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"Irak ist doch kein Erfolg"

Anlässlich des Bush-Besuchs in Deutschland hat der SPD-Außenpolitiker Egon Bahr die Amtszeit des US-Präsidenten scharf kritisiert. Wörtlich sagte er, die Welt werde "froh und erleichtert" sein, wenn Bush abtrete. Kein Präsident in der amerikanischen Geschichte habe seinem Land mehr geschadet. Am Beispiel des US-amerikanischen Feldzugs gegen den Irak erklärte der frühere Bundesminister, das sei nicht der Weg, um die Welt demokratisch zu machen.

Moderation: Christian Schütte | 10.06.2008
    Christian Schütte: Wenn ein US-Präsident nach Deutschland reist, ist die Aufmerksamkeit meistens groß. Das war auch bei George W. Bush so - zumindest bei seinen früheren Besuchen. Heute ist das etwas anders. Der scheidende Präsident trifft am späten Nachmittag in Deutschland ein, aber es werden keine größeren Innenstädte abgesperrt. Es müssen auch keine Globalisierungsgegner mit Zäunen fern gehalten werden. Die Öffentlichkeit hat im Vorfeld sehr viel unaufgeregter auf den Bush-Besuch reagiert. Auch die 158 Einwohner von Meseberg bei Berlin, wo das Gästehaus der Bundesregierung steht, die zeigen sich eher gelassen - und nicht nur die. Eher unaufgeregt also wird der US-Präsident heute in Meseberg empfangen und in Berlin ist schon gar kein offizieller Termin mehr vorgesehen. Das liegt vor allem daran, dass in etwa einem halben Jahr sein Nachfolger gewählt wird. Während sich also die Augen bereits auf die Kandidaten John McCain und Barack Obama richten, ziehen die ersten Politiker bereits eine Bilanz der Ära Bush. Das Urteil in der deutschen Politik fiel gelinde gesagt ernüchternd aus. - Darüber spreche ich nun mit Egon Bahr von der SPD, außenpolitischer Experte seiner Partei und früher Bundesminister in mehreren Ressorts. Guten Morgen Herr Bahr!

    Egon Bahr: Guten Morgen Herr Schütte!

    Bahr: Wenn Sie ein Geschichtsbuch schreiben müssten, welcher Satz über die Regierungszeit Bushs sollte unbedingt da drinstehen?

    Bahr: Wie froh und erleichtert die Welt war mit der Aussicht, ihn los zu werden.

    Schütte: Das ist ja durchaus ein hartes Urteil. Gab es je zuvor einen Präsidenten, der hierzulande bei Ihnen und auch in allen anderen Parteien durchweg auf so viel Kritik und Unverständnis gestoßen ist?

    Bahr: Ich kenne überhaupt keinen Präsidenten in der amerikanischen Geschichte, der seinem Lande mehr geschadet hat. Wissen Sie, ich bin ein großer Bewunderer seines Vaters. Ich halte den für einen weisen Mann. Der hat am Ende des Ost-West-Konfliktes gesagt, Amerika ist die einzige und stärkste Macht der Welt, die in der Lage ist, die Welt in eine neue Weltordnung zu führen. Das war eine Stellung Amerikas, der erste unter gleichen, eine Stärkung der Vereinten Nationen und das heißt natürlich muss sich Amerika auch an die Ordnung halten. Sein Sohn hat das Gegenteil gemacht. Sein Sohn hat sich das Recht genommen, hat das Recht proklamiert, zu einer Doktrin gemacht, Krieg anzufangen, wenn es nach seiner Auffassung den amerikanischen Interessen entspricht - auch ohne Vereinte Nationen, auch präventiv -, und er hat, was fast immer vergessen wird, die größte Welle von Aufrüstung in der Menschheitsgeschichte ausgelöst. Und zwar: Die Amerikaner waren doch am Ende des Ost-West-Konflikts die stärkste Macht. Warum mussten sie noch anfangen vorzurüsten? Bis dahin haben sie versucht oder gesagt nachzurüsten. Aber sie haben eine Welle ausgelöst auf allen Gebieten, zu Lande, zu Wasser, in der Luft, im Weltraum, mit neuen Atomwaffen und diese Welle ist über die ganze Welt geschwappt. Sie hat natürlich Europa erreicht. Sie hat Russland erreicht. Sie hat China erreicht. Sie hat Japan erreicht. Sie hat Indien erreicht. Wir leiden und werden noch eine ganze Weile leiden unter dieser völlig unvernünftigen Aufrüstung, die gemacht worden ist unter dem Gesichtspunkt, Amerika soll militärisch uneinholbar werden. Das ist es geworden und wird es mit jedem Monat mehr!

    Schütte: War in seiner Regierungszeit demnach also alles schlecht?

    Bahr: Na ja, was heißt "alles schlecht". Ich maße mir nicht an zu sagen, ob er Amerika im Innern besser gemacht hat, ob er die Spaltung in Amerika, ob das Gesundheitswesen, ich weiß nicht was sonst noch, Bildungswesen, Infrastruktur verbessert worden ist. Ich sehe das nicht, wenn ich an die Finanzkrise denke. Ich muss sagen ich sehe es eigentlich nicht, aber ich messe mir kein Urteil an. Aber jedenfalls was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, das kann ich beurteilen.

    Schütte: Mit der Nahost-Konferenz in Annapolis, die Bush einberufen hat, scheint der Friedensprozess in der Region ja wieder in Gang gekommen zu sein. Also war das doch ein Verdienst der Regierung Bush?

    Bahr: Er hat den Nahen Osten ein bisschen zu spät entdeckt und für den Fall, dass aus dieser Initiative etwas wird, wird es nicht an ihm liegen, sondern es wird an denen liegen, die dort sind. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass das, was dort gemacht wird, im Augenblick gemacht wird, natürlich unter der entscheidenden Mithilfe der anderen arabischen Staaten insbesondere in der Golf-Region gemacht wird.

