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IOC-Chef Thomas Bach
Lügen haben kurze Beine

Um die angeblichen Segnungen der Olympischen Spiele für die Metropolen der Welt zu propagieren, nimmt es IOC-Präsident Thomas Bach mit der Wahrheit nicht immer genau. Jüngstes Beispiel: das "Märchen von der Münchner U-Bahn".

Von Jürgen Kalwa | 18.03.2017
    IOC-Präsident Thomas Bach schwenkt bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Jugendspiele 2014 in Nanjing die Olmypische Flagge.
    IOC-Präsident Thomas Bach bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Jugendspiele in Nanjing 2014 (imago sportfotodienst)
    Genau genommen befindet sich der Kollege schon lange im Ruhestand. Seit jenem Tag im Juli 2006, als er in die Rente verabschiedet wurde. Und zwar von niemand anderem als Thomas Bach.
    Es war dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes eine Ehre. Denn, so sagte er: Dieser Günter Deister habe sich als Journalist und Sportchef der meinungsprägenden Deutschen Presse-Agentur (dpa) auch um den internationalen Sport verdient gemacht.
    Seitdem lebt Günter Deister allerdings in einem Unruhezustand. Vor allem, was das Wohlergehen des besagten Sportfunktionärs betrifft, der mit sage und schreibe drei deutschen Diplomatenpässen durch die Welt reist.
    Die Mär von der "Legacy" der Spiele
    Bach ist in seiner Heimat nicht mehr so gut gelitten wie früher. Weil immer mehr Menschen begriffen haben: Was gut ist für Bach, ist noch lange nicht gut für Deutschland. Und womöglich auch nicht für Olympia - dieser Potemkiniade des internationalen Sports. Man denke an Athen oder Rio, wo Sportstätten verrotten. Oder auch an Atlanta, wo außer ein paar Springbrunnenfontänen im Centennial Park rein gar nichts an die Spiele von 1996 erinnert.
    Was übrigens den Verantwortlichen vor Kurzem auch aufgefallen ist. Sie wollen nun den Park artifiziell mit optischen Hinweisen auf die olympischen Kernsportarten aufmöbeln.
    Oder wie Thomas Bach sagen würde, der Meister der mit vielen "Ähs” durchschossenen Rhetorik:
    "Äähh and-äh will-äh therefore also-äh leave a great-äh legacy.”
    Das Wort "legacy” - also "Erbe”, der englischsprachige Claim des IOC, steht hoch im Kurs. Was er vortäuscht, allerdings nicht.
    "Boston is no longer pursuing the 2024 Olympic and Paralympic Games.”
    Boston winkte ab. Rom zuckte zurück. Budapest warf hin. Nicht zu vergessen: Hamburg.
    "Hamburg wird sich nicht um die Austragung Olympischer Sommerspiele und Paralympischer Spiele im Jahre 2024 bewerben.”
    Deister fordert fairen Umgang mit Bach
    Weshalb von Lausanne aus eine intensive Kampagne läuft. Sie soll gerade in Deutschland, der Heimat des IOC-Präsidenten, gute Stimmung machen. Nostalgie entzünden. Schöne Träume anstiften.
    Wie den von der magischen Kraft der Spiele, die im nächsten Winter in Pyeongchang stattfinden und nach den Worten von Bach wahre Wunder in Aussicht stellen: der geteilten, waffenstrotzenden Halbinsel Korea "wieder Einheit bringen”.
    Solche Sätze machen immer weniger Eindruck. Aber das irritiert gerade einen Mann ganz besonders: Günter Deister. Der meldete sich neulich im Fachorgan der berufsständisch organisierten Sportjournalisten mit einem langen Schriftsatz zu Wort. Ein "Plädoyer” "für einen faireren Umgang” mit seinem Freund und ehemaligen Tennis-Partner Thomas Bach.
    Was ihn störte? Dass im deutschen Sportjournalismus neuerdings Kriterien eine Rolle spielen, die es zu Deisters aktiven Zeiten offensichtlich nicht gegeben hatte: "Moralismus und Rigorismus”. Ein erstaunlicher Vorwurf angesichts der Bach-Bilanz im Kampf etwa gegen die Dopingepidemie, gegen den Verdacht der Korruption und die schon erwähnten Bauexzesse.
    In die Schusslinie nahm Deister in seiner Medienkritik eine Publikation: die "Süddeutsche Zeitung". Deren stellvertretender Sportressortleiter wies die Anwürfe zurück und nannte Beispiele für diesen Rigorismus. Wie Hans-Wilhelm Gäb. Der hatte aus Protest seinen Olympischen Orden zurückgegeben, als er sah, wie Bach die Teilnahme Russlands an den Spielen in Rio bewerkstelligte und wie er die Whistleblowerin Julia Stepanowa behandelte:
    "Das IOC hat Respekt, Achtung und Autorität verloren, der Sport hat keine moralische Instanz mehr.”
    Die Geschichte mit der Münchener U-Bahn
    Bachs Propaganda-Maschine kämpft dagegen und jede andere Kritik auf vielen Kanälen. So arbeitet er hinter den Kulissen notfalls mit anwaltlicher Hilfe - zum Beispiel dann, wenn eine Redaktion ihn nicht um eine Stellungnahme zu einer heiklen Frage gebeten hat.
    Aber er steht keineswegs immer zu Antworten auf heikle Fragen zur Verfügung. Wir haben es getestet. Wir wollten wissen, wie er neulich bei einem Interview mit dem Münchner Merkur - unwidersprochen - auf die nachweislich falsche Behauptung kam: "Ohne Olympische Spiele hätte München vielleicht heute noch keine U-Bahn."
    Der erste Spatenstich fand Anfang 1965 statt. Die Spiele erhielt München im April 1966. Aber nicht nur das: Bachs Pressesprecher - er hat einen exklusiv für den deutschsprachigen Raum - hätte den Fehler natürlich korrigieren können. Aber der lehnte ausdrücklich ab.
    Diese Taktik mag im Rest der Welt funktionieren, wo man Thomas Bach und seine Methoden nicht so gut und nicht so lange kennt. In Deutschland führt sie zu einem wachsenden Vertrauensverlust. Schon jetzt haben Sportler keine Furcht mehr, sich zu Wort zu melden. Wie Diskuswerfer Robert Harting im letzten Jahr:
    "Ich schäme mich auch für Thomas Bach, ja."