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Internationale Presseschau
Die Anschläge und die Folgen

Auch am vierten Tag nach den Pariser Attentaten kennen die internationalen Zeitungen kaum ein anderes Thema. Unser Kollege Matthias Götte aus der Nachrichtenredaktion hat Pressestimmen aus allen Kontinenten herausgesucht - lesen Sie etwa Kommentare aus Neuseeland, Südafrika, Jamaica, Brasilien, Trinidad/Tobago und Indien.

17.11.2015
    Drei Männer - zwei davon vermummt - haben eine IS-Flagge über eine Haubitze gelegt
    Bekannte sich zu den Anschlägen in Paris: Die IS-Terrormiliz (afp / Karam Al-Masri)
    Einige der Täter und Hintermänner kommen aus Belgien - und das - so der TAGES-ANZEIGER aus Zürich - wirft kein gutes Licht auf dieses Land:
    "In Städten wie New York oder London ist eine einzige Behörde zuständig für die Sicherheit. Brüssel mit nur 1,5 Millionen Einwohnern leistet sich noch immer sechs Polizeidepartements, die über unterschiedliche Zonen wachen. Die Zuständigkeit endet in der Regel an der Zonengrenze. Auch politisch liegt die Macht nicht in der Hauptstadtregion, sondern bei den 19 Bürgermeistern der Brüsseler Gemeinden. Da können Hinweise auf radikalisierte Jugendliche oder Syrien-Rückkehrer schnell verloren gehen."
    Die kanadische Zeitung THE NATIONAL POST aus Don Mills bemerkt mit Blick auf die gestrige Rede des französischen Präsidenten Hollande:
    "Frankreichs Staatschef sprach von einer gnadenlosen Antwort auf die Anschläge. Doch seine Verbündeten sind sich da nicht so sicher. Die USA, Deutschland und Kanada betonen zwar ihre unerschütterliche Solidarität mit Frankreich. Doch Änderungen an ihrer bisherigen Syrienpolitik lehnen sie ab."
    Die in Auckland erscheinende Zeitung THE NEW ZEALAND HERALD plädiert für eine harte Antwort auf den Terror:
    "Der IS will die Welt in einen epischen Kampf hineinziehen - und die Welt sollte diese Rolle übernehmen. Wenn sich die USA und Russland einig werden und China nichts dagegen hat, könnte es endlich einmal eine gemeinsame militärische Antwort mit einer entsprechenden Resolution des UNO-Sicherheitsrats geben."
    Ganz anders sieht es die australische CANBERRA TIMES:
    "Das Ziel des IS besteht vor allem darin, die westlichem Staaten dazu zu bewegen, etwas Dummes zu tun - etwas, was ihnen schadet und den Dschihadisten hilft. Es besteht derzeit die große Versuchung, das gesamte Militär in den Mittleren Osten zu entsenden und diese Kräfte des Bösen ein für alle mal zu besiegen. Aber wie oft ist das schon vergeblich versucht worden? Ist den Krieglüsternen im Westen nie aufgefalllen, dass die Terorristen die internationale Gemeinschaft genau dazu kriegen wollen, zurückzuschlagen? Denn dann sind sie Märtyrer, dann heißt es: Die Muslime gegen den Rest der Welt. Und dann bekommen sie wieder Nachschub aus dem Reservoir potenzieller Terroristen in unseren Gesellschaften."
    Auch die DETROIT FREE PRESS aus den USA glaubt:
    "Ein längerfristiges US-Militärengagement in Syrien inklusive der Entsendung von Bodentruppen würde die Region nur zusätzlich destabilisieren. Das ist aber genau das Gegenteil dessen, was nötig ist, damit Syrien nicht weiter eine Brutstätte für Terroristen ist."
    Die südafrikanische Zeitung BEELD aus Johannesburg notiert:
    "Die Folgen des 11. September 2001 lehren, dass Adrenalin ein schlechter Ratgeber ist. So verständlich der Zorn auch sein mag, in der internationalen Politik muss er zurücktreten. Die westlichen Politiker müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren und sollten sich ein Vorbild an Angela Merkel nehmen, die nach der russischen Aggression gegen die Krim und die Ost-Ukraine rational handelte."
    Die Zeitung THE JAMAICA GLEANER aus Kingston blickt zurück:
    "Es lohnt, sich noch einmal daran zu erinnern, dass die Enstehung des IS wesentlich durch jene Instabilität begünstigt wurde, die einst durch die US-Invasion im Irak geschaffen wurde. Auch das derzeitige Chaos in Libyen entstand nach dem gewaltsamen Sturz des Diktators Muhammmad Ghaddafi mit ausländischer Unterstützung."
    Auch der DAILY EXPRESS aus Port of Spain in Trinidad/Tobago findet:
    "Die Entsendung ausländischer Truppen nach Syrien würde die Lage nur verschlimmern. Deshalb bleibt als Option des geringsten Übels, die Terrorwelle auszusitzen. Denn so schrecklich diese Anschläge auch sind, so stellen sie doch ein nur geringes Risiko für die normalen Bürger in den westlichen Staaten dar. Statistisch gesehen ist das Risiko zu sterben immer noch höher, wenn man die Staße überquert oder auf eine Leiter steigt."