    Schütte: Die Islamisten seien im Aufwind und der Iran stark wie nie zuvor, beklagt der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden. Ist das tatsächlich die Schuld von George W. Bush?

    Bahr: Unterm Strich kann ich sagen, er hat das jedenfalls nicht vermieden oder verhindern können. Ich glaube Amerika hat die arabische Welt A zu spät entdeckt und B: Er hat in einer Weise gehandelt, in der man glauben konnte, Amerika unterstützt im Wesentlichen Israel und ist ein Feind der Araber. Und das ist ein Punkt, an dem man natürlich nicht mehr Politik machen kann. Sein anderer Ansatz, Demokratie in den Mittleren Osten zu bringen, ist doch schrecklich gescheitert mit ich weiß nicht wie vielen Toten. Irak ist doch kein Erfolg. Wenn das der Weg ist, wie Amerika die Welt demokratisch machen will, na dann hoffe ich wirklich auf jeden Nachfolger, der es besser machen würde. Wobei ich hinzufügen möchte: Die amerikanischen strategischen Interessen werden sich unter keinem Nachfolger ändern. Die Frage ist nur: Wie macht man das? Und die Frage ist nur, dass man hoffentlich diese schreckliche Doktrin beseitigen wird oder in Urlaub schicken wird oder einfrieren wird, wonach Amerika sich das Recht nimmt, jederzeit Krieg zu führen gegen jeden, den es dafür aussucht.

    Schütte: Herr Bahr, Sie haben die Art und Weise zu handeln angesprochen. Bush hat vor allem bei der Irak-Frage ja die Europäer gespalten. Hätte ein anderer Präsident mehr Zustimmung bekommen, wenn er zwar inhaltlich dieselbe Linie gefahren hätte, aber als Person weniger polarisiert hätte als Bush?

    Bahr: Na ja, das ist eine schwierige Frage oder nicht sehr fruchtbar, weil was wäre gewesen wenn. Ich möchte ja nur darauf aufmerksam machen, dass auch Deutschland nach diesem schrecklichen Anschlag entstaatlichter Gewalt am 11. September 2001 uneingeschränkte Solidarität mit Amerika und seinem Präsidenten ausgedrückt hat und dass es doch nur wenige Zeit später war, in der die Deutschen gesagt haben nein, wir gehen nicht mit und machen den Irak-Krieg nicht mit. Ich möchte doch hier bitte sagen dürfen, dass Schröder jedenfalls nicht so stark war, als dass er Chirac und Putin und den Papst hätte verführen können, die gleiche Position zu vertreten. Und die Massen, die auf den Straßen in London, Warschau, Madrid und in Rom waren - die Regierungen also, die mitgemacht haben -, die sind ja auch nicht durch Schröder auf die Straße gebracht worden. Das heißt es war ein Instinkt der Bevölkerung in Europa, dass hier mit Gewalt und unrechtmäßig unter Bruch des Völkerrechts vorgegangen worden ist, und das ist nicht die Tradition Europas, wird sie auch nicht sein und wird sie auch nicht werden. Ich lese gerade mit größtem Interesse ein brillantes Buch von einem brillanten Mann - Robert Kagan, einer der blendendsten Analytiker. Wenn ich das hier erzählen würde, was der schreibt über die Geschichte seines Landes, dann würde ich sofort ein Anti-Amerikaner genannt werden. Gott sei Dank ist das ein Neokonservativer, aber die Beurteilung von Bush wird sehr einheitlich um die ganze Welt sein.

    Schütte: Wäre denn die Welt sicherer, wenn beispielsweise Saddam Hussein noch Machthaber im Irak wäre?

    Bahr: Jedenfalls nicht unsicherer. Wir wissen ja, dass er keine Massenvernichtungswaffen hatte, und inzwischen sind im Irak mehr gestorben als der je umgebracht hat. Und El Kaida wäre nicht so stark!

    Schütte: Sie haben schon die Zukunft Amerikas angesprochen mit den Kandidaten John McCain und Barack Obama. Wenn wir nun schon, Herr Bahr, beim Blick in die Zukunft sind, dann schauen wir vielleicht zum Schluss noch auf die Zukunft Ihrer Partei, der SPD. Wen würden Sie sich wünschen als Kanzlerkandidaten?

    Bahr: Also erstens, Herr Schütte, ich bin ein alter Parteisoldat und kann nur sagen: Ich finde es selbstverständlich, dass der Vorsitzende, der gewählte Vorsitzende, mit großer Mehrheit gewählte Vorsitzende der selbstverständliche Kandidat der Partei für die nächste Kanzlerschaft ist, solange er das selbst will. Und wenn er zu dem Ergebnis kommen sollte, es gäbe einen anderen, dem er das mehr zutraut, ein besseres Ergebnis für die eigene Partei zu bekommen, dann wird er das sagen. Ich werde das nicht prognostizieren, sondern ich kann nur sagen: Man muss den eigenen Parteivorsitzenden so stark wie möglich machen, damit er in voller Freiheit eine Entscheidung treffen kann.

    Schütte: Das heißt Kurt Beck sollte Kanzlerkandidat sein, wenn er das selbst möchte und wenn aber trotzdem die Umfragewerte eigentlich gegen ihn sprechen?

    Bahr: Herr Schütte, dann treffen wir uns mal. Dann erzähle ich Ihnen genau unter vier Augen, was ich mir vorstelle und was ich mir vorstellen kann. Aber das werde ich nicht hier im Rundfunk machen.

    Schütte: Egon Bahr, außenpolitischer Experte der SPD und früherer Bundesminister. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Bahr.