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Intervention im Irak zu riskant und nicht überschaubar

Durak: Das Treffen des amerikanischen Präsidenten mit dem saudischen Botschafter in den USA diese Nacht hat wieder deutlich gemacht: Es fehlt der amerikanischen Regierung weiterhin an äußerer Unterstützung für den bisherigen harten Kurs - wenn auch nur verbal - gegenüber dem Irak. Nicht zu vergessen ist auch der zunehmende Widerstand im eigenen Land. Was uns betrifft, immer häufiger warnt die Bundesregierung, der Bundeskanzler, der Verteidigungsminister, gerade wieder erst andere Mitglieder ebenso, sie warnen vor einer Militärintervention im Irak und lehnen eine deutsche Beteiligung ab. Liegt es am Wahlkampf oder daran, dass es Anzeichen dafür gibt, dass Präsident Bush seinen Plan gegen jede internationale Kritik wahrmachen will? Diese Frage geht an den Bundesaußenminister Joschka Fischer.

28.08.2002
    Fischer: Für mich ist diese Debatte nicht erst jetzt losgetreten worden, sondern ich trage die Argumente, die Sie im übrigen alle auch in der amerikanischen Diskussion finden, vor allen Dingen bei engen Mitarbeitern wie den früheren Sicherheitsberater des Vaters des jetzigen Präsidenten Brent Scowcroft, aber teilweise auch von Außenminister Baker und anderen. Wir sind in großer Sorge, dass wenn hier unbedachte Schritte gemacht werden, wenn nicht zu Ende gedacht wird, wir nicht ein Mehr an Frieden und Stabilität im Nahen Osten bekommen, sondern das Gegenteil, und das in einem hochgefährlichen Umfeld. Zudem sind die Probleme der Regionalkonflikte Indien, Pakistan, um Kaschmir ebenfalls alles andere als zufriedenstellend gelöst, und in Afghanistan haben wir auch sehr große Probleme vor uns, die bewältigt werden müssen, so dass wir insgesamt sagen müssen: Bei einer nicht veränderten Bedrohungsanalyse bezogen auf den Irak halten wir einen mit militärischer Intervention herbeigeführten Regimewechsel für hoch riskant und in den Folgen kaum überschaubar, und deswegen lehnen wir ihn ab.

    Durak: Die Amerikaner begründen ja ihr Misstrauen und ihre Entschlossenheit gleichzeitig gegenüber dem Irak mit seiner konkreten, vor allem auch atomaren Bedrohung. Sehen Sie diese Bedrohung auch?

    Fischer: Also Cheney hat nicht gesagt, dass eine konkrete Gefahr vorliegt, sondern er hat gesagt: Wir müssen jetzt handeln, solange er noch über keine atomaren Potentiale verfügt. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Ich meine, die Bedrohungsanalysen, die in der internationalen Staatengemeinschaft abgeglichen werden, machen klar, dass das Containment - es ist ja keine Beschwichtigungspolitik, die gemacht wurde, sondern eine Eindämmungspolitik seit dem Golfkrieg - funktioniert hat. Die regionalen Nachbarn von Saddam Hussein bestätigen das. Sie sehen nicht - und sie wären die ersten, die sich zu fürchten hätten - ein Anwachsen der Gefahr, so dass es an der Bedrohungsanalyse keine Veränderung gibt. Im übrigen ist Saddam Hussein, sein Regime, eine blutige Diktatur, verpflichtet, wieder die Waffeninspektoren der Vereinten Nationen ins Land zu lassen. Auch da ist sich die internationale Staatengemeinschaft einig. Nicht einig allerdings ist sie sich mit der Position der amerikanischen Regierung, Saddam Hussein mit einer Militärintervention von der Macht zu entfernen. Das ist genau die Differenz, und an diesem Punkt findet jetzt die Meinungsbildung in den USA statt, und da bedarf es der Positionierung der Partner, weil wir die direkt Betroffenen davon sein werden. Wenn der Nahe Osten in die Krise gerät oder gar explodiert - Europa liegt da, wo es liegt -, wird das direkt unsere Sicherheit betreffen.

    Durak: Zu den Diskutanten in der amerikanischen Regierung gehört auch Verteidigungsminister Rumsfeld. Er hat in der Nacht auch einen Alleingang der USA nicht ausgeschlossen. Er sagt, es sei wichtiger, notfalls allein das Richtige zu tun als Übereinstimmung zu erzielen. So wird er jedenfalls zitiert. Wie viel Ohrfeigen braucht Europa eigentlich noch, um zu erkennen, dass es mit unserer Partnerschaft im Fall Irak nicht so weit her ist?

