staaten diesen Kreis verlassen, wenn sie isoliert sind, sind die G7 politisch nichts mehr wert.
    Heinlein: Warum ist das die falsche Taktik, Trump isolieren? Man hat den Eindruck, dass Donald Trump, der US-Präsident, vor allem harte Linie, harte Worte versteht, eine Taktik, die er selber jeden Tag anwendet.
    Jäger: Das ist völlig richtig und das wäre auch angemessen, wenn man etwas in der Hinterhand hätte. Das Problem der Europäer ist, dass sie jetzt darüber reden, ihre Außenpolitik selbst bestimmen zu wollen, das Schicksal – wie Sie es zitiert haben – in die eigene Hand nehmen zu wollen, aber sie können es nicht. Sobald Sicherheitsfragen auftreten in der Europäischen Union, die osteuropäischen Staaten sich bedroht fühlen, Instabilität im Mittelmeerraum besteht und die NATO mitgefordert ist, sind die Vereinigten Staaten im Spiel. Und es wird keine europäische Einigkeit gegen die USA geben, wenn Sicherheitsfragen aufstehen. Und die sind mit den Wirtschaftsfragen selbstverständlich verbunden. Dass hier darüber gesprochen wird, dass Zölle unattraktiv sind, ist völlig richtig, aber die deutsche Regierung steht da in Europa nicht in vollsolidarischer Front, sondern ziemlich alleine da. Und inzwischen können wir eben auch beobachten, dass die Unternehmen, die betroffen sind, die harte Linie der Kommission der EU überhaupt nicht gut finden. Also das heißt, es fehlt an Fähigkeiten, um das umzusetzen, was man gern tun würde. Man kann es eben nicht.
    Konstanz und Vertrauen der G7
    Heinlein: Herr Professor Jäger, der deutsche Außenminister ist da offenbar anderer Meinung, der hat heute der "Süddeutschen Zeitung" ein Interview gegeben und übt darin überraschend scharfe Kritik an den USA und die Forderung, diese neue weltpolitische Konstellation brauche neue Koalitionen. Wie sinnvoll ist diese Überlegung aus Ihrer Sicht, aus der Sicht eines Wissenschaftlers?
    Jäger: Nun, Außenminister Maas hat darauf hingewiesen, dass es ja eine ganze Reihe von Formaten gibt. Und das ist richtig, die Formate wurden sozusagen immer vielfältiger. Man hat für jede Krise, wenn man so will, eigene Formate gefunden, Freundschaftsgruppen, die sich finden, oder das Normandie-Format, wenn es um die Ukraine geht, und man weiß ja, wie effektiv diese Formate sind, gewöhnlich nämlich nicht sehr effektiv. Das, was die G7 in ihrer langen Geschichte unterschieden hat, auch wenn sie zur G8 wurde, zu den G20 und jetzt sich dann am Ende doch unter Ausschluss Russlands wieder als westliche Wertegemeinschaft versucht hat zu konstituieren, ist eben diese Konstanz, ist das lange Gespräch, das Vertrauen, das man aufbaut. Und da ist völlig richtig, dass Donald Trump der Elefant im Porzellanladen ist. Und das ist noch ein sehr freundliches Bild.
    Heinlein: Welchen Sinn, Herr Professor Jäger, machen denn Gespräche, machen denn überhaupt internationale Treffen, Vereinbarungen und Organisationen, wenn Trump dann im Anschluss mit einem Federstrich diese ganzen Abkommen und Erklärungen dann beiseite wischt und sagt, wir machen das ganz anders?
    Jäger: Die Frustration ist verständlich, aber so sind die internationalen Beziehungen nun mal. Und wenn man an anderen Stellen zu Recht sagt, dass es keine Alternative zu Gesprächen gibt, dann gilt das für die Beziehungen zwischen den EU-Staaten und den USA erst recht. Es gibt keine Alternative dazu. Und deswegen muss man diese Gespräche führen, selbst wenn man sich nachher darüber ärgern muss, dass sie eben nicht zu dem Ergebnis geführt haben, was man gerne hätte.
    Europa "nicht in der Lage, internationale Ordnungspolitik aus eigener Kraft zu gestalten"
    Heinlein: So sind die internationalen Beziehungen, sagen Sie, Herr Professor Jäger. Aber ist das nicht eine Art Epochenwandel, das, was wir hier gerade erleben unter Donald Trump, mit diesem US-Präsidenten?
    Jäger: Da bin ich mir eben nicht sicher. Und deswegen finde ich auch diese gegen die USA gerichtete Politik momentan zumindest fragwürdig. Denn Donald Trump, selbst wenn er noch sechs Jahre im Amt ist, ist eben nur ein Präsident. Und das politische System der USA, das politische Leben der USA ist viel vielfältiger. Und dass Trump in der Außenpolitik so auftritt, hat ja auch damit zu tun, dass er innenpolitisch die Hände gebunden bekommt. Das heißt also, es wäre klug, die Kontakte in die USA zu verstärken, hier Verbündete zu suchen, das Gespräch zu suchen. Denn es gibt für die Europäer, die eben nicht in der Lage sind, internationale Ordnungspolitik aus eigener Kraft gestalten zu können, keinen anderen Partner als die USA. Wenn sich jetzt – machen wir ein Szenario – wirklich das Gipfeltreffen von Trump und Putin, von dem derzeit die Rede ist, verwirklicht und die zwei möglicherweise sich gut verstehen, dann stehen die Europäer dazwischen. Das möchte ich sehen.
    Heinlein: Ich möchte noch mal zurück, Herr Professor Jäger, auf das Interview von Heiko Maas, dem deutschen Außenminister, heute in der "Süddeutschen Zeitung". Darin schreibt er auch, es brauche in großem Umfang neue Bündnisse von denen, die eine multilaterale Weltordnung erhalten wollen. Ist das nicht der Ansatz, wenn man die internationale Wertegemeinschaft retten will, dass man genau diesen Weg geht, ohne die USA?
    Jäger: Wenn die Europäer das könnten, wäre das ein möglicher Weg. Nur ist das mit dem Multilateralismus so eine Sache. Die europäischen Staaten haben das quasi in ihrer DNA, weil sie das in Brüssel ständig machen müssen. Das sieht bei den anderen großen Staaten ganz anders aus. Weder in Moskau, noch in Peking, noch in Washington versteht man Multilateralismus in der Art und Weise, wie die Europäer das verstehen. Und selbst in der EU ist es ja nicht so, dass etwa die Bundesregierung nicht auch unilateral handeln würde, das macht sie schon, wenn sie es kann und wenn sie es will, und wenn sie keine Rücksicht nehmen möchte auf andere. Aber die Frage, in welcher Ordnung man gerne leben würde, und wenn man die dann beantwortet mit: In einer multilateralen Welt, dann ist das eine Vorstellung, die ich sehr sympathisch finde. Aber man muss es durchsetzen können. Und diese Fähigkeiten haben die EU-Staaten im Moment eben leider nicht.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger. Herr Professor, herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Jäger: Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Heinlein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.