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Interview der Woche
"Langfristziel muss eine europäische Armee sein"

Der scheidende Heeresinspekteur Bruno Kasdorf mahnt eine bessere Ausstattung der Truppen an. Kasdorf sagte im DLF-Interview der Woche, neue militärische Herausforderungen erforderten weitere Anschaffungen. Zudem sprach er sich dafür aus, dass ein NATO-Partnerland den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo übernehme.

Bruno Kasdorf im Gespräch mit Rolf Clement | 21.06.2015
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    Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Rolf Clement: Herr General Kasdorf, Sie scheiden im nächsten Monat aus dem Amt, und bei den Würdigungen, die dieser Tage über Sie gemacht werden, habe ich gehört, Sie seien ein Mann der klaren Sprache, der weiß, was das Heer braucht. Was braucht das Heer?
    Bruno Kasdorf: Das Heer braucht zunächst Kontinuität, und das Heer braucht auch eine hundertprozentige Ausstattung.
    Clement: Das Letztere hat es ja nicht.
    Kasdorf: Nein. Wir haben ja eine ganz unterschiedliche Entwicklung seit 1990 hinter uns, und die Prioritäten, die gesamtstaatlichen Prioritäten, waren zunächst erst mal nicht bei uns Soldaten, sondern verständlicherweise bei Dingen, wie Wiedervereinigung, Weltwirtschaftskrise, Eurokrise, ausgeglichener Haushalt. Und als wir im Jahr 2010 an die Neuausrichtung herangingen, unter anderem auch gezwungen durch die Aussetzung der Wehrpflicht, hatten wir, nachdem wir alles durchgerechnet haben, das Ergebnis, dass wir nur eine Ausstattung von 70 bis 80 Prozent leisten können und entsprechend ist dann die Struktur geplant worden. Wir haben jetzt eine Lageänderung, die 100 Prozent erfordert; deshalb mein Wunsch, dass das Heer auch zu 100 Prozent ausgestattet wird.
    Clement: Wie viel brauchen Sie und wie lange dauert das?
    Kasdorf: Na ja, ich denke, das werden wir nicht kurzfristig bekommen können – dafür haben wir auch die industriellen Kapazitäten gar nicht –, sondern ich denke eher in einem Zeitraum von zehn Jahren, bis 2025, und dann sollte das hoffentlich möglich sein. Und mit dieser Perspektive ... wir haben ja jetzt schon eine entsprechende Trendwende – die auch eingeleitet wurde durch die Ministerin – in die richtige Richtung, und den Weg müssen wir konsequent fortsetzen.
    Clement: Haben Sie so einen Plan "Heer 2025" in der Schublade, den Sie Ihrem Nachfolger übergeben?
    Kasdorf: Nein, es gibt in dem Sinne keinen Plan "Heer 2025". Wir haben ja alle Grundlagen jetzt schon verfügbar. Wir wissen ja ganz genau, wenn wir an dieser Struktur festhalten, was wir an materieller Unterlegung brauchen. Das ist eine einfache Rechenaufgabe.
    Clement: Sie haben das erklärt, dass aufgrund von anderen Prioritäten in der Politik die Bundeswehr in diese Situation gekommen ist – die Unterfinanzierung der Streitkräfte wird ja schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten beklagt. Ich erinnere mich daran, dass der damalige Verteidigungsminister Scharping eine Studie gemacht hat mit fünf Milliarden Mark Unterfinanzierung pro Jahr damals noch. Da hat sich ja nicht sonderlich viel getan. Hat die Politik Sie nicht ausreichend unterstützt, die Bundeswehr insgesamt, in dieser Phase?
