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Intransparenz im Sport
"Das größte Problem ist, dass es keine unabhängige Aufsicht gibt"

Die Verschlossenheit des Sports habe bisher keine ausreichende Überprüfung zugelassen, sagte Deborah Unger von Transparency International im DLF. Mehr als die Hälfte der FIFA-Mitgliedsverbände hätten nicht einmal Statuten oder eine Charta. Eine Konsequenz sei, dass der Sport langfristig an Anziehungskraft verliere, wenn niemand mehr den Organisationen Glauben schenke.

Deborah Unger im Gespräch mit Marina Schweizer | 26.12.2016
    Dollar-Noten für Joseph Blatter - die Aktion des britischen Komikers Lee Nelson.
    Die FIFA hätte schon vor Jahren versuchen müssen, ihre Mitgliedsverbände transparenter zu machen, sagt Deborah Unger von Transparency International. (picture alliance/dpa/Ennio Leanza)
    Marina Schweizer: Wir haben über die Autonomie des Sports gesprochen, die Gemeinnützigkeit und den wachsenden Klüngel unter Sportfunktionären, die eine besondere Art des Umgangs mit Geld ermöglicht haben. Was ist aus Ihrer Sicht das größte strukturelle Problem?
    Deborah Unger: Das größte strukturelle Problem ist, dass es keine unabhängige Aufsicht gibt. Wenn sie über Organisationen sprechen, die zusammengewachsen sind, die Menschen über viele Jahre beschäftigt haben, die sich kennen und die viel Geld verdienen, aber keine Aufsicht haben. Sie haben auch nicht die richtigen Systeme, die die Beziehungen managen - und dann haben sie ein Problem. Es ist kein Allheilmittel, aber es ist sehr wichtig, unabhängige, nicht geschäftsführende Aufsichtsratsmitglieder zu haben.
    Schweizer: Ist das der einzige Ausweg für den Sport?
    Unger: Ich denke, nicht dass das der einzige Ausweg ist, aber ich denke, dass die Anzahl der Untersuchungen und der Geschichten, die uns auf das Ausmaß von Korruption im Sport aufmerksam gemacht haben, dass diese uns die Defizite in der Führungskultur gezeigt haben. Aber so könnten vorbildliche Führungskonzepte installiert werden, die mehr Transparenz und Rechenschaft zulassen, die die Sportorganisationen selbst ausführen müssten. Und: Dann gäbe es noch eine unabhängige Aufsicht, die beurteilt, wie die Organisationen tatsächlich in der Praxis gearbeitet haben.
    Aber es gibt eine Verschlossenheit im Sport, die bisher keine ausreichende Überprüfung zugelassen hat. Das ist ein echtes Problem. Klar, dadurch, dass ich von Transparency International komme, bin ich natürlich immer für mehr Transparenz. Aber ich denke, hier ist sie extrem wichtig. Es gibt ein paar Beispiele, bei denen die FIFA versucht, ihre Mitgliederverbände, in Sachen Geld, was sie von der FIFA bekommen, transparenter zu machen. Das hätte schon vor Jahren passieren müssen. Nicht letztes Jahr oder dieses Jahr.
    Schweizer: Viele Verbände veröffentlichen ja ihre Finanzberichte gar nicht. Anders als Wirtschaftsunternehmen, die das müssen. Also: Es ist schwer, etwas zu kontrollieren, über das du gar nichts weißt. Also, wäre die Offenlegung der Finanzen nicht der erste und wichtigste Schritt?
    Unger: Absolut. Wir haben eine Umfrage unter den 209 Mitgliedsorganisationen der FIFA gemacht, um zu sehen, wie transparent sie sind. Jede von ihnen kriegt über eine Million Dollar jährlich. Aber fast jede von ihnen, insgesamt 169 Verbände, veröffentlichen noch nicht einmal Finanzberichte. Und 42 davon haben noch nicht einmal eine Website, also findet man ohnehin kaum Informationen über sie. 94 von ihnen haben noch nicht einmal Statuten oder eine Charta.
    Also es gibt einen großen Informationsmangel über die Finanzen dieser Organisationen. Und wir sprechen von Unternehmen, die einen Umsatz von mindestens einer Million Dollar jährlich haben. Die FIFA hat versucht, da aufzuräumen. Es bleibt abzuwarten, ob das funktioniert.
    Schweizer: Also, wenn Sie über Transparenz und über eine unabhängige Aufsicht sprechen - so eine Aufsicht erscheint ja als schöne Idee – aber mal ehrlich, wie will man denn den Sport dazu zwingen?
    Unger: Also, wenn Regierungen Geld geben, können sie nahelegen, dass es eine solche Bedingung geben muss, um das Geld zu bekommen.
    Schweizer: Aber Regierungen geben ja nicht das ganze Geld für den Sport.
    Unger: Nein, nicht alles, aber in vielen Ländern geben sie einen ganz schönen Batzen und sie fördern viele verschiedene Arten von Sport überall. Und sie können für dieses Geld schon eine bestimmte Art der Führungsstruktur verlangen. Sie wollen wissen, wo das Geld hingeflossen ist. Man muss dem Geld folgen, das sagen wir in allen möglichen Bereichen zur Korruptionsbekämpfung. Man muss gegenseitige Kontrolle installieren.
