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Interstellare Reisen
Später starten - früher ankommen

Abwarten könnte sich lohnen. Wenn die Technik für interstellare Reisen mit der Zeit immer besser wird, dann dürften später startende Raumfahrzeuge schneller sein als ihre Vorgängermodelle. Das könnte dazu führen, dass die Letzten als Erste am Zielort ankommen.

Von Guido Meyer | 21.07.2020
Die Raumsonde Voyager 1, die auf diesem Bild zu sehen ist, ist seit knapp vier Jahrzehnten unterwegs und mittlerweile im interstellaren Raum angekommen.
Voyager 1 war die erste Raumsonde, die den interstellaren Raum erreicht hat (picture-alliance / dpa/ NASA / JPL-Caltech)
Die Reise zu einem anderen Stern wird den Reisenden ein großes Opfer abverlangen. Wer auf der Erde ins Raumschiff einsteigt, wird es nie wieder verlassen.
"Angenommen, die interstellare Reise dauert ungefähr hundert Jahre. Das entspräche etwa drei Generationen. Die erste Generation wird gestorben sein, bevor die hundert Jahre vorbei sind. Denn wer die Reise mit 20, 30 oder 40 beginnt, wird ihr Ende nach hundert Jahren nicht mehr erleben. Für diese Generation ist buchstäblich der Weg das Ziel."
Riesige Distanzen überwinden kostet Zeit
Arlon Andrews ist der Gründer der Ideenfabrik SIGMA in Texas, die unter anderem die Obama-Administration in Wissenschaftsfragen beraten hat. Eine hundertjährige Reise im Mehrgenerationenraumschiff - geht das nicht schneller? Leider nein.
Die ewige Reise
Im Jahr 2011 galt es, ein halbes Jahrhundert bemannte Raumfahrt zu feiern. Weiter als bis zum Mond haben es die Menschen in dieser Zeit nicht gebracht, da denkt die NASA schon an ferne Sonnensysteme. Für die lange Reise dorthin bräuchte man Schiffe, die mehrere Generationen von Raumfahrern beherbergen.
"Das Problem beim interstellaren Raumflug sind die interstellaren Distanzen. Sterne sind wahnsinnig weit weg. Im Weltall ist alles weit weg. Es sind schon die Planeten weit weg, aber die Sterne noch viel mehr. Um diese extremen Distanzen zu überbrücken, dauert’s. Es braucht schlicht und einfach Zeit."
Bestätigt der Astronom und Buchautor Florian Freistetter. Einer unserer nächsten Nachbarn, Barnards Stern, ist sechs Lichtjahre entfernt. Mit dem Tempo unserer jetzigen Raumschiffe bräuchten wir mindestens 12.000 Jahre dorthin.
Abwarten, bis die Technik besser ist
Also - nichts wie los, um irgendwann überhaupt mal irgendwo anzukommen? Im Gegenteil: Es ist gut, dass noch keine Generation die Erde verlassen hat. Denn es gibt eine Formel, die besagt, dass es besser wäre, noch ein wenig zu warten.
"Vor 100 Jahren war es extrem schwierig, zum Beispiel von Europa nach Amerika zu kommen. Da musste man sich in ein Schiff setzen. Das hat Wochen gedauert. Heute kann ich mich in ein Flugzeug setzen und bin in ein paar Stunden dort. Das heißt, unsere Reisegeschwindigkeit hat sich wahnsinnig erhöht. Und prinzipiell ist es nicht absurd, davon auszugehen, dass wir - auch was Raumfahrt angeht – in Zukunft deutlich schneller unterwegs sein werden, als dass wir es jetzt sind."
Nachzügler überholen Pioniere
Das heißt: Die Ersten werden womöglich die Letzten sein – oder zumindest die Zweiten.
"Wenn wir jetzt ein Raumschiff starten würden, dann hat das die Geschwindigkeit, mit der wir Raumschiffe jetzt bauen können. Wenn das Raumschiff aber 100 Jahre unterwegs ist, haben wir vielleicht schon viel, viel schnellere Raumschiffe gebaut, die dieses zuerst gestartete Raumschiff schon überholen könnten. Und wenn beide das gleiche Ziel haben, dann werden die Nachzügler die Vorangeflogenen überholen und werden am Ziel ankommen, bevor die Anderen ankommen."
Besuch bei den Sternen: Lange Wege für interstellare Raumsonden
Seit die Raumsonde "New Horizons" voriges Jahr an Pluto vorbeigeflogen ist, haben alle klassischen Planeten des Sonnensystems Besuch von der Erde erhalten. Denn beim Start von "New Horizons" war Pluto ja noch ein Planet. Also, auf zu neuen Ufern: Inzwischen diskutieren Wissenschaftler und Raumfahrtingenieure über nächste mögliche Ziele.
Irgendjemand dürfte nach hundert Jahren also ganz schön dumm gucken – wahrscheinlich die, die als erste gestartet sind, während ihres Fluges aber vom technischen Fortschritt überholt wurden. Dabei hätten sie es wissen – und berechnen können.
"Und genau hier kommt die Mathematik ins Spiel. Wie schnell kann ein Raumschiff von A nach B fliegen? Wie schnell könnte sich unsere Reisegeschwindigkeit im Lauf der Zeit entwickeln? Und kann dann mit entsprechender Mathematik herausfinden, wann der optimale Zeitpunkt wäre, loszufliegen, also wie lange man warten soll auf den Fortschritt, bevor man tatsächlich losfliegt."
Rechnung mit vielen Unbekannten
Theoretisch kann man mit einer Formel berechnen, wie lange man mit der Reise am besten noch abwartet, bis noch schnellere Raumschiffe gebaut werden. Doch dummerweise ist das eine Formel mit mindestens drei So-ziemlich-Unbekannten. Denn wie genau kennt man die Werte nochmal, mit denen man die Formel bestücken müsste?
"Gar nicht. Wir können nur abschätzen, wie schnell sich unsere Reisegeschwindigkeit im All verändern wird. Wir können aus der Vergangenheit abschätzen, wie die Zukunft sein wird. Aber es bleibt doch nur eine Schätzung."
Für Barnards Stern heißt das: Angenommen, die Reisegeschwindigkeit verdoppelt sich alle hundert Jahre, dann könnte – und sollte – die erste Generation in genau 637 Jahren aufbrechen – nicht früher. Denn dann würde ihre Reisezeit nur noch rund 150 Jahre betragen. Das wäre zwar immer noch zu lange für eine einzige Generation – aber es wäre sowieso nur ein Versuch, ein One-Way-Ticket in die Ungewissheit.
"Das wird ein Experiment sein, dessen Ausgang nur die kennen, die dabei sind. Wir auf der Erde werden von dem Ausgang dieses Experiments gar nix mitbekommen."