    "Schwerpunkte erst mal woanders gesetzt"
    Kasdorf: Ja, ich habe das ja gerade schon einmal betont, dass ich schon Verständnis und wir auch alle Verständnis dafür gehabt haben, dass die Schwerpunkte erst mal woanders gesetzt wurden. Wir haben mit Blick auf die Auslandseinsätze ja durchaus die Unterstützung erfahren, die notwendig war. Und wir als Soldaten haben schon den Anspruch hier in Deutschland, als Angehörige einer Hochtechnologienation, dass wir dann auch wirklich das Beste bekommen, was die Nation bereitstellen kann. Und das Gerät haben wir für die Auslandseinsätze in Afghanistan, auf dem Balkan und dergleichen dann durchaus auch erhalten – das ist absolut topp.
    Clement: War die Bundeswehr zu stark auf solche Missionen, wie in Afghanistan, also auch friedenserhaltende Missionen, ausgerichtet jetzt, wo wir plötzlich merken, auch Themen der Landes- und Bündnisverteidigung sind wieder auf der Tagesordnung?
    Kasdorf: Ja, wir haben in der Tat den Schwerpunkt zunächst erst mal dort hingelegt, und bei der Neuausrichtung ist das auch das gewesen, was die Struktur bestimmt hat, auch wenn wir Landes- und Bündnisverteidigung weiter im Kopf haben. Aber wir hatten auch die Vorstellung, dass wir deutlich längere Vorlaufzeiten haben. Und jetzt haben wir gesehen, das kann sich alles ganz schnell ändern, und darauf muss man sich einstellen.
    Clement: Diese Woche war gerade eine Übung der NATO in Polen – "Speerspitze". Wie ist Ihre erste Bilanz dieser Übung? Hat alles funktionier? Wo liegen noch Defizite, wo muss man noch nachsteuern?
    Kasdorf: Also zunächst, es war mal erstaunlich, was die geleistet haben in dieser kurzen Zeit. Das sind ja acht Nationen, die sich beteiligt haben, die haben jetzt gemeinsam „das Gefecht der verbundenen Waffen" – so haben wir das früher gesagt, heute würden wir sagen „Operation der verbundenen Kräfte" – erfolgreich demonstriert. Das hat mich schon beeindruckt, wie das möglich war, vor allen Dingen, weil das auch auf ziemlich niedriger Führungsebene geschah. Aber wir haben sicherlich auch noch das ein oder andere an Interoperabilitätsherausforderung – ich nenne mal die gemeinsamen Funkgeräte, aber das ist ein Thema, an dem NATO auch schon arbeitet. Wenn ich sehe, wo wir herkommen, dann sind da auch Fortschritte zu erkennen, und da bin ich auch zuversichtlich.
    Clement: Also Sie haben keinen, in dieser Woche entstandenen, zusätzlichen Nachsteuerungsbedarf entdeckt?
    Kasdorf: Nein. Ich bin eher erstaunt, wie gut es gelungen ist, diese Kräfte innerhalb von fünf Wochen zusammenzuführen, um eine solche Übung dann erfolgreich auszuführen.
    Clement: Aber gerade das Heer hat natürlich aus vielen Standorten das Material zusammensuchen müssen, zusammenführen müssen, um diese Übung zu gewährleisten. Das bedeutet doch, dass zurzeit im Heer an anderen Stellen die Ausbildung nicht so stattfinden kann, wie Sie sich das wünschen?
    Kasdorf: Das ist richtig. Und das ist halt diese mangelnde Ausstattung, wo ich ja gesagt habe, wir haben uns konzentriert auf die Einsätze und wir haben viele Dinge nicht zu 100 Prozent. Und wenn man dann sich einer solchen Herausforderung stellt, wie dieser schnellen Eingreiftruppe oder Speerspitze, dann bedarf es wieder der eindeutigen Schwerpunktbildung und Konzentration. Und das andere erfordert jetzt das Nachsteuern, das Kaufen, das Anschaffen und das Schließen der Lücken.
    Clement: Wenn wir jetzt sagen, Material brauchen Sie mehr, als Sie jetzt zurzeit haben, wie sieht es denn beim Personal aus beim Heer? Bekommen Sie die Leute, die Sie wollen in ausreichender Anzahl? Wie ist die Entwicklung jetzt, zwei Jahre nachdem die Wehrpflicht ausgesetzt ist?
