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Irak
"Obama wird wohl Luftangriffe genehmigen"

Der Politikwissenschaftler Crister S. Garrett erwartet, dass die US-Regierung bereits in den nächsten Stunden oder Tagen mit Luftangriffen in die Gefechte zwischen irakischen Truppen und Islamisten eingreifen wird. Zugleich werde Washington den Druck auf die Regierung al-Maliki erhören, sagte Garrett im DLF.

Crister S. Garret im Gespräch mit Friedbert Meurer | 12.06.2014
    Nuri al-Maliki im Gespräch mit US-Präsident Barack Obama.
    Der irakische Präsident Nuri al-Maliki hofft auf militärische Unterstützung der USA. (dpa / Olivier Douliery)
    Friedbert Meurer: Wir erinnern uns: Mit einem gigantischen Aufwand hatten die USA mit Hilfe ihrer Verbündeten 2003 den damaligen irakischen Diktator Saddam Hussein gestürzt und Bagdad eingenommen. Mindestens 150.000 Menschen sind in den Kriegswirren und bei den vielen Terroranschlägen getötet worden, davon über 100.000 Zivilisten. Vielleicht ist die Zahl sogar noch höher. "Mission accomplished" - Auftrag erfüllt hat US-Präsident Georg W. Bush im Kampfdress damals verkündet, und jetzt hören wir diese Nachrichten aus dem Irak. Crister Garrett ist Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig. Guten Tag, Herr Garrett!
    Christer Garrett: Schönen guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Ist dieser Vormarsch der Islamisten im Irak ein Desaster auch für die USA?
    Garrett: Es ist ein Desaster für die Weltgemeinschaft, gar kein Thema. Wir sehen eine Gewalt, die vorankommt, die sogar Al Kaida ablehnt. Es ist für Zivilisten, für alle Beteiligten nicht nur im Nahen Osten, aber auch in Europa im Sinne von Kerninteressen eine Notsituation. Es geht um Tage jetzt, ob überhaupt eine Zentralregierung im Irak überleben kann.
    Meurer: Was glauben Sie wird Barack Obama jetzt tun und die Regierung in Washington?
    Garrett: Da sind zwei Kernherausforderungen. Zuerst geht es um die Institution der irakischen Armee und wie sie überhaupt zusammenhält, und wie wir sehen, sie hält nicht zusammen, und das ist eine Kerninstitution für den Irak überhaupt zum Überleben, weil man hat versucht, Schiiten und Sunniten zusammenzubringen, nicht nur unter den Offizieren, aber auch unter den Fußsoldaten, und das funktioniert offensichtlich nicht. Jetzt muss irgendwie diese Armee zusammenhalten und wenn die Amerikaner natürlich einsteigen, dann nehmen sie Druck weg von der Regierung und vom irakischen Militär, das Problem selber zu lösen. Das ist ein bisschen ein Teufelskreis oder paradox, wenn man so will. Dazu innenpolitisch noch einmal im Irak engagiert zu sein, ist nicht gewünscht von beiden Parteien, Republikanern und Demokraten. Kurzum: Man wird versuchen, so viel Druck auf den Irak auszuüben, aber letztendlich wohl unterstützen mit Luftangriffen. Ich sehe keinen anderen Weg zurzeit.
    Meurer: Ist das das Kalkül des irakischen Regierungschefs al-Maliki, sich zu denken, ich muss einfach nur abwarten, und, ich sage mal, ab Kilometer 30 vor Bagdad werden die Amerikaner schon helfen?
    Garrett: Sagen wir so: Es ist eine Wette mit großen Risiken. Ich denke, ihm wäre es natürlich lieber gewesen, dass die Armee tatsächlich funktioniert, aber inwieweit er wirklich dazu beigetragen hat, dass diese zentrale Institution stärker wird, das ist sehr schwierig einzuschätzen. Ich denke, jetzt hat er äußerst wenig Optionen, genauso wie die Amerikaner, genauso wie die Europäer, was er wirklich machen kann, um den Sunniten in der Gesellschaft glaubwürdig zu machen, er wird eine andere Politik unternehmen. Das ist fast unmöglich einzuschätzen. Aber er muss in diesem Sinne innenpolitisch sehr schnell reagieren und hofft natürlich darauf, dass die Amerikaner einsteigen, aber das wird große Konsequenzen haben, weil dann nehmen die Amerikaner wirklich diesen einzigen Druck weg, tatsächlich Reformen im Irak voranzubringen.
    Meurer: Mit welchem Szenario rechnen Sie jetzt für die nächsten Tage oder sogar für die nächsten Stunden? Wird es Luftangriffe der USA geben? Werden die USA mit Drohnen vorgehen?
