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Invasion der Yogis

Im nordrhein-westfälischen Bad Meinberg werden seit 200 Jahren Rheuma, Gicht, Frauen- und Nervenleiden behandelt. Der moderne Kurgast will hier aber Energie zwischen die eigenen Schulterblätter schicken und in der Position des abwärtsgerichteten Hundes Glücksgefühle spüren. Denn hier befindet sich Europas größtes Yogazentrum.

Von Mandy Schielke | 13.05.2012
    Marion: "Kommt zunächst in Tadasana, die Berghaltung. Die Beine und Füße sind ganz geschlossen. Bringt die Schulterblätter zusammen, lasst die Schultern nach hinten unten fließen. Der Kopf ist in der Mitte, ihr könnt den Beckenboden leicht nach vorn schieben."

    Es ist 9:30 Uhr morgens, die Yogaklasse macht sich im Durga-Raum – benannt nach einer hinduistischen Göttin – bereit für die Sonnengrüße. 16 Frauen in bequemer Baumwollkleidung stehen am vorderen Rand ihrer Yogamatte.

    Marion: "Einatmen, rechtes Bein zurück, der Blick geht nach vorn. Linkes Bein zurück. Schiefe Ebene. Ausatmen, Knie, Brustbein, Kinn senken."

    Synchronisiert mit ihrem Atem fließen die Yogaschülerinnen durch die Bewegungen. Wer sich dem Yogazentrum in Bad-Meinberg am Rande des Teutoburger Waldes zum ersten Mal nähert, ist wahrscheinlich erst einmal enttäuscht. Riesige Kästen aus grauem Beton am Waldrand, davor ein asphaltierter Parkplatz. So sieht garantiert kein einziger Ashram, kein Yogatempel in Indien aus, schwirrt es einem zwangsläufig durch den Kopf. Und dieser Funktionsbau soll ein Ort für innere Einkehr und Yoga sein? Ein Ort, an dem man vielleicht sogar auf eine spirituelle Erfahrung hoffen darf?

    "Das sind drei alte Kurkliniken, die im 70er-Jahre-Stil gebaut sind, architektonisch vielleicht nicht die größten Meisterwerke, obgleich nicht 0815-Gebäude. Das eine Gebäude, das haben wir dann auch als Erstes erworben, ist pyramidenförmig, das haben wir Chakrapyramide genannt. Sieben Stockwerke symbolisieren sieben Stufen der Entwicklung des Menschen und das fanden wir auch von der Symbolik sehr schön."

    Volker Bretz ist der Chef des Yogazentrums. Er trägt ein leuchtend gelbes Oberhemd, dazu eine weiße, luftige Hose und Badelatschen. Sein graumeliertes Haar ist kurz geschnitten auf der kleinen Nase sitzt eine schlichte Brille. In der Yogawelt nennen ihn alle Sukadev. Das ist sein spiritueller, indischer Name.

    Als Volker Bretz vor zehn Jahren nach einem Ort für ein neues Yogazentrum suchte, klickten sich seine Mitarbeiter und er monatelang durchs Internet. Dann fanden sie diese leer stehende Immobilie am Rand der Kurstadt Bad Meinberg, 40 Kilometer von Bielefeld entfernt. 450 Yogagäste sind derzeit hier, sagt Volker Bretz. Einige machen die Ausbildung zum Yogalehrer, andere haben Pranayama-Kurse, Lehrgänge zu yogischen Atemtechniken, gebucht oder machen Yogaferien.

    "Yoga wörtlich heißt Harmonie, Einheit, Verbindung. Yoga kann keine Versprechen geben. Yoga kann Menschen sagen, Du kannst etwas harmonischer werden."

    Harmoniereicher und vielleicht sogar glücklicher. Bei Yoga geht es um Konzentration, um Bewusstsein, irgendwie auch um Reinheit. Kein Fleisch, kein Kaffee, kein Alkohol, keine Zigaretten. Auch das gehört zur Welt von Yoga Vidya in Bad Meinberg.

    "- "Herr Block, wissen Sie, was der abwärts schauende Hund ist?"
    - "Nee, das weiß ich nicht.""

    Der abwärts schauende Hund ist eine Yogaposition, die in jeder Übungsstunde mehrmals wiederholt wird. Eberhard Block ist der Bürgermeister von Bad Meinberg. Er empfängt in seiner Amtsstube. Man siezt sich und vermeidet den Schneidersitz. Nach zwei Tagen im Yogazentrum wirkt diese Szene wie aus einer anderen Welt:

    "In den 50er-Jahren gehörte Bad Meinberg zu den zehn größten deutschen Bädern. Neben den traditionellen Bädern, die es natürlich in Deutschland gibt: Bad Kissingen, Baden-Baden. Die Kumpel aus dem Ruhrgebiet, die Familien der Kumpel aus dem Ruhrgebiet, die gingen zur Erholung und zur Kur hier nach Lippe. Dadurch war Bad Meinberg seiner Zeit sehr stark frequentiert."

    Irgendwann, so sagt Eberhard Block, sorgten Gesundheitsreformen aus Bonn dafür, dass immer weniger Kuren verordnet wurden und auch weniger Gäste nach Bad Meinberg kamen. Die Kurkliniken kämpften ums Überleben. Die Invasion der Yogis hat dem Ort gut getan, sagt der Bürgermeister. Für jeden Yogagast wird Kurtaxe gezahlt, in der Region werden massenweise Obst, Gemüse und Milchprodukte gekauft. Und dann sind da auch noch die 60.000 Übernachtungen im Jahr, die sich der Kurort jetzt in seine Statistikbücher schreiben darf. Yoga Vidya hat die verwaisten Kurkliniken mit Leben gefüllt und ist zu einem Wirtschaftsfaktor für Bad Meinberg geworden, sagt Eberhard Block nicht ohne Stolz. Für ihn sind die Yogis in der alten Kurklinik Jünger einer Lebensphilosophie, die er zumindest interessant findet – eine Alternative zum Alltag, den er kennt. Das Harmoniebedürfnis, das dazugehört, strahle aus – auch auf seine Gemeinde.

    Wenige Stunden später sitzt Volker Bretz, der Chef des Yogazentrums in Bad Meinberg, im Schneidersitz unter einer großen Fotografie des Yogameisters Swami Sivananda im gleichnamigen Saal des Hauses. Vor den großen Fenstern wiegen sich die Bäume im Wind. Bald wird es dunkel werden.

    Zeit für die gemeinschaftliche Meditation im Yogazentrum. Etwa 120 Männer und Frauen sitzen im Schneidersitz vor dem Yogameister. Viele haben sich eine Decke oder einen indischen Schal um die Schultern gelegt. Dann schließen sie die Augen.