Dienstag, 23. April 2024

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Interview mit Günther Wallraff

Frank Capellan: Die Diskussion um die Äußerungen von Günter Grass, sie geht weiter, Sie haben es in den Nachrichten hören können, und auch wir wollen sie gleich fortführen im Gespräch mit dem Schriftsteller Günther Wallraff. "Herr Pfarrer Hinze sollte doch lieber darüber nachdenken, wie man Humanität verwirklicht, anstatt den anzugreifen, der Mißstände offen anspricht." Derart scharf reagierte Bundestags-Vizepräsident Burkhardt Hirsch, FDP, gegenüber dem Kölner Express auf Äußerungen von CDU-Generalsekretär Peter Hinze. Dieser hatte die Anmerkungen des Schriftstellers Günter Grass zur deutschen Ausländerpolitik als unqualifiziert zurückgewiesen. Hinzes Parteifreund Heiner Geißler hingegen zeigte gestern Abend hier bei uns im Deutschlandfunk Verständnis für die Äußerungen von Günter Grass.

Frank Capellan | 21.10.1997
    Heiner Geißler : Das, was Günter Grass artikuliert hat, berührt ein wichtiges Problem, nämlich eine steigende, zunehmende Ausländerfeindlichkeit, das hat es früher nicht gegeben. Früher mußte sich einer genieren, wenn sie über Ausländer schlecht geredet haben. Das ist jetzt enttabuisiert, und die Rechtsradikalen sind frech geworden. Das hängt damit zusammen, daß wir im Zusammenhang mit dem Asylkompromiß angefangen haben, die beiden großen Parteien, uns über die Ausländer zu streiten. Dann haben wir einen vernünftigen Kompromiß gefunden, das heißt, der Kompromiß war schon deswegen gut, weil er überhaupt gefunden worden ist, und jetzt fängt die Sache wieder an, jetzt wird mit dem Thema Ausländerkriminalität, Ausländerfeindlichkeit geführt. Ausländerkriminalität ist aber nichts anderes als eine statistische Lüge, und wenn wir da nicht aufpassen, dann wird ein Bevölkerungsteil gegen den anderen aufgehetzt. Insofern glaube ich schon, daß wir anläßlich dieser Preisverleihung eine breit angelegte Diskussion brauchen.

    Capellan : So weit der CDU-Politiker Heiner Geißler gestern abend hier im Deutschlandfunk. Und am Telefon begrüße ich nun einen Kollegen von Günter Grass, den Schriftsteller Günther Wallraf. Guten Morgen, Herr Wallraff.

    Wallraf: Guten Morgen.

    DLF: Herr Wallraf, nach der Kritik nun auch ein wenig Selbstkritik. Versöhnt Sie das?

    Wallraf: Nun, von Herrn Geißler ist man es gewohnt, er ist da so ein weißer Rabe im zum Teil sehr finsteren schwarzen Gefilde, und ich würde sagen, das ändert nichts daran, daß hier dieser Musterschüler Pfarrer Hinze im voraus einem Gehorsam doch sehr, sehr einfältig, anmaßend und gleichzeitig auch inkompetent etwas losgelassen hat, was auch eine bestimmte Tradition hat, das erinnert an Erhardts Beschimpfungen, es erinnert an Strauß, der Andersdenkende als Ratten und Schmeißfliegen bezeichnete und zuletzt sogar als Tiere, und da meine ich ist Grass doch zu danken, daß er überhaupt so eine Debatte eröffnet hat in einer Zeit, wo ja doch lange viele allzulange sich Zurückhaltung auferlegt haben oder im Elfenbeinturm verdunstet sind. Also es zeigt doch eigentlich nur das gebrochene Verhältnis, was heißt gebrochen, sie haben überhaupt kein Verhältnis zum Geist und erst recht nicht zu einer Tradition der Aufklärung, des Humanismus. Wenn man sich überlegt, daß Herr Kohl weder in Mölln noch in Solingen sich hat blicken lassen oder bei den Trauerfeierlichkeiten dabei war. Wenn man überlegt, daß der einzige Intellektuelle wohl, zu dem Kohl jemals ein Verhältnis gefunden hat, Ernst Jünger war, der nun den Krieg verherrlicht hat, dann braucht einen eigentlich nicht zu wundern, wenn jetzt solche Töne wieder angeschlagen werden. Aber ich finde gut, daß es eine breite demokratische Öffentlichkeit gibt, die sich da ja doch gegen wendet.

    Capellan: Und Sie hätten persönlich diese Kritik genauso geäußert wie Günter Grass?

