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Internationale Tagung in Berlin
Europas Wutbürger auf dem Vormarsch

Nicht erst seit Beginn der Flüchtlingsgwelle verzeichnen populistische und extremistische Bewegungen in Europa zunehmend Erfolge. In Deutschland haben Bewegungen wie Pegida oder die AfD steigenden Zulauf und sogar deutliche Wahlerfolge, wie zuletzt bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern.

Von Cornelius Wüllenkemper | 15.09.2016
    Wutbürger: Wort des Jahres 2010
    Wutbürger: Wort des Jahres 2010 (dpa - picture alliance)
    In Polen regiert derzeit die rechtspopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit", in Italien ist das politische Lager polarisiert zwischen der rechtsextremen Lega Nord und dem linkspopulistischen Beppe Grillo und seiner "Fünf Sterne Bewegung", in Frankreich ist der Front National unter Marine LePen längst eine salonfähige Größe im Parteienspektrum. Wie ist diese gesamteuropäische Entwicklung zu erklären, was treibt Menschen in die Arme von Populisten?
    Damit beschäftigte sich am Wochenanfang die internationale Tagung "Wutbürger auf dem Vormarsch" der Evangelischen Akademie Berlin.

    Woran erkennt man Populismus? Es ist der Anspruch seiner Protagonisten, die einzigen wahren Vertreter des Volkes zu sein. Das auszusprechen, was doch eigentlich alle denken. Wenn diese selbsternannten Volksvertreter trotz der vermeintlichen Mehrheit hinter ihnen keine politische Macht erhalten, dann liegt das entweder an der Verschwörung der herrschenden Eliten oder eben an den Lügen, die in den Medien verbreitet werden. Wolfgang Palaver, Professor für Systematische Theologie in Innsbruck, bezeichnet den Populismus als eine Politik der Angst in einer Jagdgesellschaft, die Jagd mache auf Sündenböcke für die eigenen Ängste.
    Individualisierung: befreiend mit Nebenwirkung
    "Das ist eine gewisse Angst, im Wohlstand abzustürzen. Der Optimismus der 60er und 70er Jahre, dass unsere Kinder es besser haben werden, ist gewichen, dass man sagt, kann man dieses Niveau halten. Was auch ganz stark zusammengeht mit einer wachsenden Ungleichheit im Einkommen, im Vermögen und im Besitz. Ein zweiter angstreibender Faktor ist natürlich die Individualisierung, die ja einerseits eine schöne befreiende Wirkung hat, aber andererseits auch als Schatten und Begleiterscheinungen eine zunehmende Einsamkeit und Misstrauen, zu wenig Austausch unter Menschen. Und das steigert die Angst."
    Nach den ersten bedeutenden Wahlerfolgen der österreichischen Rechtspopulisten der FPÖ, habe sich die gesamte Parteienlandschaft des Landes nach rechts bewegt, so Wolfgang Palaver. Der Wissenschaftler spricht von einem Spiel der Angst, das nicht nur von Politikern, sondern ebenso von Teilen der krisengebeutelten Medienbranche betrieben werde.
    Alle rechtpopulistischen Parteien folgen derselben Kommunikationsstrategie
    "Das ist natürlich nicht nur den Medienmachern allein vorzuwerfen, sondern es liegt natürlich auch am Verhalten von uns Konsumenten. Uns interessieren auch Skandale schneller. Das ist eben eines der Probleme, dass Medienunternehmen mit Angst auch ihre Geschäfte machen, wie übrigens auch die Politik in großer Versuchung ist, dieses Spiel mit der Angst zu treiben. Weil man eben, wenn man Ängste anspricht und verstärkt, zumindest kurzfristig Erfolg haben kann."
    Die rechtpopulistischen Parteien Europas folgen ein und derselben Kommunikationsstrategie: Mit verbalen Provokationen wird zunächst mediale Aufmerksamkeit geschürt. Bei Bedarf werden dann allzu offen aufhetzende Inhalte nachträglich relativiert. Auch thematisch spielen die europäischen Rechtspopulisten auf derselben Klaviatur:
    Die Angst vor einer Islamisierung Europas und die Fundamentalkritik an den politischen und wirtschaftlichen Eliten an der Macht vermischen sich mit einer diffusen Vorstellung von der Treue zu nationalen Traditionen. Giorgia Bulli, Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Florenz, bezeichnet die italienische Lega Nord, die als eine der erste fremdenfeindlichen Parteien Westeuropas in ein nationales Parlament einzog, als den Prototypen europäischer Rechtspopulisten.
    Gefühl der permanenten Krise
    "Das Konzept von einem homogenen Volk ist von der Partei in den verschiedenen Phasen anders benutzt worden. Einmal war es das Volk der norditalienischen Regionen. Ein anderes Mal war das Volk das von den nicht korrupten Leuten. Dann war es das Volk von den Bürgern, die sich wehren gegen Immigration und gegen die Angehörigkeit Italiens zur Europäischen Union. Dieses Konzept vom Volk – die Lega Nord war immer in der Lage es zu benutzen. Und von diesem Gesichtspunkt ist die Partei, denke ich, ein Vorbild für andere Parteien."
    Das Gefühl der permanenten Krise mache den Weg frei für politische Extreme und Experimente, so Giorgia Bulli. Wie das Beispiel von Beppe Grillo mit seiner Fünf Sterne Bewegung zeigt, können diese freilich auch nach links ausschlagen. Die traditionellen politischen Lager lösen sich zunehmend auf. Die rechtsextreme Bürgerbewegung Casa Pound Italia, die sich selbst als die Faschisten des dritten Jahrtausends bezeichnet, vermischt bewusst Symbole, Slogans, Ziele und Kommunikationsstrategien, die bisher dem linken Lager zugerechnet wurden. Auch aus Polen berichtete der Politikwissenschaftler Rafal Pankowski von professionalisierten Strategien der Anhängergewinnung in rechtsextremen Kreisen:
    Elterngeneration in Polen schätzt zivile Freiheiten mehr als junge Menschen
    "Einige der rechtsextremen Gruppen haben große Anstrengungen unternommen, fremdenfeindliche und nationalistische Ideologien gerade unter jungen Menschen zu verbreiten. Sie benutzen verschiedene Kanäle, die Pop- und Jugendkultur, den Fußball, die Musik und die sozialen Netzwerke. Und leider haben sie einen Markt für ihre Ideen gefunden und Territorien erobert. Heute ist eine große Anzahl der jungen Menschen in Polen weniger tolerant und weniger demokratisch eingestellt als ihre Eltern. Diese Elterngeneration hat die Diktatur und den Autoritarismus in Polen miterlebt und weiß daher zivile Freiheiten mehr zu schätzen als junge Menschen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben."
    Das Bedürfnis nach einfachen Wahrheiten in einer zusehends unübersichtlichen globalisierten Lebenswelt sowie die Suche nach einer starken Führungsfigur machen Populisten gerade auch für junge Menschen attraktiv. Dies und die traditionelle Ablehnung der liberalen Gesellschaftsform erkläre die enge Bindung europäischer Rechtspopulisten mit der autoritären Regierung in Russland, erklärt der Politikwissenschaftler Henning Flad:
    Gesellschaftliche Debatte über Rechtspopulismus nötig
    "Die Nähe zur russischen Regierung konnte man schon ganz früh auf den Pegida-Veranstaltungen sehen, also dort jede Menge russischen Fahnen wehten. Wir können es umgekehrt sehen, dass bei größeren Veranstaltungen von manchen rechtspopulistischen Akteuren immer wieder Menschen aus Kreml-nahen Think-Tanks aufgetreten sind.
    Ein weiterer Faktor ist, dass von Anfang an die Pegida-Veranstaltungen im Internet übertragen worden sind von einem Sender namens Russia-Today, der unter direkter Kontrolle des russischen Staates steht."
    Zugleich verfolge Russland durch die gezielte Förderung populistischer Bewegungen in Westeuropa die Destabilisierung des demokratischen Systems, so Henning Flad. Um eine breite gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Bewegungen kommen die liberalen Mehrheitsgesellschaften Europas längst nicht mehr her herum.
    Der Innsbrucker Theologe Wolfgang Palaver forderte auf der Berliner Tagung über den Vormarsch der Wutbürger eine neue lokale, aber auch grenzüberschreitende Solidarität, die weder Sündenböcke noch Schwarz-Weiß Schemata brauche, sondern mehr Grautöne. Der Dialog mit Andersdenkenden, und seien sie auch Populisten, sei eines der wichtigen Rezepte gegen die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung.