Internationale Musikszene in Mannheim

Weltmusik war gestern

43:52 Minuten
Die Band 47Soul aus Palästina steht in Mannheim auf der Bühne
Für Bands wie 47Soul aus Palästina greift das Label "Weltmusik" zu kurz © Deutschlandradio / Julia Neumann
Von Julia Neumann · 08.11.2019
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Musik, die als nicht westlich gilt, wird in Deutschland seit den 80er-Jahren als "Weltmusik" vermarktet. Das Festival "Planet Ears" in Mannheim hat diesem Label den Kampf angesagt und will die progressiven Entwicklungen der globalen Musikszene aufzeigen.
Mit Weltmusik assoziieren die meisten nicht-europäische Musik der 80er Jahren, Musikerinnen und Musiker, oft traditionell gekleidet, die exotisch oder gar esoterisch wirken. Anders als die Wortbedeutung vermuten lässt, ist der Begriff "Weltmusik" also von einer sehr westlichen und sich abgrenzenden Perspektive geprägt – und bereitet genau deswegen auch vielen Menschen Bauchschmerzen. Denn abgesehen von der fragwürdigen Exotisierung anderer Musikstile lässt sich berechtigter Weise auch fragen, ob Musik in Zeiten von Internet und Globalisierung überhaupt noch geografisch oder gesellschaftlich verortbar ist.
Das Planet Ears Festival
Julia Neumann hat Eindrücke und Stimmen von Musikern, Zuhörerinnen und Musiktheoretikern in Mannheim gesammelt. Die Organisatorinnen des Kulturzentrums "Alte Feuerwache" haben dort zum ersten Mal das Planet Ears Festival organisiert. Dabei lag der Schwerpunkt auf Bands und Musikerinnen aus dem arabischen Sprachraum, deren Musik sich aber nicht in Genres oder traditionelle Musikstile einordnen lässt.