    "Weltklasseheer"
    Kasdorf: Ausgesprochen positiv. Also viele glauben mir das nicht, wenn ich das darstelle, aber es ist tatsächlich so, und zwar ganz unabhängig von den jeweiligen Dienstgradgruppen. Man könnte ja annehmen, bei den Offizieren tun sie sich ein bisschen leichter und bei den Mannschaftssoldaten schwerer – das ist aber nicht der Fall. Wir haben bei den Offizieren im Schnitt sechs Bewerber auf einen freien Dienstposten. Bei den Feldwebeln ist das Verhältnis 3,5/4 zu Eins und bei den Mannschaften haben wir immer noch 2,5 zu Eins, sodass wir unsere Reihen ganz gut füllen können, auch wenn es um die Qualität geht, und das ist ja auch wichtig. Und gerade unsere Menschen machen wirklich den Unterschied. Das ist mir noch viel wichtiger, als das Material. Und wenn ich die betrachte, was die jeden Tag leisten, was sie auch in den Auslandseinsätzen geleistet haben, was sie auch im internationalen Vergleich leisten, dann sind wir dort so aufgestellt, dass diese Soldaten wirklich auch international Ihresgleichen suchen. Deshalb spreche ich auch ganz gerne von einem "Weltklasseheer". Viele gucken mich an und sagen: 'Wie verträgt sich das denn dann mit der nichtvorhandenen Vollausstattung?' Dann verweise ich immer darauf, dass ich sage: Man muss es einfach mal auch im Vergleich sehen. Und im Vergleich stehen wir schon ganz schön gut da.
    Clement: Wenn wir jetzt noch mal auf das Jahr 2025 schauen und die demografische Entwicklung in Deutschland: Wenn Sie ein bisschen prognostisch denken, glauben Sie, dass das so bleibt oder haben Sie die Befürchtung, dass da doch die Bundeswehr in der Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern in Deutschland in Probleme kommen kann?
    Kasdorf: Erst mal, denke ich, sind wir auf einem ganz guten Weg. Die Voraussetzungen für uns, bei den jungen Menschen auch gut anzukommen, sind wirklich gut. Wenn wir über so etwas wie Betriebsklima sprechen, denke ich, haben wir inzwischen in den Streitkräften eine Situation, dass man sich richtig wohlfühlen kann. Als ich 2012 das Heer übernahmen, habe ich gesagt: 'Ich wünsche mir, dass jeder Soldat gerne zum Tor, zum Kasernentor, hereinkommt', und in der Masse der Verbände, der Einheiten, haben wir das auch erreicht. Dieses Klima, "Ich bin angenommen", „Ich fühle mich wohl", das ist so der erste entscheidende Baustein, dass wir Menschen wirklich anziehen und dann auch an uns binden können. Da kommt hinzu, dass der Dienst abwechslungsreich gestaltet sein muss. Und bei den Möglichkeiten, die wir inzwischen haben in der Ausbildung, bei Übungen, beispielsweise mit Simulationen, das ist auch etwas, was den Dienst wirklich attraktiv gestaltet. Abwechslungsreich ist auch, wenn man häufiger mal eine andere Aufgabe zugeteilt bekommt. Das können wir gerade jetzt auch bei unseren Mannschaften durchaus gewährleisten, weil sie wesentlich länger bei uns sind und können sie dann wesentlich breiter auch aufstellen in der Ausbildung und in den Fähigkeiten. Und dann halte ich es schon für wichtig, dass wir uns auf den Errungenschaften nicht ausruhen, sondern dass wir tatsächlich auch diese Attraktivitätsagenda nach vorne bringen. Da sind die Schwerpunkte eindeutig und auch richtig gesetzt, weil wir in der Tat auch eine schärfere Wettbewerbssituation auf dem Arbeitsmarkt erwarten und in zehn Jahren das sicherlich noch mal deutlich schwieriger wird als heute, die Menschen in der Anzahl und auch dann natürlich in der Qualität für uns zu gewinnen.
