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Internetprojekt "Frag den Rabbiner"
Rabbi 2.0

Rabbiner sollen in jüdischen Gemeinden das Wissen der Thora vermitteln, bei kniffligen Glaubensfragen helfen und Streit schlichten. Was aber, wenn die nächste jüdische Gemeinde weit entfernt ist? Ein Internetprojekt namens "Frag den Rabbiner" soll dann helfen.

Von Samuel Acker | 18.11.2016
    Der Verein Jewig hat die Facebook-Gruppe vor zwei Jahren gegründet. Heute hat sie etwa 3.000 Mitglieder
    Der Verein Jewig hat die Facebook-Gruppe vor zwei Jahren gegründet. Heute hat sie 3.000 Mitglieder (Foto: Samuel Acker)
    "Was sagt die Thora zu Alkoholgenuss?", fragt Martin in die Gruppe. Wenige Minuten später antwortet ein Rabbiner:
    "Wie alles, was der Schöpfer schuf, so soll auch der Wein dem Menschen Freude bringen. Gegen ein koscheres Glas Wein am Abend oder mal ein kühles Bier ist nichts einzuwenden, aber betrinken soll man sich auf keinen Fall!"
    "Frag den Rabbiner" heißt die Facebook-Gruppe, die mittlerweile rund 3.000 Mitglieder hat. Katia Novominski vom Verein "Jewig" für jüdische Bildungsarbeit in Berlin hat die Gruppe vor zwei Jahren gegründet, gemeinsam mit Kollegen und einem Rabbiner.
    "Die ursprüngliche Idee war, alle diejenigen zu erreichen, die einen niedrigschwelligen Zugang zum Rabbiner brauchen, die vielleicht nicht kurz den Hörer abnehmen können und ihren Rabbi anrufen oder zur Gemeinde laufen."
    Störenfriede gibt es nur noch selten
    Die meisten Mitglieder seien jüdisch, eher traditionell eingestellt und zwischen 18 und 35 Jahre alt, sagt Novominski. Etwa drei Fragen würden pro Tag gepostet, vor Feiertagen wie Chanukka, dem Lichterfest, oder Jom Kippur, dem Versöhnungstag, seien es deutlich mehr.
    Am Anfang wollten Novominski und ihre Mitstreiter mit einer offenen Gruppe arbeiten, bei der also jeder Facebook-Nutzer Mitglied werden kann. Das aber führte zu Problemen.
    "Da haben Leute versucht reinzukommen, die bewusst unter Juden missionieren wollen. Das ist natürlich ein No-Go. Es gab auch so antijüdische, antisemitische, antizionistische Geschichten. Das hat einfach nicht gepasst."
    Störenfriede gebe es hin und wieder zwar immer noch, aber viel seltener. Denn Novominski und die anderen Administratoren überprüfen jeden, der ihrer Gruppe beitreten will. Sie erkundigen sich etwa, ob derjenige in der jungen jüdischen Community bekannt ist oder erfragen die Gründe, warum jemand in die Gruppe will.
    Gassi gehen am Sabbat?
    Es sind vor allem Zweifelsfälle des religiösen Alltags, die bei "Frag den Rabbiner" diskutiert werden: Ist diese Schokolade koscher? Darf ich am Sabbat, der arbeitsfrei sein soll, meinen Hund Gassi führen? Was gehört in einen jüdischen Ehevertrag?
    Nutzer müssen zuerst die Antwort eines Rabbiners abwarten, dann können sie über die Frage oder den rabbinischen Rat debattieren. Diana Broner, eine jüdische Studentin aus Dortmund, stellt selbst keine Fragen, nutzt die Gruppe aber trotzdem gerne.
    In der Gruppe seien alle vertreten: von Nicht-Juden bis hin zu Orthodoxen, sagt Mit-Initiatorin Katia Novominski
    In der Gruppe seien alle vertreten: von Nicht-Juden bis hin zu Orthodoxen, sagt Mit-Initiatorin Katia Novominski (Foto: Jewig e.V.)