    Im südkoreanischen KOREA HERALD aus Seoul ist zu lesen:
    "Wenn das Ziel eine vollständige und dauerhafte Zerschlagung des IS sein soll, dann muss eine künftige Zusammenarbeit des Westens einen neuen Versuch beinhalten, den syrischen Präsidenten Assad aus dem Amt zu drängen. Denn das Assad-Regime ist die Krankheit, und deren Symptome werden erst verschwinden, wenn der Diktator weg ist."
    Das JORNAL DE ANGOLA aus Luanda blickt auf den NATO-Generalsekretär:
    "Jens Stoltenberg hat erklärt, der Terror werde nicht über die Demokratie siegen. Das sind schöne und verheißungsvolle Worte, doch wird dabei leicht übersehen, wer die Verantwortung für die Tragödie in Syrien trägt: Noch immer fließen Geld und Waffen aus dem Westen und verbündeten Ländern wie Saudi-Arabien in die Region."
    Mit diesem Aspekt befasst sich auch die indische Zeitung THE HINDU, die Channai erscheint:
    "Wichtig wird es sein, dass die G-20-Staaten es hinbekommen, die Finanzströme des IS und seine Versorgung mit Waffen zu unterbinden. Dies ist deshalb essenziel, weil die bisherige internationale Uneinigkeit es Ländern wie Saudi-Arabien, Katar oder Türkei erlaubt hat, Rebellengruppen in Syrien zu finanzieren und zu bewaffnen. Eine Unterstützung, von der am Ende auch der IS profitierte."
    Die GAZETA DO POVO - sie erscheint im brasilianischen Curitiba - erläutert:
    "Geheimdienste vermuten, dass der IS jeden Monat Einnahmen in Höhe von rund 50 Millionen Dollar durch den Verkauf von Öl erzielt, das in den besetzten Gebieten in Syrien und im Irak gewonnen wurde. Es wird von Schmugglern unter Weltmarktpreis auf den internationalen Märkten verkauft, und der Erlös ermöglicht es den Dschihadisten, ihren bewaffneten Kampf fortzusetzen und die im Krieg zerstörte Infrastruktur wiederaufzubauen. Die westlichen Mächte müssen jetzt in einer gemeinsamen Aktion diesen Schmuggel bekämpfen."
    "Den Dschihadismus können nur die Muslime besiegen",
    konstatiert LE MONDE aus Paris.
    "Diesem ideologischen Kampf müssen die Muslime Priorität geben, damit der Dschihad seine Anziehungskraft für hunderttausende junger Menschen verliert."
    Die im taiwanesischen Taipeh erscheinende Zeitung LIANHE RIBAO schreibt mit Blick auf die EU:
    "Nicht wenige befürchten, dass der Schengen-Raum in Europa kurz vor seinem Ende steht. Es drohen striktere Einwanderungsbestimmungen, ein Anstieg ausländerfeindlicher Ressentiments sowie eine zunehmende Distanzierung von der arabischen Welt. Europa sollte aber nicht dieselben Fehler wiederholen, wie sie die USA nach dem 11. September 2001 begangen haben, sondern weiterhin zu seinen liberalen Werten stehen und darauf vertrauen, dass die Kräfte der Zivilisation über die Barbarei siegen werden."
    Das Moskauer Blatt WZGLJAD hält dagegen schärfere Einreisekontrollen für nötig und verweist auf die Lage in Deutschland:
    "Die Bundesregierung hat derzeit keine Ahnung, wer sich alles im Land aufhält. Es gibt eine große Anzahl von Menschen, die mit unbekannten Zielen einreisen, in unbekannten Orten leben und von denen nicht klar ist, ob sie überhaupt aus Syrien stammen. Berlin wird sich damit einverstanden erklären müssen, die äußeren EU-Grenzen besser zu schützen."
    Eine weitere Zeitung aus Moskau - WEDEMOSTI - macht sich Gedanken über die künftige Rolle ihres Landes:
    "Für Russland ist das eine Chance, in den Klub der Weltmächte zurückzukehren. Doch nach der Krim-Annexion und dem Krieg im Donbass betrachtet der Westen Russland immer noch als eine potenzielle Gefahr. Eine substanzielle Annäherung ist nur möglich, wenn Russland diese Prinzipien aufgibt und es der Ukraine ermöglicht, die Kontrolle über ihre Grenzen zurückzugewinnen."
    Zum Schluss noch ein Blick in die Zeitung THE BARBADOS ADVOCATE aus Bridgetown:
    "Auch in der Karibik-Region machen sich radikale Ideologien breit und kommen in Gewalttaten zum Ausdruck. Deshalb müssen wir untersuchen, ob es Verbindungen des Terrors auch in unsere Staaten gibt. Berichte über Menschen aus der Karibik, die sich dem Kampf des IS in Syrien angeschlossen haben, zeigen, dass dies eher früher als später geschehen sollte."
    (mg)