    Clement: Sie haben das Betriebsklima angesprochen. Das nennt man bei der Bundeswehr auch "Innere Führung". Das wird ja auch immer wieder diskutiert: 'Kann man das so halten?', 'Ist das noch die richtige Form des miteinander Umgehens?', 'Muss das fortgeschrieben werden?'. Wie ist Ihre Position dazu?
    Kasdorf: Ich finde, das ist eine ganz große Errungenschaft, diese "Innere Führung", die mich ja nun 42 Jahre begleitet hat und in unterschiedlicher Ausprägung. Und wenn ich an "Innere Führung" denke, dann ist es zunächst erst einmal auch eine Auseinandersetzung mit unserer Demokratie, mit unserem Staatswesen und mit unseren Werten. Es kommt immer wieder vor, dass die Soldaten über unvergängliche soldatische Tugenden sprechen, wie Mut, Tapferkeit und ich könnte das jetzt fortsetzen, die müssen aber immer gebunden sein auch an die Werte, die in unserem Grundgesetz formuliert sind, und das sind ja tatsächlich die Errungenschaften. Und dieses auch immer wieder deutlich zu machen, auch wenn es beispielsweise um Traditionspflege geht, das ist eine ganz wesentliche Aufgabe des militärischen Führers und das muss auch jeder Soldat verstehen, und dann leitet es ihn auch durch den Dienst. Deshalb bin ich den jungen Offizieren in Hamburg durchaus dankbar für den Beitrag und dass sie sich einbringen in die Diskussion. Es ist aber nicht so, dass ich das, was sie jetzt von sich geben, wirklich unterschreibe, sondern da, denke ich, müssen sie tatsächlich noch mal tiefer drüber nachdenken. Da stehen wir Älteren natürlich auch gerne zur Diskussion bereit.
    Clement: Da gibt es eine Gruppe von jungen Leutnanten, die ein Buch geschrieben haben, mit verschiedenen Positionen, im Umfeld der Bundeswehruniversität in Hamburg. Und der eine oder andere nimmt da gerade das Prinzip der Inneren Führung unter anderem mit der These aufs Korn: 'Zunächst einmal müssen wir das Militärhandwerk lernen und alles was politisch sich da herumrankt, ist eigentlich nicht ganz so wichtig'. So etwas dürfte doch in der Bundeswehr eigentlich keinen Platz haben?
    "Soldatenberuf ist auch ein immanent politischer Beruf"
    Kasdorf: Nein, es hat vor allen Dingen keinen Platz, wenn man das wirklich leben würde – das kann nicht sein. Gerade der Soldatenberuf ist auch ein immanent politischer Beruf. Auch hier haben wir ja aus der Geschichte gelernt. Die Weimarer Zeiten, wo die Reichswehr Armee oder Staat im Staate war, die muss wirklich vorbei sein. Wir gehören zu diesem Land, wir gehören zu dieser Gesellschaft. Und mir ist es schon wichtig, dass jeder einzelne Soldat auch genau weiß, was er zum Gemeinwesen durch seinen Dienst beiträgt und wie das insgesamt verortet ist.
    Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk heute der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf. Wenn wir da noch einmal nachfragen in dem Punkt. Sehen Sie hier einen Trend unter den jungen nach-wehrpflichtig Einberufenen, dass die eher mit solchen nicht ganz auf Linie liegenden Ansichten kommen oder ist das eher ein Ausbildungsmangel?
    Kasdorf: Hier vermute ich eher einen Ausbildungsmangel, ein Defizit, das nicht korrigiert wurde bisher. Und das hat auch weniger was mit der nicht mehr vorhandenen Wehrpflicht zu tun, sondern hier geht es ja tatsächlich um junge Offiziere, die auch während der Zeit der Wehrpflicht schon über die Offizierbewerberprüfzentrale in Köln dann den Weg in die Streitkräfte gefunden haben. Nein, hier bedarf es tatsächlich noch mal der eingehenden Ausbildung, der Diskussion und das Deutlichmachen, worauf es in der Bundeswehr wirklich ankommt.