    Wallraff: Nun, ich muß sagen, der Günter Grass hat eine bewundernswerte differenzierte Rede gehalten, wo er einmal als Literat auch das literarische Werk seines Kollegen gewürdigt hat, das war der Hauptteil der Rede, und sich dann, wenn man das nicht in der Paulskirche sagen kann, die ja auch in den letzten Jahren in einer Feierlichkeit erstarrte, da war es geradezu eine Verpflichtung, so einer Stätte der Aufklärung gegenüber, auch mal hier einige deutliche Worte zu sagen. Mein Gott, was hat er denn gesagt, Deutschland zum Wirtschaftsstandpunkt verkommen. Ja sehen Sie mal, die Politik der Bundesrepublik ist doch dazu da, vorrangig Wirtschaftsinteressen wahrzunehmen. Das war in der Iran-Politik so. Das ist - ich erinnere an das Strauß-Zitat: ein Land, das diese wirtschaftliche Aufbauarbeit geleistet hätte, hätte es nicht mehr nötig, sich an Auschwitz erinnern lassen zu müssen -, diese ganzen Pflichtlektionen, Vergangenheitsbewältigung, das wurde ja doch nicht weitgehend durchlebt, und wenn es um Menschenrechte ging, dann waren es meistens doch nur Lippenbekenntnisse, Sprechhülsen und -blasen der jeweiligen Politiker.

    Capellan: Herr Wallraff, in punkto Ausländerpolitik wird nun Günter Grass entgegengehalten, nirgendwo auf der Welt würden so viel Asylsuchende und so viel Bürgerkriegsflüchtlinge Schutz finden wie bei uns in Deutschland.

    Wallraff: Sehen Sie mal, alles ist relativ. Ein Schriftsteller, da gibt es eine Aufgabenteilung, ist verpflichtet, die Menschenrechte vorrangig zu reklamieren. Und wenn Sie sehen, das eine schließt das andere übrigens nicht aus, wenn Sie sehen, wie in Abschiebehaftanstalten Ausländer wirklich in einer Weise gnadenlos dort festgehalten werden wie Verbrecher, und wie man ihnen also Menschenrechte vorenthält, und wie dort auch ganz, ganz tragische Schicksale bis zu Selbstmorden hin sich entwickeln, dann ist es die Aufgabe eines Schriftstellers, der sich dem Humanismus, der Aufklärung verpflichtet fühlt, auch so etwas anzuprangern, zumal es um einen Kollegen geht, dessen ganzes Werk sich dem gewidmet hat. Ich bin selbst mit Yasar Kemal befreundet, ich kenne ihn gut, er hat immer wieder alles auf's Spiel gesetzt, alles riskiert und dafür auch Gefängnis in Kauf genommen. Und da ist es eigentlich für Günter Grass eine Verpflichtung, hier auch in Deutschland selbst kritische Töne anzuschlagen, das ist hoch anerkennenswert.

    Capellan: Sie haben sich ja in Ihren Büchern sehr oft in die Rolle von Türken versetzt, und Sie haben auch für die Rechte der Kurden gekämpft. Was würden Sie den konkret fordern von der Bundesregierung in punkto Türkeipolitik, Kurdenpolitik?

    Wallraff: Sehen Sie mal, Intervention und Proteste über alle sowohl geheimdiplomatischen wie auch öffentlichen Erklärungen, wenn es dort um permanente Menschenrechtsverletzungen geht. Jetzt ist wieder ein türkischer Menschenrechtler, gerade wie Yasar Kemal gesagt hat, wegen einer kritischen Meinungsäußerung im Fernsehen verhaftet worden, und über Jahre lang droht ihm jetzt erneut Gefängnis, zum Teil auch Folter. Dort ist Folter, Mißhandlung immer noch an der Tagesordnung. Dort wird jemand wegen seiner Sprache, seiner Kultur verfolgt, und das sind Zigtausende, da sind Menschen, die keine Lobby haben, über die nie jemand spricht, und hier wäre die Bundesrepublik, die ein ganz großes Gewicht hat, was die Türkei betrifft, und die nach wie vor Waffen, Heckler-&-Koch-Waffen, Panzer, dorthin liefert, verpflichtet, dann auch ihren Einfluß ganz massiv geltend zu machen und das passiert nicht. Das passiert ja höchstens als Pflichtübung oder auch um die Öffentlichkeit ein bißchen zu beruhigen. Aber, ich weiß, wie es in der Türkei aussieht. Selbst die Türkei hat doch jetzt souveräner reagiert als die Bundesregierung. Der Auslandssprecher der Türkei hat auf die Grass-Rede lediglich geantwortet, das ist sein Standpunkt, wir haben unseren. Also von daher meine ich, daß hier in der Bundesrepublik absolut eine Überreaktion stattfindet. Aber gleichzeitig sieht man auch, daß Menschenrechte hier etwas ja Zweit-, Drittrangiges sind.