Am Neckarufer, direkt am Wasser mit Blick auf Schiffscontainer, haben sich Menschen auf der Wiese, vor einer kleinen Bühne versammelt. Sie sitzen auf Bierbänken, auf einer großen Betontreppe oder direkt im Gras. Der Eintritt zum Konzert ist kostenlos und das ist überraschend, denn es spielt die palästinensische Band 47Soul, die in Städten wie Beirut oder Amman als Stars gefeiert werden.
Die palästinensische Band 47Soul beim Aufbau auf einer Bühne in Mannheim, vor der sich schon Publikum versammelt hat
Die palästinensische Band 47Soul vor einem Auftritt in Mannheim© Deutschlandradio / Julia Neumann
Jeder kann sein eigenes Genre kreieren
Seit 2013 machen die vier Bandmitglieder Musik in der es um Freiheit und Gleichheit in Palästina geht. Dafür hat die Gruppe ein eigenes Genre geschaffen: Shamstep – eine Mischung aus Dubstep-Beats und Klängen aus dem traditionell arabischen Dabke-Tanz. Darauf angesprochen, wie wichtig es sei, dass das Publikum ihre Texte versteht, antwortet Tarek Abu Kwaik, dass auch das arabische Publikum die Musik nicht wegen der tiefen Botschaften hört.
Der Perkussionist der Band betont: "Du kannst draußen Eine rauchen und politische Konversationen führen. Aber wenn du reinkommst, wird getanzt." Die neue globale Musik erobert Bühnen auf der ganzen Welt. Wie zum Beispiel koreanische Popmusik: "Ein paar Teenager in Nordamerika sind K-Pop Fans, auch wenn sie nicht verstehen, worum es in den Texten geht."
Musik braucht keine Schubladen
Dass Musik eine universelle Sprache ist, sagt Gisbert Rodammer. Er kommt aus Bayern und hat zufällig von dem Konzert erfahren. "Diese Schubladen in der Musik, die waren für mich nie existent. Und es gibt jede Menge Beispiele. Also, wenn ich aus meiner Heimat La Brass Banda höre, die mit Rappern, mit allen möglichen anderen Leuten spielen, dann muss ich sagen: Natürlich vermischt sich das."
Eine Mischung aus verschiedenen Instrumenten und Stilen bringen auch Pulse Project auf die Bühne. Sie mischen die elektrische Oud, Schlagzeug, E-Bass und Klarinette. Nach dem Soundcheck erzählt Schlagzeuger Santino Scavelli: "Am Anfang waren wir elf Leute auf der Bühne, aber wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass es so nicht funktioniert, weil auch vieles überflüssig ist. Aber das ist immer ein Lernprozess."
Hesham Hamra, der das arabische Saiteninstrument Oud spielt, betont, das man auf einem traditionellen Instrument mehr spielen kann als nur traditionelle Musik. "Ich kann mit meinem Instrument alles spielen: Klassik, Bach, Vivaldi."
Es muss eine Diskussion entstehen
Die beiden Musiker von Pulse Project studieren in Mannheim an der Popakademie. Professor Udo Dahmen leitet dort den Studiengang der Weltmusik und sagt, der Name des Studiengangs sei in dem Bewusstsein gewählt worden, dass der Begriff "ein diskursiver" ist.
"Eine heute ältere Generation, die auf der Basis der 68er entstanden ist, die ihre Rucksack-Urlaube auf Bali, in Indien oder Südamerika gemacht hat; ist zurückgekommen und hat mit diesen Musiken auch bestimmte Eindrücke mitgebracht. Und da hat das so einen gewissen Exotismus – durchaus positiv besetzt, das muss man immer dazu sagen." Die junge Generation empfinde transkulturelle Musik aber anders: "Nämlich als Bestandteil ihrer gemeinsamen Kultur."
Mannheim ist eine der vielen Städte in Deutschland, die eine vielfältige Stadtgemeinschaft hat. In der Innenstadt gibt es deutsche oder griechische Küche, Dönerläden und Shisha Bars wie das Kanka Orient Deluxe. Die Bar ist mit Rundbögen und Ornamenten verziert und entspricht so dem deutschen Orientklischee. Hier rauchen Ameen Khayer, Maher Kadi und Thorben Beeken eine Wasserpfeife. Die drei Männer bilden die Band Shkoon. Sie mischen arabische traditionelle Lieder mit Housemusik und Violine.
Die drei Mitglieder der Band Shkoon sitzen in der Shishabar Orientdeluxe in Mannheim.
Die Band Shkoon in einer Shishabar in Mannheim© Deutschlandradio / Julia Neumann
Ganz ohne Labels geht es nicht
Ihr Sound wird als "Oriental Slow House" beschrieben. Wie vermarkten sie ihre Musik ohne stereotype Bilder über den Orient und Okzident zu nutzen? Schnell wird klar, dass sich auch die Bandmitglieder untereinander nicht ganz einig sind, dass es ohne Zuschreibungen aber nicht geht. Bei einem Konzert in Paris wurden Blumen und bunte Ornamente auf die Rückwand der Bühne projeziert und Thorben Beeken ergänzt: "Wenn wir an neue Orte kommen und mit Veranstaltern sprechen, geht Bühnendesign, Visual Design sehr oft in diese Richtung".
Im Gespräch stellt sich heraus, dass die Band im Westen als "arabische Wüstenband" und in arabischsprachigen Ländern als "Hippie Band" gesehen wird. "Für ein Konzert im Libanon haben wir auf Instagram eine Anfrage bekommen, ob sie uns ausstatten können. Und da hat sich genau das wieder gefunden: Pumphosen, Hippie, ein bisschen orientalisch. Da findet sich der Begriff dann wieder." Ameen Khayer, schwarze Lederjacke, Jeans und schwarze Cap, lacht und sagt: "Ja genau, ich bin Hippie."
Politisierte Musik
Die Musikethnologin Rim Jasmin Irscheid, hat in Mannheim gelebt und ihren Master an der Universität Oxford abgeschlossen. In ihrer Forschung hat sie sich mit der neuen globalen Musik beschäftigt. Sie sagt, das Problem der kulturellen Aneignung sei durch das Internet und die Technologisierung geringer geworden. Damit ist ein Machtungleichgewicht gemeint, dass oft darin besteht, dass sich westliche Musiker nichtwestliche Musik aneignen und kommerziell ausschlachten.
Für Irscheid ist es aber wesentlich problematischer, wie interkulturelle Musik, auch in den Medien, dargestellt wird: "Da wird viel über das "Resistance Model" geschrieben. Künstler aus dem arabischen Raum werden oft in diese Opferrolle gedrängt. Viele Künstler meinen, dass dadurch die Qualität der Musik einfach nicht mehr im Vordergrund steht – sondern ihr eigener politischer und kultureller Hintergrund."
Verändern sich unsere Hörgewohnheiten durch Musik in der Stile verschwimmen und es Neuschöpfungen gibt? "Auf jeden Fall", sagt Rim Jasmin Irscheid. "Damals zum Beispiel, war es ja auch ein großer Skandal, wenn man statt Wagner die Beatles oder Rolling Stones gespielt hat."
Interkulturelle Musikprojekte hätten sogar das Potential, in den Mainstream zu kommen. "Ich würde meiner Oma jetzt nicht gleich die Mozart-CDs aus dem Regal wegräumen und da Acid Arab hinstellen, aber auf jeden Fall verändert sich die Hörerwartung, das Hörerlebnis und die Art und Weise wie man über Musik nachdenkt."
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