    Clement: Wir haben gerade schon über die sogenannte "Speerspitzen-Übung" in Polen gesprochen. Nun sind in dieser Woche auch die Missionen im Kosovo, vor dem Libanon und in Mali verlängert worden, wo die Bundeswehr sich beteiligt. Wenn Sie aus der Sicht des Heeres das alles betrachten, diese Einsätze – Afghanistan ist auch immer noch ein Thema –, diese Übung, ist das für das Heer eine Überdehnung?
    Kasdorf: Nein, wir können das leisten. Aber es ist immer etwas, was natürlich den Gesamtablauf beeinträchtigt und uns auch fordert. Und man kann natürlich darüber sprechen: Ist es tatsächlich im Kosovo noch angesagt, dass wir weiterhin Soldaten schicken? Aber ich weiß auch, dass es dort durchaus noch kritische Gebiete gibt, die tatsächlich die Anwesenheit noch erforderlich machen. Ob wir das immer als Deutsche machen müssen, da kann man natürlich ein Fragezeichen dran machen, man kann auch noch mal überlegen, wie gestalten wir dort die Arbeitsteilung im Bündnis oder im europäischen Rahmen auch mal anders.
    Clement: Aber da haben Sie keine konkreten Wünsche?
    Kasdorf: Ich habe da keine konkreten Wünsche, weil wir das durchaus leisten können. Und das Heer ist auch nicht in der Situation, dass es überdehnt wäre.
    Clement: Wenn Sie jetzt eine Bilanz ziehen der Zeit, wo Sie als Inspekteur des Heeres gearbeitet haben, vorher waren Sie stellvertretender Inspekteur, sind also relativ lange hier im Kommando Heer tätig gewesen, was ist das, was Sie mitnehmen? Wie beurteilen Sie das Heer 2010 und 2015?
    "Weltklasseheer"
    Kasdorf: Ich mache mal eine entsprechende Überschrift: Ich hatte ja von einem "Weltklasseheer" gesprochen. Davon bin ich wirklich überzeugt, weil ich nun auch viel in internationalen Verwendungen war. Und wir haben auf dem Weg, die Qualität weiter anzuheben, erhebliche Fortschritte gemacht, auch noch mal in den letzten fünf Jahren. Wir haben mit der neuen Struktur Elemente eingeführt, die uns wirklich vorher fehlten. Ich nenne beispielsweise die Lotsen für traumatisierte oder verwundete Soldaten, ich nenne auch die Abteilungen Einsatz in den Divisionsstäben oder die Ausbildungsabteilungen in den Brigadestäben. Weil uns damit die Möglichkeit gegeben wird, wenn wir so etwas haben, wie jetzt in Afghanistan die Ausbildungsunterstützung zu betreiben, auf Personal zurückgreifen, das einmal, erfahren ist, den entsprechenden Dienstgrad hat und ich nicht auf meine Bataillonskommandeure und Einheitsführer zurückgreifen muss dafür und dann quasi die Soldaten sich selbst überlassen – das war bisher durchaus die Situation. Ein Riesenschritt nach vorne ist, dass der Einheitsführer künftig Major sein wird. Das ist nicht so, dass damit die Offiziere schneller und eher befördert werden, aber nach einer siebenjährigen Ausbildung zum Offizier war dann die Zeit, die verblieb, um dann als Hauptmann Einheitsführer zu werden, sehr kurz. Jetzt ist das im Lebensabschnitt ein bisschen später angesiedelt, und dadurch haben wir dann bis zu drei Verwendungen, bis er eine Einheit übernimmt. Er kann Erfahrungen sammeln und dann steht er auch mindestens noch mal drei Jahre. Da verspreche ich mir – und das ist eigentlich fast eine Binse – noch mal einen deutlichen Sprung in der Qualität nach vorne. Wir haben das in der Vergangenheit immer wieder bedauert, dass wir unsere Chefs viel zu kurz in der Funktion hatten. Also das ist auch so ein wirklicher großer Schritt nach vorne. Es ist auch eine Errungenschaft in der Struktur – und ich weiß, dass darüber auch immer wieder diskutiert wird –, dass wir eben schon nahezu die gesamte Palette an Fähigkeiten weiter bereithalten, auch wenn es teilweise dünn wird, weil damit vor allen Dingen die kleineren Nationen auch die Möglichkeit haben, sich wirklich anzukoppeln und damit auch die Tiefe beizutragen. Und da haben wir inzwischen in der multinationalen Kooperation ganz gute Beispiele. Was ist mit Blick auf Struktur? Wenn ich die Ausbildung anschaue, dann haben wir eine deutliche Zentralisierung in der Offizier- und Unteroffiziersausbildung vorgenommen, mit dem ganz großen Vorteil, dass wir diejenigen, die besonders befähigt sind, im Heer auszubilden, in diesen Einrichtungen zusammenfassen können und die, sich dann quasi als Multiplikatoren erweisen, auch indirekt die Qualität des Heeres heben. Und da gibt es viele erfreuliche Entwicklungen. Ich war jetzt gerade an der Unteroffiziersschule in Delitzsch, und wenn sie dann mit den Feldwebelanwärtern sprechen – und ich habe nicht einen einzigen gehört, der etwas anderes sagte –, die sagen: 'Das ist richtig Klasse hier', '... dass Bundeswehr so sein kann' und auch die Ausbilder sind sehr zufrieden, dann sind wir dort auf einem wirklich guten Weg.
    Clement: Sie haben gerade gesagt, "die internationale Verzahnung von Streitkräften" und "die internationale Kooperation" – man hat so ein bisschen den Eindruck, als ob das eher passiert, als geplant wird. Wünschen Sie sich einen internationalen NATO/EU-Plan, wo man sagt: Okay, wir machen das und ihr macht das und das machen wir zusammen und hier können wir gemeinsam arbeiten, also genau das, was Sie gerade beschrieben haben, dass das eine Keimzelle bei der Bundeswehr ist, die aber aufgefüllt wird durch Streitkräfte anderer Nationen in bestimmten Fähigkeiten?
    Kasdorf: In Ansätzen haben wir das inzwischen schon innerhalb der Allianz, wo sich also Ländern zusammengefunden haben, und gesagt haben: Wir machen das gemeinsam. Dieses Rahmenkonzept, was ja auch eine deutsche Initiative darstellt, das geht ebenfalls in diese Richtung. Wobei man natürlich auch bemerken muss, die NATO könnte, wenn die Länder – weil die NATO besteht ja nun aus unabhängigen Staaten –, wenn diese Mitglieder wirklich alle wollten, dass die Allianz eine entsprechende Rolle übernimmt, auch klare Vorgaben machen. Die Frage ist halt: Wie weit sind wir bereit, uns darauf einzulassen? Das ist so ein Aspekt. Auf der anderen Seite ist es so, dass ich unsere Rolle als Deutsche auch sehe, Europa voranzubringen. Und ich bin davon überzeugt, dass wir auch nur im europäischen Kontext letztendlich eine Zukunft haben. Und dann fängt es im Kleinen an. Und wir selber haben ein Konzept, wie wir das auch vorantreiben wollen, auch aus militärischer Sicht. Und dort haben wir auch die entsprechenden Maßnahmen ergriffen. Und wenn Sie sehen, wie weit wir auch in der Kooperation inzwischen sind mit den Franzosen, mit den Niederländern, wir sind jetzt auf einem sehr guten Weg auch mit den Polen, mit den Österreichern auch, ohne, dass die Öffentlichkeit das wirtlich immer wahrnimmt, und da geht es ja vor allen Dingen auch erst mal darum, die Vorstellungen, die Grundsätze anzugleichen. Und das machen wir beispielsweise auch über die gemeinsame Offiziersausbildung. Und mit Frankreich haben wir ja schon länger ein Programm, wo junge französische Offizieranwärter in Deutschland ausgebildet werden zum Offizier und umgekehrt junge Deutsche nach Frankreich gehen und dort quasi zum französischen Offizier ausgebildet werden – das erkennen wir gegenseitig an. Und das sind so Keimzellen, die sich dann einfach auch erweitern müssen. Diesen Weg werden wir auch mit den Niederländern gehen und den Polen auch. Das haben wir so vereinbart, neben der Integration von Großverbänden. Und wir haben da ja gerade mit den Niederländern in letzter Zeit gute Beispiele, wo große Teile des niederländischen Heeres inzwischen in das deutsche Heer integriert wurden. Ganz beeindruckend, da bin ich zuversichtlich. Das wird nicht über Nacht gehen, aber es ist dieses Langfristziel. Und das Langfristziel, denke ich, muss tatsächlich sein: europäische Armee.
