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Investigativer Journalismus
Wühlen in privaten Daten

Anfang des Jahres kursierten im Netz privateste Daten von Politikern, Prominenten und Journalisten. Während die Ermittlungen über die genauen Hintergründe noch laufen, stellt sich für Journalisten eine zentrale Frage: Dürfen sie die Dokumente durchforsten, obwohl sie ihnen nicht gezielt zugespielt wurden?

Von Daniel Bouhs und Caroline Schmidt | 28.01.2019
    Geschredderte Papierschnipsel liegen zur Vernichtung in einem Sack bereit. Foto: Volkmar Heinz | Verwendung weltweit
    Egal ob digital oder analog: Dass sich manche Journalisten privateste Daten zur Recherche vornehmen, ist umstritten. (dpa-Zentralbild)
    Anfang Januar war die Aufregung groß. Als der sogenannte Datenhack im Internet auftauchte, wurden auch viele Medien neugierig. Das Motto: downloaden und reinschauen. "Weil wir erst dann wissen, was in diesen Daten sich verbirgt, wenn man es sich anguckt", sagt "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt gegenüber dem NDR-Medienmagazin ZAPP.
    In der Spitze habe er etwa 15 Leute an das Datenpaket gesetzt – und das, obwohl schnell klar war: In dem Material finden sich auch viele intime Daten wie Urlaubsfotos.
    Ganz normale Recherche?
    Reichelts Argument: Ob in vertraulichen Papieren, im Gespräch mit Informanten oder eben nun in Datenpaketen - Journalisten erführen doch immer wieder, was aus guten Gründen geheim oder privat sei.
    "Ein ganz wesentlicher Bestandteil unseres Berufs ist, die Dinge zu identifizieren, die uns eigentlich nichts angehen und sie – es wäre eine Illusion zu glauben, dass man sie vergessen könnte, aber sie in keiner Weise irgendwo zu verwenden."
    Unterschiedliche Herangehensweisen
    Tatsächlich haben sich nicht nur Boulevardjournalisten für das Datenpaket interessiert, sondern auch öffentlich-rechtliche, darunter Jan Lukas Strozyk mit seinen Kollegen der Recherchekooperation aus WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung".
    "Wir haben die Daten runtergeladen und uns angesehen, aber weniger unter dem Gesichtspunkt, welche Informationen finden wir über die Betroffenen in den Daten, was können wir über die einzelnen gehackten Personen herausfinden, sondern mehr unter dem Gesichtspunkt: Was können wir mehr über den Urheber, sprich den Hacker, über diese Daten erfahren und auch über die Wege, die diese Informationen gegangen sind", sagt Strozyk.
    Urlaubsbilder versuche er "wegzuklicken". Außerdem helfe eine Stichwortsuche dabei, sich nicht jede Datei einzeln ansehen zu müssen. "Es ist wirklich eher so, dass wir die Sachen einmal gesichtet haben für uns, um sicherzustellen, wir übersehen keine Hinweise auf den Hacker selber. Und wir arbeiten jetzt auch nicht mit einem größeren Team daran, die Informationen, die ja zum Teil dann doch sehr privat sind, irgendwie inhaltlich auszuwerten."
    Kein gezielter Hinweis auf Daten
    Investigativjournalist Oliver Schröm mahnt wiederum: Wenn Daten Medien gezielt zugespielt würden, damit sie über Vergehen berichten, sei der Blick hinein legitim - wie bei den "Cum-Ex"-Files, die er sich selbst angesehen hat, aber auch bei den "Footbal Leaks" oder den "Panama Papers" und den "Paradise Papers".
    Hier aber fehle so ein gezielter Hinweis. "Deshalb kann ich auch nicht die Daten anschauen. Ich bräuchte zumindest einen Anfangsverdacht, dass da irgendwas im Dunkeln liegt, was ans Tageslicht müsste - irgendein Skandal, irgendein Vergehen, irgendein Rechtsverstoß."
    Lieber eine Geschichte verpassen
    Allerdings hat es Schröm auch einfach: Seine Redaktion - das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv - deckt nicht die aktuellen Themen ab und kann sich seine Projekte deshalb leichter aussuchen. Und dennoch sagt Schröm: Journalisten sollten sogar in Kauf nehmen, eine Geschichte zu verpassen, die vielleicht in den Daten steckt.
    "Da gibt es einfach auch eine rote Linie. Also ich kann nicht von jemandem die privaten Daten nehmen, so wie ein Fischernetz auswerfen in der Hoffnung, dass was drin hängen bleibt."
    Keine klaren Regeln
    In Datenpakete, die plötzlich im Netz auftauchen, reinschauen oder besser liegenlassen? Der Journalismus ist gespalten. Eine verbindliche Regel dazu - etwa im Pressekodex - fehlt bislang. Ungeklärt ist auch: Wie gehen Journalisten mit dem Material nach der Sichtung um?
    "Wir sind da auch leider - muss man ganz klar sagen - im Augenblick in einem rechtsfreien Raum", mahnt Promi-Anwalt Christian Schertz im rbb-Programm Radioeins. "Was ist denn, wenn einer dieser Politiker in Zukunft eine wichtige Funktion hat und in fünf Jahren wird er von einer Chefredaktion angerufen und sagt, na ja, wir würden jetzt gerne ein Exklusivinterview haben, haben aber natürlich auch noch das ganze Material von Ihnen, na ja, ein paar Briefe finden wir heute interessant, wie Sie damals mit Ihrer Ehefrau gesprochen haben."
    Löschen oder behalten?
    Schertz sieht in dem Material ein "Erpressungspotenzial", wenn es in den Schubladen der Journalisten schlummert. Frage an "Bild"-Chef Reichelt: Am Ende der Recherche - löschen Sie jetzt diese Daten? "Ja." Überprüfen kann das niemand. Redaktionsgeheimnis.
    Und bei der ARD? "Ich sehe das bei diesem konkreten Datensatz ein bisschen lockerer als vielleicht in anderen Fällen", sagt Jan Lukas Strozyk. Das Material sei ohnehin frei im Netz gestreut.
    "Das heißt, wenn jemand diese Information unbedingt haben möchte, kann er oder sie Wege finden, die auch heute wahrscheinlich noch im Internet herunterzuladen", so Strozyk. Für die Betroffenen heißt auch das: Sie müssen immer damit rechnen, dass das Material wieder auftaucht. Es schlummert - irgendwo.