    "Da ich selbst nicht religiös bin, kann ich jetzt nicht sagen, dass ich davon viel in die Tat umsetze oder in mein Leben einbaue. Aber trotzdem habe ich es im Hinterkopf und es bereichert mich. Es ist ja Wissen, das man sich aneignet."
    Manchmal werden in der Gruppe auch theologische oder philosophische Fragen aufgeworfen: Ist es wirklich ein positives Zeichen von Gottesgläubigkeit, dass Abraham bereit war, seinen Sohn Isaak zu opfern?
    Antworten im Minutentakt
    Mittlerweile machen in der Gruppe rund 30 Rabbiner mit, einige von ihnen leben in Israel und den USA. Die Koordinatoren schrieben zu Beginn des Projekts alle deutschsprachigen Rabbiner an, die sie auf Facebook finden konnten. Inzwischen würden die Fragen im Minuten- oder Stundentakt beantwortet, erzählt Katia Novominski.
    "Es gibt einige Rabbiner, die sind vermutlich twenty-four-seven in der Gruppe aktiv. Und wir freuen uns darüber und sind mega-dankbar."
    Allerdings gibt es eine Ausnahme: Wer am Sabbat, zwischen Freitagabend und Samstagabend, postet, muss davon ausgehen, dass seine Frage konsequent ignoriert wird.
    Religiöse Denkanstöße
    Einer, der die Gruppe sehr regelmäßig nutzt, ist Kirill Kabatski. Der 33-jährige Informatiker bezeichnet sich selbst als modern-orthodox. Die Gruppe gebe ihm immer wieder religiöse Denkanstöße. Trotzdem könne eine virtuelle Facebook-Gruppe niemals das Gespräch mit dem Rabbiner seiner Gemeinde ersetzen:
    "Die Rabbiner, die die Fragen dort beantworten, kennen einen persönlich nicht und können nicht immer die Situation gut einschätzen. Bei einer bestimmten Situation, bei einer bestimmten Person, kann ein Rabbiner sagen: Ja, das darfst du. Und bei einem anderen kann er sagen: Nein, darfst du nicht."
    Diana Broner, die Studentin aus Dortmund, sieht manche Beiträge in der Facebook-Gruppe kritisch. Einige Nutzer wollten sich mit möglichst abstrakten Fragen, etwa zu Kleidungsvorschriften, selbst profilieren und als besonders orthodox zeigen:
    "Da stellen die Leute Fragen, die ich kenne, zumindest im weiteren Bekanntenkreis. Und da bin ich mir ganz sicher, dass die nicht so leben, und trotzdem, in dieser Gruppe, wo das mehrere hundert Leute lesen, dann solche Fragen stellen, als ob sie orthodoxer wären als der orthodoxeste Rabbiner."
    Tatsächlich sind liberale Strömungen und Interpretationen bei "Frag den Rabbiner" eher selten zu finden. Die Rolle von Rabbinerinnen wird zum Beispiel nur angerissen und in einer Debatte über Homosexualität herrscht weitgehende Einigkeit, dass dies eine Sünde sei.
    Viele Fragen von Nicht-Juden
    Mit-Initiatorin Katia Novominski hingegen findet, alle Strömungen des Judentums seien in der Gruppe vorhanden. Sogar Nicht-Juden suchen Rat bei "Frag den Rabbiner". Sie seien zwar in der Minderheit, sagt die Koordinatorin, dafür stellen sie aber auffallend viele Fragen. Katia Novominski gefällt das.
    "Wenn ich sage: Ich bin als Nicht-Jude bei einer jüdischen Familie eingeladen, was muss ich beachten? Das ist für uns eine sehr jüdische Frage. Seit eh und je stellen Nicht-Juden Fragen an Rabbiner, von daher ist das für uns etwas, das dazugehört. Was nicht dazugehört, ist, wenn jemand sagt: Okay, vergleich das mal mit dem Katholizismus, russisch-orthodoxe Kirche, mit dem Islam."
    Für solche Diskussionen gebe es genügend andere Angebote. Bei ihrer Seite stehe der Service-Aspekt im Vordergrund: eine schnelle, klare Antwort - direkt vom Rabbiner.