    Fischer: Also die USA haben die militärische Macht zum Alleingang. Das ist überhaupt keine Frage. Aber ich meine, wenn ich auf die Welt schaue, auf unsere Sicherheitslage - und damit meine ich den ganzen Westen -, dann sehe ich die größte Gefahr des internationalen Terrorismus, die mitnichten abgetan werden kann. Unsere Hauptsorge ist, dass sich die regionalen Konflikte in Kaschmir, Kaukasus, Naher Osten, sich nicht mit dem internationalen Terrorismus verbinden. Dabei ist die Antiterror-Koalition von überragender Bedeutung. Selbst die mächtigste Macht kann diesem Kampf nicht überall gleichzeitig sein, hören und sehen, und das ist die wichtigste Voraussetzung, um erfolgreich diese tödliche Gefahr besiegen zu können. Alles, was diese Koalition stärkt, muss getan werden. Was sie schwächt, sollte unterlassen werden. Das ist unsere Position. Aber die USA haben die militärische Macht, allein zu handeln. Nur gleichzeitig sind sie natürlich eine offene Gesellschaft, finden jetzt ihre Position, und da ist das Wort der Partner von Gewicht. Deswegen äußern wir uns auch, und ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass ich bei der Diskussion im Rahmen der Europäischen Union in den letzten Monaten, was die Analyse betrifft, keine großen Differenzen festgestellt habe. Das muss man ganz diplomatisch so formulieren.

    Durak: Vorausgesetzt wir, Deutschland, scheitern, mit unseren Bemühungen, die Amerikaner von diesem einseitigen Militärschlag abzubringen. Das könnte doch nicht ohne Folgen, auch auf die transatlantischen Beziehungen bis hin zur NATO bleiben, oder?

    Fischer: Also die transatlantischen Beziehungen sind ein Eckpfeiler für Frieden und Stabilität im 21. Jahrhundert - das muss uns immer klar sein -, und zwar für beide Seiten, es ist keine einseitige Sache. Die Vereinigten Staaten - und ich halte da gar nichts von Antiamerikanismus - sind für Frieden und Stabilität in der Welt unverzichtbar, auch in Europa und in vielen anderen Orten - ich habe dies konkret in den vergangenen vier Jahren erlebt. Dennoch: Wenn es Differenzen gibt, müssen sie diskutiert werden. So war das im übrigen auch in der Vergangenheit. Aber die Stabilität im transatlantischen Bündnis ist meines Erachtens unverzichtbar, und sie ist auch belastbar. Da sind Differenzen in der Familie, die diskutiert werden müssen. Ein Bündnis freier Demokratien zeichnet sich auch durch das freie Wort aus, aber die Grundlage, etwa der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus, unser gemeinsames Engagement in Afghanistan, an vielen anderen Orten, auch im Bündnis, ist damit nicht in Frage gestellt. Nur ich betone nochmals: Ich sehe die Entwicklung, die Diskussion mit großer Sorge, da wir hier auf einen Präventivkrieg hinauslaufen, und dieser Präventivkrieg eine Frage aufwirft, wo ich mir alles andere als sicher bin, dass sie in den USA zu Ende gedacht ist, denn wenn die USA - die Mittel haben sie dazu - bis Bagdad gehen und Saddam Hussein von der Macht entfernen, jenseits der Risiken, die in diesem Krieg entstehen, jenseits der offenen völkerrechtlichen Frage, hieße das, dass sie dann die Gesamtverantwortung für Frieden und Stabilität im Nahen Osten tragen, und das ist eine sehr schwierige Verantwortung. Das hieße auch, dass sie diese Verantwortung auf Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte wahrnehmen müssten, und das ist der eigentliche Punkt. Das liefe auf eine Neuordnung des Nahen Ostens hinaus, und ich habe dicke Fragezeichen, dass in Washington, in den USA, diese Konsequenz zu Ende gedacht und diskutiert wurde. Und da kommen meine Hauptsorgen. Wir sind direkte Nachbarn des Nahen Ostens. Insofern ist jeder unbedachte Schritt, der in die falsche Richtung führt, etwas, was uns direkt und unmittelbar, kurz- und langfristig betrifft, und deswegen haben wir auch unsere Position klargemacht, dass wir falsche Schritte ablehnen und uns daran nicht beteiligen.

    Durak: Ein Irak wäre ein solch unbedachter falscher Schritt?

    Fischer: In den USA wird das unter dem Gesichtspunkt diskutiert: die riskanteste Entscheidung der USA seit Vietnam. Das ist die Perspektive in den USA, und wenn man die sich zueigen macht und gleichzeitig weiß, um welche Risiken es sich dort handelt, wie hochgefährlich diese Region ist, wie wenig die anderen Probleme bisher gelöst sind und welche Risiken auch da noch drinstecken, dann kommt man zu einer Abwägung und zu einer anderen Prioritätensetzung, und dies haben wir der amerikanischen Seite mehrmals wissen lassen. Das ist unsere Position, unsere Hauptsorge.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio