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Internet-Regulierung
Zwischen Datenautobahn und digitaler Sackgasse

Wie stark soll der Staat die Kommunikation im Internet regulieren? In dieser Frage herrscht Streit unter Juristinnen und Juristen, und auch beim "Tag der Rechtspolitik" in Frankfurt wurde wieder diskutiert. Denn auch die Meinungsvielfalt steht dabei auf dem Spiel.

Von Ludger Fittkau | 04.12.2018
    Social Media Apps auf einem Smartphone
    Gefährdet eine stärkere Regulierung von Facebook, YouTube und Co. die Meinungsvielfalt? (imago/Simon Belcher)
    Die Schlinge ums freie Internet zieht sich mehr und mehr zu. Dies glaubt zumindest der Rechtsprofessor Alexander Peukert von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zunächst, so Peukert, wollten die Juristen international dem Fahren auf dem "Internet-Highway" möglichst keine Grenzen setzen - zumindest in der Anfangsphase des Netzes in den 90er Jahren. Deshalb sollten damals Suchmaschinenanbieter wie Google oder Zugangs-Provider wie die Telekom nicht für die Inhalte haften, die sie auf ihren Kanälen zuließen.
    Das hat sich knapp dreißig Jahre später radikal geändert, stellt Alexander Peukert kritisch fest. Ihm geht die Regulierung der großen Internetdienstanbieter, die mehr und mehr wie klassische Medien behandelt würden, inzwischen zu weit.
    Gefährdet Regulierung die Meinungsvielfalt im Netz?
    "Also jedenfalls beobachte ich mit gewisser Sorge, dass von gesetzgeberischer und gerichtlicher Seite Anstrengungen unternommen werden, offene Dienste wie etwa YouTube umzuformen. In eine Art Fernsehsender. Und das halte ich für bedenklich."
    Denn der damit wieder zu erwartende redaktionelle Filter reduziere die Meinungsvielfalt und damit die demokratische Beteiligung im Internet, glaubt der Juraprofessor.
    Für die Frankfurter Datenschutz-Professorin Indra Spiecker greift hingegen die Regulierung des Internets längst noch nicht weit genug. Anders als ihr Kollege Peukert begrüßt sie es, dass Google, Facebook und Co. mehr und mehr als Medien im klassischen Sinne gesehen und deshalb nun auch stärker für die Inhalte haftbar gemacht werden, die sie verbreiten. Die Interplattformen müssten überdies rechtlich dazu gezwungen werden, ihr Nachrichtenangebot so zu gestalten, dass die Filterblasen platzen, so Spiecker:
    "Das bedeutet zum Beispiel, dass wir Suchmaschinen auch anders aufstellen müssen in den Ergebnissen. Dass wir uns zum Beispiel vorstellen können, dass es eine Pflicht gibt, dass man nach einem Zufallsprinzip Nachrichten am Rand laufen lässt. Da kann man auch technisch sehr, sehr viel machen, um Pluralität sicher zu stellen. Ganz wichtig: Es geht immer nur darum, sie zu erfahren. Ich bin nicht dazu gezwungen, sie zu Kenntnis zu nehmen. Aber zu Kenntnis zu nehmen, das es was anderes gibt."
    Social-Media-Filterblase verkleinern
    Rechtlich verpflichtende ungefilterte Nachrichten auf dem Bildschirm könnten die Welt wieder größer werden lassen, die durch die Filterblasen in den Sozialen Netzwerken verkleinert werde, hofft Spiecker.
    In einer Konferenzpause diskutieren die Jura-Studentinnen Sarah und Alina die strittige Frage, ob das Recht noch stärker als bisher ins Internet eingreifen soll oder nicht - etwa bei Hassreden oder aggressiver personalisierter Werbung:
    "So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Das finde ich zu wenig. Weil man zum Großteil gar keine Kontrolle darüber hat, was hochgeladen wird oder manche Inhalte sind ja auch verwerflich und sind sehr lange online, bis irgendwas passiert."
    "Natürlich ist es wichtig, dass Amazon mir nicht plötzlich auf Instagram Werbung von den Artikeln zeigt, die ich mir vorher angeschaut habe. Das finde ich persönlich auch sehr beängstigend und unangenehm und das gefällt mir auch überhaupt nicht."
    "Wenn schon Regulierung, dann engmaschig"
    Die angehenden Juristinnen machen damit deutlich, wo für die Internet-Konzerne die Grenzen der totalen Vermarktung liegen, wenn sie ihre Kunden nicht verschrecken wollen.
    Juraprofessor Alexander Peukert spricht sich zwar generell gegen eine zu starke Einmischung des Staates in die Internet-Kommunikation aus. Er möchte es allerdings den Internet-Dienstleistern nicht selbst überlassen, welche Inhalte sie im Netz belassen und welche sie rausnehmen:
    "Zum Beispiel plädiere ich dafür, dass bei Facebook von Gerichten oder einer unabhängigen Behörde geschaut wird, was gelöscht wird, an Meinungen etwa, was wieder freigeschaltet wird. Also - wenn schon, denn schon. Wenn schon Regulierung, dann relativ engmaschig und nicht den Unternehmen überlassen, die dann auch nach eigenen Geschäftsinteressen versuchen, einem Haftungsrisiko aus dem Weg zu gehen und dann in die eine oder andere Richtung möglicherweise überschießend reagieren."
    Was macht der Staat mit stark personalisierten Daten?
    Datenschutzrechtlerin Indra Spiecker warnte schließlich vor stark personalisierten Daten in der Hand des Staates. Die seien auch für die Freiheiten der Individuen in westlichen Gesellschaften eine Gefahr, nicht nur in China. Dort wird staatlicherseits der sogenannte "citizen score" angewendet. Das bedeutet, dass das Alltagsverhalten der Bürger gescannt und in einer Sozialtauglichkeitsskala erfasst wird. Sogar Bildungschancen von Kindern hängen von diesem Ranking ab, so Indra Spiecker. Auch für Europa sei das keine Science Fiction, wenn das Recht den Einzelnen nicht davor schütze:
    "Das ist überhaupt nicht weit weg, wenn wir uns klar machen, dass die Vorratsdatenspeicherung genau das will. Dass der Staat hingeht, sich ein Suchprofil anlegt und sich das anschaut. Das ist das gute alte Rasterfahndungskonzept, mit den vielen anderen Zugriffsdaten, die der Staat mittlerweile hat. Da bin ich ganz schnell bei der Vorhersage, wer wird denn jetzt einen Einbruch begehen. Und dann kann ich ihn entsprechend präventiv behandeln. Das ist filmisch schon längst aufgearbeitet und dann muss ich schon sagen, dass Hollywood ja oft ein Gespür dafür hat, wo die Reise hingeht."