    Capellan: Poet als Poltergeist, so wurde Günter Grass in Zeitungskommentaren tituliert. Ist das ein Kompliment für einen Schriftsteller?

    Wallraff: Ich meine, hier in diesem Lande, wo Kritik, massive Kritik immer wieder vehement diffamiert wurde, das hat ja nun auch Tradition, wo der Begriff Querdenker bis zum Querkopf, Querulanten fließend ist, und damit versucht wird, einen kritischen Geist bereits zu diffamieren, da wird versucht, mit solchen Begriffen jemanden abzuwerten. Dabei finde ich ist es höchstes Kompliment, wenn jemand, der doch diesen Rang hat und auch im Ausland diese Anerkennung hat, sich immer wieder einmischt. Ich glaube, das ist die Uraufgabe eines Schriftstellers, das hat Böll jahrelang unter Beweis gestellt, und wenn das Grass hin und wieder, er macht's ja nicht nur zu solchen Anlässen, tut, dann muß ein Land eigentlich einem Literaten von Rang dankbar sein, daß er dann auch diese Widrigkeiten in Kauf nimmt.

    Capellan: Nun hat aber beispielsweise die Ausländerbeauftragte in Berlin, Barbara John, gestern gesagt, wenn sich da Günter Grass zur Ausländerpolitik äußert, ist das nichts anderes, als wenn sich Herr XY äußert, denn er muß sich ja nicht unbedingt gut auskennen in dieser komplizierten Materie.

    Wallraff: Nun, Günther Grass kennt sich nun sehr gut aus, weil er sich auch persönlich engagiert, und nicht dafür bezahlt, sondern er hat aus seinem eigenen Vermögen, aus seinen Honoraren mehrfach auch unter Beweis gestellt, daß er auch persönliche Hilfe leistet. Er hat zuletzt eine Stiftung gegründet, mit sehr viel Geld ausgestattet, wo er sich um die Geschichte und die Vergangenheit der Roma und Sinti engagiert, und das ist nun eine Volksgruppe, die nun überhaupt keine Lobby hat. Das ist höchst ehrenwert, wenn ein Schriftsteller da über seine eigene Literatur hinaus sich dann auch so persönlich engagiert. Das sollten diejenigen, die versuchen, jetzt ihn da in eine bestimmt Ecke zu stellen, ihn fertig zu machen, noch einmal berücksichtigen.

    Capellan: Also wenn Sie die Diskussion, die er ja ausgelöst hat, verfolgen, würden Sie dann sagen, daß solche Kritik von Intellektuellen in Deutschland schon etwas bewirken kann?

    Wallraff: Jetzt in diesem einzelnen Fall muß man sagen, ist es plötzlich, weil der Rahmen dazu da war und weil wohl auch zu lange von zu vielen geschwiegen wurde, war es sozusagen der Funke, der wieder mal etwas entfacht hat. Und da kann man nur hoffen, daß andere ihre Möglichkeiten nutzen und zum Teil auch zum falschen Zeitpunkt und am falschen Ort das richtige sagen. Darauf kommt es an.

    Capellan: Aber an der Politik wird sich Ihrer Ansicht nach nicht viel ändern?

    Wallraff: Ich befürchte, daß in dieser momentanen Regierungskonstellation, die sich da an die Macht klammern und für die Machterhalt an und für sich das einzige ist, und nicht die ursprünglichen Ziele der Politik, daß sich da gar nichts ändert, daß das nur noch schlimmer wird. Da muß einfach ein neuer Wind rein, da muß auch eine Regierung unter Beweis stellen, daß es auch eine andere Politik gibt. Und da gibt es ja Töne, die aufhorchen lassen, das war jetzt Oskar Lafontaine, der sich spontan hinter Günter Grass stellt, im Gegensatz übrigens zu Klose, der da einen sehr, um in Kurzform zu reden, törichten Satz losließ, von dem man ja auch mal andere Worte gehört hat, der jetzt da auch durch sein Amt verschlungen wird, und über allem thront, der ihm vorwarf, daß das nicht weise gewesen sei. Was heißt denn schon weise? Weise im Sinne von abgeklärt, sich nicht mehr einmischen? Das ist dann doch aus einer eiskalten, aalglatten Diplomatie heraus, so was kann nur anmaßend gesagt werden.

    O-Ton Günther Wallraff

    wallraff.ram