    Garrett: Sagen wir so: Der sogenannte "Situation Room" im Weißen Haus ist ständig besetzt zurzeit. Davon gehe ich aus. Die Bilder werden live übertragen, die Satelliten sind in Position, um ständig im Minutentakt frische Bilder und Informationen reinzubekommen ins Weiße Haus. Und wie Sie sagen, es geht jetzt offensichtlich, was man so alles hört, um Stunden. Da sind bestimmte kürzere Wege Richtung Bagdad und die Amerikaner werden wohl Drohnen in der Region haben auf Kampfflugzeugen und möglicherweise sehen wir Bilder, die wir aus früheren Irak-Kriegen gesehen haben, mit Straßen bombardiert, LKW und so weiter zerstört und zertrümmert. Das ist ein realistisches Szenario in den nächsten Stunden und Tagen. Klar ist, ich denke, Obama wird es nicht erlauben, dass Bagdad irgendwie angegriffen wird.
    Meurer: Als Senator hat Barack Obama ja den Krieg im Irak abgelehnt. Jetzt steht er vor der Situation, dass er quasi die Scherben auflesen muss, die sein Vorgänger George W. Bush hinterlassen hat. War das trotzdem ein Fehler, die Truppen abzuziehen?
    Garrett: Nein! Irgendwie müssen, noch einmal, irakische Institutionen tragfähig und nachhaltig etabliert werden, und das ist, wie wir sehen, im Irak und woanders auf der Welt eigentlich unglaublich schwierig. Die Amerikaner haben zum Beispiel fünf Jahre versucht, eine nationale Armee in Mali aufzubauen. Es ist auseinandergegangen in einigen Wochen. Und jetzt erleben wir etwas Ähnliches offensichtlich im Irak. Nach Jahren mit unglaublichen Ressourcen, eine nationale Armee aufzubauen, bricht das offensichtlich auseinander. Aber solange die Amerikaner da sind, ist noch einmal dieser Druck, unabhängig zu agieren und Institutionen aufzubauen, deutlich weniger. Da ist man in einem paradoxen Teufelskreis, oder was auch immer. Es war richtig und jetzt steht Irak als Land davor, wirklich die Frage beantworten zu müssen, wie halten wir zusammen, und da versucht Obama jetzt irgendwie diesen Druck intakt zu behalten, aber das funktioniert nicht, wie wir jetzt sehen.
    Meurer: Nun wird die US-Regierung und Barack Obama in Washington sagen und argumentieren, wie Sie es gerade darstellen, das sind die Fehler der Regierung, al-Maliki geht nicht auf die Sunniten zu. Wird Obama trotzdem von den Republikanern jetzt als außenpolitischer Schwächling gebrandmarkt?
    Garrett: Ja, das gehört dazu. Das ist die Narration zurzeit unter den Republikanern, sei es Ukraine, sei es Syrien, sei es Irak, jetzt ernten wir die Früchte davon, dass nicht robuster in der internationalen Politik agiert wird gegenüber Russland in Syrien.
    Meurer: Und ist da was dran? Stimmt der Vorwurf?
    Garrett: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Sagen wir so: Ich stimme der Argumentation nicht zu, aber sei es Beijing, sei es Moskau, sei es Damaskus, man guckt genau auf Washington und fragt sich, wozu ist diese Regierung bereit, und das ist eine natürlich berechtigte Frage und wir sehen, dass Obama versucht, wirklich nicht immer ständig vorzupreschen. Er fragt sich, wo sind die Europäer, wo sind die anderen regionalen Mächte, um Ordnungspolitik aufrecht zu halten oder aufzubauen.
    Meurer: Da werden die Deutschen beispielsweise sagen, die deutsche Bundesregierung, da haben wir nichts mit zu tun, wir haben damals davor gewarnt, was passiert.
    Garrett: Genau, das stimmt, und so kann man das sehen. Aber Syrien zum Beispiel und der Bürgerkrieg da, das kann man natürlich mit Irak in Zusammenhang bringen. Aber da sind andere Faktoren im Spiel in Syrien, oder sei es Iran auch, was die Schiiten betrifft zum Beispiel. Obama versucht, auf längere Sicht mehr Platz für andere Weltakteure freizugeben, um diese Bürde, diese Verantwortung zu teilen. In dieser Krise wird das natürlich nicht die Oberhand haben. Er muss jetzt schnell in dieser Krisensituation reagieren. Und noch einmal: Er wird wohl Luftangriffe genehmigen. Davon gehe ich zumindest aus. Aber auf längere Sicht müssen wir gerade im langfristigen Kontext uns fragen, es geht hier nicht nur um Irak. Es geht um Iran und es geht um Syrien, es geht um diese Region, und es geht um Sunniten und Schiiten, wie wir sehen mit ISIS zum Beispiel, und da sind natürlich die Europäer durchaus gefragt, wozu man bereit ist, regionale Lösungen zu finden und dazu konkret beizutragen.
    Meurer: Der US-Politikwissenschaftler von der Universität Leipzig, Crister Garrett, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk zur Frage, was Barack Obama jetzt tun kann im Irak. Danke schön, Herr Garrett! Auf Wiederhören nach Leipzig.
    Garrett: Sehr gerne, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.