    Die Sportorganisationen sollten kapieren, dass das ein Risiko für ihren Ruf darstellt. Wenn es niemanden gibt, der die Art der Geschäftsführung absegnet, dann werden sie das Vertrauen nicht zurückgewinnen oder sogar noch mehr Vertrauen verlieren. Die FIFA hat zum Beispiel durch die Finanz- und die Rechenschaftskommission zumindest etwas unabhängige Aufsicht installiert.
    Schweizer: Aber warum sollte sie das kümmern?
    Unger: Warum? Wenn am Ende niemand ihrer Organisation Glauben schenken mag, geht die Fan-Basis verloren. Sie wollen keine Korruptionsskandale, sie werden nicht für etwas bezahlen wollen, das systemimmanente Korruption in sich trägt. Der Sport wird seine Anziehungskraft verlieren. Das ist zwar zum jetzigen Zeitpunkt sehr weit weg. Das stimmt.
    Aber auch die Sponsoren bekommen ein Imageproblem, wenn jemand, der mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird, als korrupt angesehen wird. Oder wenn die Führungskräfte aus einer Sportorganisation als Profiteure angesehen werden, anstatt ins Spiel zu investieren. Das ist ja eine Frage der Sichtweise.
    Schweizer: Der Sport hat aber auch sein eigenes Rechtssystem. Eigene Gerichte zum Beispiel. Wer könnte und wie könnte man Sportorganisationen zwingen, das zu ändern? Sie geben sich immerhin noch ihre eigenen Regeln...
    Unger: Ich weiß nicht, ob man alles ändern muss. Ich glaube, wenn die Führungsstruktur in den Organisationen stark ist, dann muss man nicht alles am Sport verändern. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass ein Sportgerichtshof unangemessen ist. Aber wir haben Dinge gesehen, wie den Mangel an Unabhängigkeit zwischen der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA und dem IOC. Wenn die Führungskräfte hier und dort die Gleichen sind – in vielen Fällen.
    Und wenn die kommerziellen Interessen ebenfalls verflochten sind. Das sind Bereiche, wo der Sport verstehen müsste, dass er sich ändern muss. Und ich glaube, dass da gerade ein Umdenken stattfindet, dass etwas passieren muss. Ich meine: Die WADA öffnet sich gerade in Richtung einer breiteren Überprüfung von Interessenvertretern, das IOC hat seine Agenda 2020 – ob die weit genug geht, bin ich mir in der Praxis nicht so sicher.
    Viele Regierungen tun sich zusammen, um zu schauen, wie man im Sport aufräumen kann, weil sie die Kraft des Sports sehen. Das haben ein paar Länder beim Korruptions-Kongress in Großbritannien gemacht, sie haben sich darauf verständigt, am Rande des IOC-Treffens in Lausanne zusammenzukommen, ich glaube im Februar. Also es gibt Bewegung und es gibt die Auffassung, dass das wichtig ist.
    Schweizer: Ein paar Dinge haben sich dieses Jahr verändert, durch die Olympischen Spiele in Rio und dem, was das IOC gemacht hat. Auch mit FIFA-Skandalen, dem Abgang von Sepp Blatter und so weiter. Aber macht Ihnen das schon wirklich Hoffnung, dass eine Veränderung im Sport kommen wird?
    Unger: Naja, man hat immer Hoffnung. Ich glaube, die Menschen verstehen, die positive Kraft im Sport. In unserem Global Corruption Report, der im Februar erschienen ist, handelte der erste Artikel von dieser positiven Kraft: Beispielhaft an Nairobi, wo in einer unterprivilegierten Umgebung eine Fußballliga ins Leben gerufen wurde und wie das den Menschen mit ihrem Selbstwertgefühl geholfen hat. Auch gegen Kriminalität: Kinder, die aus den Gangs raus kamen und so weiter.
    Also jeder versteht, dass der Sport etwas Positives mit sich bringen kann. Auch einen Unterhaltungswert. Aber wenn diese Kraft beschmutzt ist, dann kann man das nicht so gut verkaufen. Und wenn es wegen Korruption beschmutzt ist, dann werden Menschen dem Sport nicht mehr glauben. Und wir haben auch über die große Industrie gesprochen, die da dran hängt.
    Also, wenn man das alles zusammennimmt, dann kann man schon optimistisch sein: Warum sollte man die Hand abschneiden, die einen füttert? Man muss verstehen, dass Reformen gebraucht werden und dass Reformen gewünscht werden. Also sollte man damit anfangen.
    Schweizer: Kann der Sport nur besser werden, wenn er wieder finanziell zurückschrumpft?
    Unger: Nein, das muss nicht unbedingt sein. Wenn man gegenseitige Kontrolle hat. Ich meine: Es sind ja nicht so große Unternehmen, wenn man sie mit anderen in der Geschäftswelt vergleicht. Die FIFA macht fünf Milliarden über vier Jahre. Es gibt Firmen, wie Caterpillar, die Lastwagen machen und die 58 Milliarden in einem Jahr machen. Also, es ist ja nicht ein so großes Unternehmen, dass es nicht richtig gemanagt werden kann.
    Aber es ist ein kompliziertes Geschäft, das Regierungen, Athleten, Fans einbeziehen muss. Deshalb müssen sich genau die mehr einmischen können, um zu helfen. Vielleicht auch, um meinen Optimismus aufrechtzuerhalten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.