    Clement: Nun beschreiben Sie ein Heer, das gut dasteht, auf der anderen Seite hören wir immer wieder von Mängeln bei Gewehren, bei Helmen – wie passt das zusammen?
    Kasdorf: Ja, man kann das natürlich an einzelnen Dingen festmachen. Erst mal ist es so, auch die Bundeswehr und das deutsche Heer ist natürlich eine menschliche Organisation, da gibt es glücklicherweise viel Licht, es gibt auch Schatten und deshalb muss man das auch wirklich differenziert sehen. Wir sind kein desolater Haufen, sondern wir sind schon eine beachtliche professionelle Organisation. Das mal so vorausgeschickt. Wenn ich jetzt über das Gewehr G36 etwas sage, ohne den ganzen Untersuchungen vorzugreifen, dann kann ich Ihnen nur sagen, wie ich das damals erfahren habe, als das G36 in die Truppe kam. Weil vorher hatte ich ja das G3 in der Hand und dann habe ich das G36 genommen und bin damit losgezogen und habe geschossen und dann habe ich erst mal den Eindruck gehabt: Deutlicher Sprung nach vorne, mit diesem Gewehr kann man gar nicht mehr daneben schießen. Das war mein Eindruck – und der Eindruck wird von der Masse meiner Soldaten im Heer geteilt. Ich habe jetzt kürzlich gerade das noch mal wieder thematisiert, und dann haben die mich mit großen Augen angeguckt und haben gesagt: 'Wir sind eigentlich sehr zufrieden mit dem Gewehr, das ist auch sehr zuverlässig'. Ja, das ist es. Wir wissen jetzt, da gibt es eine Streukreisaufweitung in dem Moment, wo es heißgeschossen wird, und das wird jetzt auch alles sauber untersucht und sicherlich auch abgearbeitet, aber das ist nicht etwas, was mich besonders beunruhigt. Und es ist auch so, dass ich ganz gut schlafen kann, unsere Soldaten auch mit dieser Waffe im Einsatz zu wissen, weil wir schon sehr früh, als wir mitbekommen haben, da könnte es Probleme geben, ja auch Gegenmaßnahmen ergriffen haben mit dem Waffenmix, mit dem Einbringen beispielsweise auch von Leuchtspurmunition, sodass man die Geschosse auch verfolgen kann. So, das zum G36. Und Gefechtshelme – gut –, da kann dann auch mal passieren, das eine Schraube locker ist – das ist relativ schnell im Griff gewesen. Auch etwas, wo ich sage: Das ist eigentlich kein Aufreger.
    Clement: Herr Kasdorf, was ist der Hauptsatz, den Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?
    Kasdorf: Der Hauptsatz ist, weiterhin insbesondere daran festzuhalten, dass wir eine Organisation von Menschen sind und dass Menschen einfach im Mittelpunkt zu stehen haben und von Menschen geführt werden – und zwar menschlich geführt.
    Clement: Herr Kasdorf, wir danken Ihren für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.